-

290

Bardolph, war doch köstlich wie?!" Damit wante er sich und verschwand, einen Gassenhauer pfeifend, in einer Seitenstraße. Greene mußte erst einen langen Hustenanfall vorübergehen lassen, ehe er sich auf die von ihm einzuschlagende Richtung be­sinnen konte.

-

-

-

-

Nach wenigen Schritten machte er indes wieder Halt und murmelte, sich vor die Stirn schlagend: Bob, Bob, ich merke, es get mit dir zu Ende, kanst nicht einen Krug Sett mer hinunterschütten, one daß deine fünf Sinne drüber und drunter gehn, schäme dich, Robert, was ist aus dir geworden?- Bah, Robert Greene, von dem der londoner Pöbel jezt nichts wissen will, seit dieser grüne Bursche von Avon ihnen die Köpfe verdreht mit seinem Gewäsch, Robert Greene macht dir, undank­bares England, noch die Freude nicht, in der Dunkelheit des Vergessens dem grinsenden Gevatter Klapperbein den Traktat einzulösen, den jeder Staubgeborne ihm ausstellen muß, so er die Welt zum erstenmale anschreit! Erst will ich den Lorbeer auf meinem Schädel gefült haben, dann mag er kommen, der bleiche Tod, und die onehin nur mühsam slackernde Flamme meines Daseins umkehren und verlöschen fiat! Aber wo hinaus liegt nun eigentlich mein Weg in diesem verdamten Gassen­gewirr? Aha, Robert Greene," lachte er unheimlich und heiser vor sich hin, du bist ein Narr, der nicht einmal weiß, daß er schon seit Wochen kein Heim mer hat im großen London   ärmer

-

-

Bum hundertjärigen Geburtstage Chamisso's  .

( Schluß.)

-

Wie sich Schlemihl des Schmerzes ob seiner Schattenlosigkeit ent­äußern wollte, so tat es auch Chamisso: die schon erwänte Weltreise heilte die Wunden, die er sich in seiner verzweifelten Lage, als Vater­

lands- und Tatenloser in vaterlandsbegeisterter und tatenreicher Zeit hatte schlagen lassen müssen. Freilich erst nach zwei langen, in troſt­loser Vereinsamung verlebten Jaren. Es kam ihm nämlich durch Zufalls Gunst, wie er selbst mitteilt ,,, ein Zeitungsartikel zu Gesicht, worin von einer nächst bevorstehenden Entdeckungsexpedition der Russen nach dem Nordpol   verworrene Nachricht gegeben wird. Ich wollte, ich wäre mit diesen Russen am Nordpol  ! rief ich unmutig aus und stampfte dabei wol mit dem Fuße. Hißig nam mir das Blatt aus der Hand, überlas den Artikel und fragte mich: Ist das dein Ernst?- Ja. So schaffe mir sogleich Zeugnisse deiner Studien und Befähigung zur Stelle. Wir wollen sehen, was sich tun läßt."

-

-

Und der Unglücksvogel Peter Schlemihl   hatte diesmal Glück. Die Russen namen ihn auf ihrer Nordpolfart nicht nur mit, sondern machten ihn sogar zum Naturforscher ihrer Expedition.

Er hat diese Stelle auf das beste ausgefüllt; Welt und Wissen­schaft haben seiner Nordpolreise mancherlei Bereicherung zu danken. Wie für die Wissenschaft der Forscher beobachtet und gesammelt hat, so hat für die Welt der Dichter geschaut, und was er geschaut, erlebt und gedacht, das hat er in seiner Beschreibung der Expedition zu vieler Tausende Freude, und auch heute noch jedermann Belehrung und Unter­haltung gewärend, beschrieben. Was er auf jener großen Reise er­worben, ersezte ihm auch den ,, Schatten". Die Leute zuckten über den Vaterlandslosen nicht mer in beleidigendem Mitleid die Achsel, sondern fingen an, stolz darauf zu werden, daß er ihnen gern das Recht ein­räumte, ihn als Landsmann zu betrachten. Die berliner Universität fam ihm mit dem Diplom als Ehrendoktor entgegen und von Staats­wegen erhielt er mit dem Amte als Adjunkt des Direktors vom botanischen Garten die Grundlage zu einer behaglichen Existenz. Aber was ihm mer wert war, als alles andre Erdenglück, schenkte ihm die Liebe: ein trautes Eheleben, eine in innigster Neigung verbundene Familie. Welch' ein Glück ihm die Geliebte, Antonie Piaste, ins Haus brachte, die er schon auf seinen Knien gewiegt, als sie noch ein kleines, liebliches Kind war, schildert sein Gedicht: Adelbert   an seine Braut":

