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Dann trat er in die Arkaden und ging die aneinander schlies ßenden Bogenhallen entlang. Nahe dem Café Florian machte er Halt. Eine Unmasse von Tischchen und Stülen befanden sich hier und waren weit auf den Plaz hinaus aufgestellt. Eine zalreiche Gesellschaft hatte sich hier niedergelassen, er gedachte es auch zu tun. Aber noch hingen feine Augen betrachtend, und sie vermochten sich nicht los zu lösen, auf dem seltsam phantastischen Bau der Markuskirche, auf dessen Kuppeln und Türmchen jezt das Mondlicht ruhte, wärend der übrige Teil in seiner byzantinischen Pracht, vom Dämmerlicht umflossen, nur noch geheimnisvoller sich gestaltete, und nur der Goldgrund der Mosaiken deutlich hervor blizte. Er stand an einen der mächtigen Marmorpilaster gelent, an dem ein gelber Vorhang, der wärend der Mittagssonne vor den offenen Bogen gezogen, und der nun zurückgeschlagen war, sich hübsch drapirte. Noch immer starrte er durch den Bogen hinaus, über den Plaz hinüber, nach dem Dome. Da lenkte eine gewisse Bewegung, die in der Menge sich kundgab, ein Geflüster, seine Gedanken von dieser Schöpfung der Kunst auf seine nähere Umgebung. Nicht allzu weit von seinem Standpunkte waren einige der runden Tischchen einander näher gerückt, und eine junge Dame, die in Begleitung einer älteren an einem derselben Plaz genommen, schien der Magnet zu sein, dem alle diese Körper sich zuwendeten. Alles sah nach ihr, alles sprach von ihr.
" Signora Bianca!" die Luft um ihn herum schien von diesem Namen erfüllt, und weich und melodisch klang das Echo, das ihn weiter trug.
Also das ist sie! dachte auch er. Auch seine Augen hatten sich der vom Gaslicht genugsam erhellten reizvollen Erscheinung zugewendet und er betrachtete sie unverwant in kritischer Analyse. Sie ist schön, gestand er sich, nicht allein durch die Gabe, die ihr die Natur verliehen, als vielmehr durch das Raffinement einer Kunst, eines Geschmacks, durch welchen sie jeden ihrer Vorzüge noch zu heben weiß.
Wie pikant und wie harmonisch zugleich stimt doch dieses Kleid in seiner zarten Farbe, man weiß nicht, ist es rosa, ist es gelb, zu ihrem lebhaft frischen Teint, zu diesen schwarzen Haren , die so massig in weichen Wellen ihre Stirn umfluten. Und dieser weiße Hut, wie licht umramt er ihren feinen Kopf, wie jugendlich läßt er sie darin erscheinen. Aber verrät nicht diese distinguirte Art sich zu tragen, Geist? und ihre Haltung und Bewegung und jedes Lächeln, get es nicht von innen aus, verrät es nicht ästetisches Gefül und eine Vornemheit der Empfindung?
Bah, machte er fast verächtlich, welche Geschöpfe sind es doch, die alle diese Vorzüge mit ihr teilen! und auch bei ihr ist es Dressur.
Es sind die Berechnungen einer Kokette, und die Talente ihrer Modistin, die hier den Ausschlag geben.
Eine Anzal Kavaliere hatte sich um ihren Tisch und um den zunächst gerückten gesammelt.
Sie schien bereits viele derselben zu kennen, einige andere wurden ihr soeben vorgestellt.
Sie nam diese Vorstellungen entgegen mit der Huld und Vornemheit einer Königin.
Friz empfand unwillkürlich den Kontrast zwischen einst und jezt. Hatte er auch erwartet, Elvira so wieder zu sehen? Das einfache schmucklose Kind, das mit ihm am Chor gesungen, und das ihn einst mit heißen Augen, in denen die Tränen standen, angesehen hatte.
Warum fielen sie ihm gerade jezt ein diese Augen, warum mußte er jezt der Stunde gedenken, wo sie ihm ihr Herz verraten hatte?!
Unberechenbare Zufälle des Lebens, unberechenbare Stimmungen des Menschenherzens!
Damals hatte er Mitleid, eine Art Erbarmen mit dem jungen Mädchen gefült, dem es in den Sinn gekommen war, Neigung für einen Burschen zu empfinden, dessen Herz bereits anderweitig bergeben war. Diese Entdeckung hatte ihn damals verlegen gemacht und es hätte nicht viel gefelt, so wäre er in seiner einfältigen und rauhen Tugend darüber unwillig geworden. In diesem Augenblick reizte es ihn zu denken, daß diese blendend schöne Erscheinung, diese Künstlerin, der alles anbetend zu Füßen liegt, und die diese Huldigung gleichgültig mit einem külen Lächeln entgegennimt, daß diese Elvira ihn einst geliebt! Es fizelte seine Eitelkeit, wenn er sich's auch nicht gestehen wollte.
