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Carlyle  .

Am 4. Dezember 1795 wurde Thomas Carlyle  ( sprich kahrleil) in dem abgelegenen schottischen Dorfe Ecclefechan, in Dumfries­shire, geboren. Der Vater war ein einfacher Pachtbauer, Kirchen­ältester der Gemeinde, streng religiös, von kräftigem Willen, die Mutter geistig ser regsam, von großer Charakterstärke, mit festen Grundsäzen und Anschauungen. Die Mutter hat besondern Einfluß auf den Knaben gehabt. Ihr Lieblingsheld war Cromwell, der auch der Lieblingsheld des Sones wurde.

Ueber die Erziehung läßt sich wenig sagen. Sie hatte das eigentümliche schottische Gepräge: Entwicklung scharfen, praktischen Verstands inmitten einer Atmosphäre alttestamentarischen Glaubens­eifers. Der Schulunterricht im Dorf war nicht weit her, aber es war doch immer Unterricht, und, da der Knabe außerordent lich wißbegierig war und die Bücher, deren er habhaft werden fonte, verschlang und zum Teil auch verdaute, so kam er mit zehn Jaren soweit, daß er auf die lateinische Schule in dem zwei Stunden weit entfernten Städtchen Annan geschickt werden und vier Jare später die Universität Edinburgh   besuchen konte. Zu nächst nicht als Student in der deutschen Bedeutung des Worts, sondern als Gymnasiast, in England und Schottland   sind, was wir Gymnasien nennen, die Colleges, Teile der Universität. Nach Edinburgh   brachte er eine für das College genügende Kentnis des Lateinischen   und Griechischen und eine vorzügliche Grundlage in der Matematik mit. Das Lateinische und Griechische hat er nie mit Vorliebe betrieben: das klassische Altertum lag seinem ganzen Wesen zu fern. In England ist ihm das viel verargt worden. Voll charakteristischen Bedauerns wird in einem der biographischen Nachrufe bemerkt, daß in Carlyle's   Werken fast kein lateinisches oder griechisches Citat zu finden sei. Nun, wir dächten, wer Werke schreibt, die citirt werden, hat es nicht nötig, zu citiren.

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Wie das bei seinen Jugendeindrücken erklärlich ist, wollte Thomas Carlyle   sich der Gottesgelehrtheit widmen, Prediger der Kirk werden. Und vom Prediger war sicherlich etwas in ihm. Ja ser viel. Er ist eigentlich sein Leben lang Prediger geblieben, und all seine Schriften sind Predigten alttestamentarische, im Geiste eines Jesaias. Achtzehn Jare alt, wurde er als Student der Teologie ein geschrieben. Um diese Zeit wurde er aber auch mit der schotti­schen Philosophie bekant: mit Dr. Raid, einem halben Kantianer, der die Universität Edinburgh   damals beherrschte, und mit dem Materialismus Hume's  . Zu lezterem fülte er sich besonders hingezogen, und obgleich er die freigeistigen und materialisti schen Ideen in das Prokrustesbett seiner religiösen Dogmatik ein­zupassen suchte, und es auch fertig brachte, Materialismus und Fromgläubigkeit in ein wunderliches Mixtum kompositum zu sammenzukneten( aus dem einige seiner Schüler, die Kingsley's und andere, dann später das sogenante Muskel- Christentum muscular Christianity- gemacht haben), so begriff der junge Carlyle   doch, daß er, wenn auch zum Prediger, doch zum Kirchen­prediger nicht tauge, und verzichtete, 22 Jare alt, auf die teo­logische Laufban.

Er wollte Schriftsteller werden, und scheint sich für einen Dichter gehalten zu haben. Hogg, der Ettrick Schäfer", der damals wie ein Meteor aufstieg, und Walter Scott  , der im Vollglanz seines Ruhms war, begeisterten ihn und mögen den Gedanken nach Nachamung erweckt haben. Sicher ist, daß er poetische Versuche machte, die allerdings vollständig mislangen. Ein Dichter zwar war er, doch keiner im engeren, dem streng künstlerischen Sinne des Worts. Die gebundene Form war ihm eine Zwangsjacke, der sein jeder Fessel, auch der der Form, widerstrebender Geist sich nicht unterwerfen fonte. Er hat eine der großartigsten Dichtungen geschaffen, welche die englische Sprache aufweist, aber sie ist von ungebundener Form- ein Epos in Prosa.

Kirkcaldy  ( in Fifeshire) an. Dort blieb er ungefär zwei Jare. Seinem Freunde Irving, der einer andern Schule in Kirkcaldy  vorstand und ihn gern dort behalten hätte, sagte er beim Abschied: " Ich muß die Enden meiner Gedanken zusammenbringen, was kein Mensch an einem so gedankenleeren Ort tun kann. Ich habe meine Begriffe vom Leben abzuändern und meinen ganzen Lebens­plan neuzugestalten. Und außerdem habe ich meine Gesundheit wiederherzustellen." Das war 1819.

Er arbeitete riesig und brauchte Zeit zur Bewältigung des one Wal aufgenommenen Stoffes.