"

Ich schlich so blöd' für mich allein, Ich wälzte so mich in dem Staub, Ich war so schwach, ich war so klein, Ich war so blind, ich war so taub, Ich war so nackt, ich war so falt, Ich war so arm, ich war so alt- Und bin nun aller Siechheit los Und füle in den Knochen Mark, Ich bin so reich, ich bin so groß, Ich bin so jung, ich bin so stark, Du, die du alles, alles gibst, Du segnest mich, wie du mich liebst. Ich drücke dich an meine Bruſt, Du bist mein Stolz, du meine Lust, Du bist mein Heil, du bist mein Gut, Du bist mein Herz, du bist mein Blut,

-

-

als ein Bettler, dem abends doch unter irgendeiner Treppe oder im Winkel eines Stalles ein Lager bereitet ist. Warum ging ich nur aus dem gastlichen, Eberkopf' fort, unterm Tische gab's noch Plaz für mich neben dem Kleeblatt, und Sir John hätte sicher ein gutes Kissen für meinen wüsten Kopf abgegeben,- verwünschter Sekt! Aber das ist ja die Quelle meines Unglücks, vielleicht gets nicht mir allein so.- Ah, ich füle dieses dumme Blut schon wieder im Halse emporkommen, Sir John hat recht: Hol' die Pest Kummer und Seufzen, es bläht den Menschen auf wie einen Schlauch....."

-

Der Anfall kam und fürte einen der Distriktswächter herbei, der mitleidig den Trunkenen unterfaßte und fortzog, da Greene, die Sprache wiederfindend, seine Wonung als im Dowgate liegend, bezeichnete, wobei er leise vor sich hin ficherte. Indes mußte ihn sein Fürer schon nach kurzer Zeit im Stich lassen, da ihn schrille Pfeifensignale nach der entgegengesezten Seite des Bezirks riefen. Doch gab er dem Nachtschwärmer noch die Richtung des ein­zuschlagenden Weges an, ehe er sich entfernte, und Greene tau­melte, fortwärend vor sich hin murmelnd, immer weiter und weiter, immer häufiger von seinen Hustenanfällen gepeinigt, bis er endlich Dowgate erreichte und unter dem Fenster eines ärm­lichen Hauses mit einem erstickten Schrei niederstürzte,- ein Blutsturz raubte ihm die Besinnung.

( Fortsezung folgt.)

Du bist mein Stern und meine Kron', Bist meine Tugend und mein Lohn. O du mein frommes, gutes Kind, Mein guter Engel, hold und lind,

Mir ward durch dich das Heil verliehn!"

im botanischen Garten wird das neue Heim gegründet, bald kehrt der Klapperstorch" dort ein und mit ihm neues Leben, neues Glück.

Im behaglich kleinen, waldumrauschten, blumenumdufteten Hause

" 1

Jezt erst recht kam der Dichter in Chamisso, der große, mit herr­licher Begabung begnadete Dichter zur Geltung, und zauberhaft schön er­tönte sein Gesang, wenn er der Liebe Glück in der Ehe besang. Wer kann sich der Rürung erweren, wenn er die Verse aus seinem ,, Frauenliebe und Leben  " liest:

Süßer Freund, du blickest

Mich verwundert an, Kannst es nicht begreifen, Wie ich weinen kann; Laß der feuchten Perlen Ungewonte Zier Freudenhell erzittern

In den Wimpern mir. Wie so bang mein Busen, Wie so wonnevoll! Wüßt' ich nur mit Worten, Wie ich's sagen soll; Komm und birg dein Antliz Hier an meiner Brust, Will ins Or dir flüstern Alle meine Luft. Hab ob manchen Zeichen Mutter schon gefragt, Hat die gute Mutter

Alles mir gesagt, hat mich unterwiesen, Wie nach allem Schein Bald für eine Wiege Muß gesorget ſein. Weißt du nun die Tränen, Die ich weinen kann, Sollst sie ja nicht sehen, Du geliebter Mann; Bleib' an meinem Herzen, Füle dessen Schlag, Daß ich fest und fester Nur dich drücken mag. Hier, an meinem Bette Hat die Wiege Raum, Wo sie still verberge Meinen holden Traum; Kommen wird der Morgen, Wo der Traum erwacht, Und daraus dein Bildnis Mir entgegen lacht.