Eine herliche Magnoliablüte ward ihr in diesem Augenblick von einem der Herren überreicht. Sie hob den Arm, sie ent
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gegen zu nemen; das Licht des Kandelabers fiel auf denselben, von dem die Spizen weit zurück fluteten; wie schön geformt war dieser Arm, wie blendend. Sie hatte ihr Gesicht aufwärts, dem Geber zugewendet, aber ihre Augen namen plöglich die Richtung nach der Seite wo Friz stand; hatte sie ihn entdeckt? hatte sie ihn erraten? Es war ihm, als würden seine Nerven in geheimnisvoller Weise afficirt und als müsse er sich dieser Einwirkung entziehen. Er trat hinter den Pfeiler zurück.
Zwei distinguirt aussehende Herren kamen über die Stufen herauf, sie blieben knapp neben ihm stehen.
Er erkante in dem einen Hellenbach. Er hatte noch immer die leichte nonchalante Art und das vergnügliche frivole Lächeln von ehemals. Die Züge schienen schlaffer nur und weibischer, eine tiefe Falte zwischen den Brauen ließ indes vermuten, daß ihm doch etwas von seiner frühern Sorglosigkeit abhanden gekommen war.
Er unterhielt sich deutsch in lebhafter Weise mit einem noch jungen und ziemlich hübschen Mann, dem seine Magerkeit, seine Blässe, sein kränkliches heruntergekommenes Wesen ein besonderes aristokratisches Aussehen gab. Ein dritter gesellte sich zu ihnen. Es war ein kleines dickliches, etwas schwammiges Herrchen, das außerordentlich knapp und streng nach der Mode gekleidet war, und das einem Pavian so änlich sah, wie überhaupt ein Mensch ihm änlich sehen kann, was ihn keineswegs hinderte, sich für un geheuer geistreich und unwiderstehlich liebenswürdig zu halten. Er mischte sich auch mit aller Vertraulichkeit und ungemeiner Wichtigkeit sogleich in das Gespräch.
Friz blieb beobachtend, die Arme über die Brust gekreuzt, an den Pfeiler gelent.
Dies war also Hellenbach, der Glückliche, der den heißen Ehrgeiz, die Unerfarenheit dieses Mädchens benüzt hatte, um sie für seine Begierden zu gewinnen; es war ihm gelungen, und ungestraft und unbeirt konte er sich ihres Besizes freuen.
Der Gedanke empörte ihn, aber es fiel ihm ein, was Elvira in jener Stunde, da er sie gewarnt, ihm anvertraut hatte, daß sie diesen Mann nicht liebe, daß sie ihn niemals lieben werde, Hatte sie Wort aber sie werde ihn zu ihrem Sklaven machen. gehalten, hatte sie dergestalt selbst das Rächeramt übernommen? Unwillkürlich horchte er auf das Gespräch, das sich da vor ihm entwickelte.
" Der französische Gesante, Graf Saint Vallier, ist von Rom hierhergekommen, nur um sie zu sehen, um morgen ihrem ersten Auftreten beizuwonen," sagte Hellenbach im Ton einer stolzen Befriedigung.
Der kleine Knappgekleidete ficherte behutsam, mußte er doch bei jeder stärkeren Bewegung fürchten, daß ihm eine Nat plazte: Was hat das zu bedeuten, hehe, gegen die Excursionen, die ich schon ihretwegen unternommen habe, hehe! bin ich ihr nicht von Paris nach Mailand , von Mailand nach Venedig nachgereift? Sie wissen es chèr Baron, und daß ich imstande wäre, tausend Tollheiten zu begehen, nur um in ihrer Nähe zu atmen!" Er hatte in seinem Entusiasmus eine unvorsichtige Bewegung, ausgefürt, sodaß es krachte, worauf er sich gerade richtete und den Atem einhaltend, eine Weile ganz steif blieb, wobei sein dummes Gesicht den Ausdruck völliger Leerheit annam.
" Der Gesante tante sie von Paris aus?" fragte der Blasse, einen begehrlichen, etwas gläsernen Blick nach der reizenden Künst lerin entsendend.
Jawol," antwortete Hellenbach, sie hat, durch Faure eingefürt, in seinem Salon gesungen, damals schon hatte sie alles entzückt, und Graf Saint Vallier selbst war es, der ihr eine rasche und glänzende Karriere vorhergesagt."
Und ich auch, Baron, ich auch," rief der Schwammige, Festgeschnürte, seinen breiten Mund aufreißend und in übergroßer Wichtigkeit ihn offen lassend.
"
Der Blasse nickte. Es ist eingetroffen und es hat sie nicht allzuviel gekostet, man siet es, sie ist so frisch, so entzückend frischEr atmete tief auf, wie im Verlangen, dann lehnte er sich erschöpft an einen Stul, und die Lider schlossen sich über den großen Augen, als hätten sie nicht die Kraft, sich offen zu halten.
Sie ist eine Zauberin!" rief der Enggekleidete in einem woltemperirten Entzücken. Und ihr Geist erst, o, warhaft stupend. Ich versichere Sie, Graf, ihr Geist versezt mich in eine immer wärende Extase!" Sein breiter Mund blieb offen, gleichsam die Größe dieser Extase andeutend; dann, nur widerwillig ihn zur Artikulation zwingend:„ Ich weiß nicht, wie das komt, aber sie gibt mir manchmal zu denken."