Erholung gönte er sich indes nicht. Gleich nachdem er Kirk­ caldy   verlassen, erhielt er eine Hauslehrerſtelle, in der er merere Jare verblieb, bis sein Schüler, Charles Buller, der väterlichen Obhut entwachsen war und ins Leben eintrat.

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Jm Jare 1820, also bereits 25 Jare alt, veröffentlichte Carlyle   seine ersten literarischen Arbeiten in der Edinburgh Encyklopaedia" des Dr. Brewster später Sir David Brewster   für welche er von 1820 bis 1823 eine Reihe bio­graphischer und historischer Aufsäze schrieb, z. B. über Montaigne, Necker, Nelson, die Niederlande   u. s. w. Gerühmt wird an all' diesen Arbeiten, die wir nicht kennen, der Fleiß und die gewissen­hafte Forschung, one daß jedoch seine späteren Eigentümlichkeiten sich schon geltend gemacht hätten. Bemerkenswert ist jedenfalls, daß Carlyle   gleich in seinen ersten literarischen Versuchen auch das Gebiet fand, auf dem Großes zu leisten er berufen war. Um diese Zeit wurde er durch seinen Freund Irving in die deutsche   Literatur eingefürt. Deutsch ist den Schotten*), die ihr" Sächsisch  " merkwürdig rein erhalten haben, noch näher als den Engländern, und wird von ihnen ser leicht gelernt. Carlyle  verschlang Schiller, Goethe, Jean Paul  , Hoffmann, Musäus  , Tied u. s. w. Schiller   feierte er in einer Biographie, welche die Ehre hatte, in deutscher Uebersezung durch eine Einleitung von Goethe dem deutschen Publikum empfolen zu werden. Den Wilhelm Meister  " sowie eine Anzal deutscher   Erzälungen und Märchen übersezte er ins Englische, und über Jean Paul   schrieb er 1827 für die Edinburgh Review" einen Essay, der entschieden zu dem besten gehört, was über Jean Paul   geschrieben worden. Mit Jean Paul   hatte er eine gewisse Verwantschaft, aber mer der Form nach, als im Wesen. Die Aeußerlichkeit des Stils beider gleicht sich, weshalb oft behauptet wird, Carlyle   habe seinen Stil nach dem Jean Pauls gebildet. Das ist indes un­richtig. Die Naturen der zwei Männer waren zu grundverschieden. Le styl c'est l'homme. Carlyle   und Jean Paul   häufen Bei­wörter und Bilder, verachten die gewönlichen Regeln, lieben Antitesen, überraschende Wendungen, verblüffende Quersprünge, aber bei Carlyle   ist es strozende, naturwüchsige Kraft, die sich austobt, wärend Jean Paul   nur eine amüsante Vorstellung gibt; Carlyle   ist leidenschaftlich, Jean Paul   süßlich; Carlyle   kämpft und ringt, Jean Paul   spielt.

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Vergangenes Jar waren es 50 Jare, daß zu Frantfurt a/ M. im Verlage von Heinrich Wilmans die soeben erwänte Ueber­sezung des carlyle  'schen Leben Schillers" erschien, unter dem Titel: Thomas Carlyle  , Leben Schillers, eingeleitet von Goethe." Da war freilich der Name Carlyle's  , als er zum erstenmal in Deutschland   gehört ward, mit zwei mächtig leuchtenden Namen verbunden, die einen Teil ihres Glanzes auf ihn abstralten. In der Einleitung, welche den Ausgaben der Werke Goethe's   einverleibt ist, spricht dieser von der Wechsel­wirkung der nationalen Literatureu aufeinander, die zu einer allgemeinen Weltliteratur füren müsse"; empfielt den Ver­fasser dieser auf seine, Goethe's, Veranlassung in das Deutsche  übersezten Schillerbiographie der hochansehnlichen Gesellschaft für ausländische Literatur in Berlin  ", der die Vorrede gewidmet ist, als einen Geistesverwanten", und drückt lebhafte Freude aus über das Schauspiel, wie ein zartfülender, strebsamer, ein sichtiger Mann über dem Meere, in seinen besten Jaren, durch Schillers Produktionen berürt, bewegt, erregt und nun zum weiteren Studium der deutschen Literatur angetrieben worden." Als er mit der Teologie gebrochen hatte, sah er sich sofort, Herr Thomas Carlyle  ", so heißt es weiter, hatte schon den um den Eltern nicht länger zur Last zu sein, nach einer Erwerbs, Wilhelm Meister  ' übersezt und gab sodann vorliegendes Leben quelle um. So praktisch war er, daß er diese nicht in der Schrift­stellerei juchte. Statt nach London   zu gehn, wie ihm von Freunden geraten ward, blieb er in seiner bescheidenen schottischen Heimat und nam eine bescheidene Lehrerſtelle an dem Seminar von

Ueber die Jugend Carlyle's wissen wir nicht viel; die Selbst biographie, welche er hinterlassen hat, und die demnächst gedruckt werden soll, wird uns vielleicht einigen Aufschluß geben.

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*) Die Südschotten, germanischer Abkunft, sprechen ,, sächsisch", wärend bei den celtischen Nord- und Hochschotten das Gälische vor­herrscht.