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Chamisso's lyrisch- poetische Begabung war eine ser vielseitige.. Neben Gedichten, die man hohe Lieder" des Liebe- und Eheglücks nennen darf, gehen derb- volkstümliche, humoristische Poesien einher, und nicht minder volkstümliche lyrisch epische Gedichte, welche dem Leser ergreifende, oft auch schaurig- düstere Bilder aus den Tiefen des menschlichen Lebens und Herzens vor das Auge füren.
Wie erschütternd Chamisso die Nachtseite des Daseins vor unsern Geist zu zaubern verstand, zeigen viele seiner Gedichte, keines aber besser, als das folgende, welches, ganz im Gegensaze zu einer großen Zal andrer Poesien unsres Dichters, gegenwärtig weiteren Volkskreisen völlig unbekant ist. Es ist überschrieben: ,, Ein Baal Teschuba":
Noch hatte der Rabbiner nicht begonnen
Zu unterrichten, im gedrängten Kreise Der Schüler hatte sich Gespräch entsponnen; Gespräch von jenem rätselhaften Greise, Der in die Synagoge war gekommen Fast eigentümlich schauerlicher Weise; Der auf der Trauerbank den Plaz genommen, Dem Sträfling gleich, andächtig immerdar, Ein Vorbild der Erbauung aller Frommen, Und wie das Schlußgebet gesprochen war, Aufspringend mit befremdlicher Geberde, Sein Haupt verhüllt im faltigen Talar, Sich quer am Eingang auf die harte Erde Vor allen niederstürzend hingestreckt, Auf daß mit Füßen er getreten werde. Doch keiner tats, denn jeder wich erschreckt
Zur Seite, daß den Starren er vermeide, Den erst der lezten Schritte Hall erweckt. Ein Pole müßt er sein nach seinem Kleide, Doch haben, die ihn sprachen, ausgesagt, Daß ihn die deutsche Mundart unterscheide. Nach seinem Namen haben sie gefragt,
Worauf er seufzend Antwort nicht gegeben; Sie haben, mer zu fragen, nicht gewagt. Da trat, wie so die Schüler sprachen, eben
Der Greis herein, dem Winter zu vergleichen, Von jugendlichem Frülingsreis umgeben. Es sahn die rings verstummenden ihn schleichen Dem lezten Blaze zu, um den er bat, Ihn sollte da das heilge Wort erreichen. Und der Rabbiner, sich erhebend, trat Mit ernſtem Worte zu dem seltnen Gast: Hier gilt es, auszustreuen gute Sat. Wie du im Tempel dich betragen hast, Erscheint vielleicht in zweifelhaftem Lichte
Dem, der den Gang des Lebens nicht erfaßt;
Was aber dich bewogen, das berichte
Du diesen hier, damit auch sie es wissen; Ich fordre deine düstere Geschichte. Gar mancher ist der Weisheit nicht beslissen,
Der warlich anders würde sein, verſtünd er Den Ernst der Tat im strafenden Gewissen." Ich bin ein Baal Teschuba, bin ein Sünder, Der wallend durch das Elend Buße tut, Und jezt der eignen Missetat Verkünder. Nach meinem Namen forschet nicht, der ruht
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Bei meinen Hinterlaßnen, Weib und Kindern, Und liegt bei Haus und Hof und Hab und Gut. Ich handelte, geehrt und reich, mit Rindern
Und sah mit Stolz auf meines Hauses Flor, Der sollte jähen Sturzes bald sich mindern. Ich stand indes dem Ehrenamte vor,
Die Spenden der Gemeinde darzureichen Den fremden Armen vor des Tempels Tor. Ein Weib, ihr Bild will nimmer von mir weichen, Ein schwangres Weib schalt einst mich einen Wicht, Und zankte, schrie und schmähte sonder gleichen. Da faßte mich der Zorn, ich hielt mich nicht, Ich hob die Hand zu unheilvoller Stunde Und schlug die Keiferin ins Angesicht. Das Wort erstarb in ihrem blassen Munde, Sie wankte, fiel, da lagen scharfe Scherben, Es quoll. ihr Blut aus einer tiefen Wunde. Ich sah das grüne Gras sich purpurn färben, Sah trampfhaft noch sie zucken eine Zeit, Dann starr gestreckt zu meinen Füßen sterben. Nicht in die Hände der Gerechtigkeit
Geliefert hätte mich die Brüderschaft, Ich war von jeder äußern Furcht befreit. Doch einen Richter gibts, der Rache schafft, Gewissen heißet, der die scharfen Krallen Ins Herz mir eingerissen voller Kraft. Und ich erkor, ein Fragender, zu wallen
Zu einem frommen Greise: Rabbi, sprich, Wie büß ich, der ich so in Schuld gefallen?
Und harte Bußen viele lud auf mich
Der strenge Mann mit Beten, Baden, Fasten; Nur Eine, Eine nur war fürchterlich. Mit meinem Fluche sollt ich mich belasten, Ins Elend willig gehn am Bettelstabe, Und sieben Jare nicht auf Erden rasten. Ich habs getan, ein Baal Teschuba habe Sechs Jar ich schon vom Mitleidsbrod gezehrt, Sechs Jare mich genähert meinem Grabe. Die Heimat zu betreten war verwert;
Ich habe mich, zu machtvoll angezogen, In immer engern Kreisen ihr genäh'rt. Und einst, da stand ich vor des Tores Bogen Der Vaterstadt, da stand ich wie gebannt, Mit ausgestreckten Armen vorgebogen. Ich hätte fliehen sollen; übermannt
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Von namenloser Sehnsucht trat ich ein, Wie selbst so fremd! wie alles so bekant! Des langen Haupt- und Barthars Silberschein, Der Stirne Furchen und die fremde Tracht Jch mochte jedem wol unkentlich sein.
Wie schlug das Herz mir in der Brust mit Macht! Ich schlich daher, so wie der Sünder schleicht, Und wo die Straß am Markt die Biegung macht Gott Israels ! mein Haus! Ein Kind vielleich): Mein eignes Kind! ein Mädchen tritt heraus, Hat Rahel solch ein Alter wol erreicht?
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Der Ewge segne dich und dieses Haus, Mein süßes Kind! ein Bettler ruft dich an Aus bittern Elends namenlosem Graus. Sie sah mich freundlich an, und schritt sodann Ins Haus zurück, und kam nach kurzer Frist: Die Mutter schickt dir das, du armer Mann Es war ein Kreuzer nur Die Mutter!? Ist Bekant auch deiner Mutter, daß so klein Die Gift sie einem Baal Teschuba mißt? Sie sah mich staunend an, und ging hinein, Und kam sogleich auch wieder her zu mir: , Die Mutter sagt: es fann nicht anders sein. Sie hats jezt nicht, denn Vater ist gleich dir Ein Baal Teschuba; würdest mer bekommen, Wär unser armer guter Vater hier.' Nun hatt ichs ja aus ihrem Mund vernommen! Ich habe schluchzend schnell mich abgewant Und nicht mein Kind an meine Brust genommen, Jns Elend hab ich mich zurückgebant."
Wie Chamisso seine bedeutende Begabung auch als Gelehrter, als Naturforscher und Sprachenkundiger bewärt, das darzulegen felt hier der Raum. Nur ein par Worte über den Verlauf seines Lebens nach seiner Verheiratung seien noch hinzugefügt.
Seinem ehelichen Glücke gesellte sich die geistige Befriedigung in angenemem Umgange mit gleichgesinten und gestimten Freunden hinzu. Mit Hißig, Fouqué , Immermann , Eichendorff , Holtei, Varnhagen , Hegel und andern Männern bekanten und berühmten Namens im Gebiete der Literatur- und Kulturgeschichte, gehörte er der Mittwochsgesellschaft" an, die allen Teilnemern reiche Anregung und mannichfaltigen Genuß gewärt hat.
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Im J. 1825 reiste er noch einmal auf kurze Zeit nach Frankreich . Einige Jare später mußte er das traute Heim zu Schöneberg , das einem Brandunglück zum Opfer gefallen war, mit einer stattlicheren, aber nicht minder behaglichen Wonung auf der Friedrichstraße vertauschen. Im beständigen unmittelbaren Verkehr mit der Natur ward er dadurch nicht gestört, ein prächtiger Part, der zu dem Hause gehörte, gewärte ihm die Abgeschiedenheit und Ruhe, die er zu seinem Dichten und Denken bedurfte. Nach einer Reihe schöner Jare traf ihn des Schicksals härtester Schlag das geliebte Weib starb 1837 in der Blüte vollreifer Weiblichkeit. Ein Jar später bettete man auch ihn zur Ruhe,- viel er hatte lange Zeit gekränkelt und war am 21. August 1838 zu früh einem schleichenden Fieber erlegen*).
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*) Der Verleger der ,, Neuen Welt" hat soeben in seiner ,, Hausbibliothek"( 35. Heft) ein Bändchen Ausgewälter Gedichte von Chamisso" zu dem außerordentlich mäßigen Breise von 20 Pfg. erscheinen laffen, das wir hiermit unseren Lefern auf das wärmste Red. d. ,, N. W." zum Ankauf und zur Verbreitung empfelen.
Farende Sänger. Die prächtige Illustration unserer heutigen Nummer( S. 284-85) fürt uns eine jener Szenen vor, wie sie sich unsäglich oft in der Zeit des 12.- 14. Jarhunderts, der Zeit des Minnesanges, in den Sälen der Schlösser deutscher Ritter zutrugen. Irgend ein in deutschen Landen weit und breit bekanter Meister der Dichtund Sangeskunst ist mit seinen Begleitern auf das Schloß gekommen, hat um Quartier und die Erlaubnis gebeten, einige Stücke aus seinem reichen Schaz an Liedern zum besten geben zu dürfen, was von dem jungen Schloßherrn bereitwilligst gewärt wurde. Die weiten Räume widerhallen denn nun auch seit Stunden von dem Sange der reisenden Künstler, alle Bewoner sind entzückt, aber die Bewunderung und der