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einzuwerfen. Das andre bestand darin, Bonn , als eine deutsche Hochschule, auf welcher der Student in einer Weise, wie hier ge­schehen, behandelt werde, auf eine zeitlang für unwürdig des Besuchs ehrliebender Studenten, mithin auf einige Jare- drei Jare wurden vorgeschlagen in Verruf zu erklären.

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Das leztere wurde beschlossen. Freilich erst nach schwerem und hartem Kampfe.

Pereat und Fenstereinwerfen sind allerdings rohe Afte einer rohen Rache. Aber sie sind offene Kraftäußerungen; sie werden unmittelbar ausgefürt, wirken unmittelbar. Der raschen, ent­schiedenen Jugend sagen sie zu. Dem Studenten pflegen sie der erste Gedanke zu sein. Sie bleiben immer eine Roheit.

Zwei große Parteien hatten sich unter der bonner Studenten­schaft gebildet, die mindestens in der Zal von achthundert Köpfen in der Vinea domini bei Bonn versammelt war. Pereat mit Fenstereinwerfen dem Rektor und warscheinlich auch dem Herrn Rehfues, wollte die eine; Bonn auf drei Jare in Verruf zu er­klären, war der Wille der andern. Es wurde viel hin und her geredet; viel und eifrig. Lange blieb zweifelhaft, wofür die Majo­rität der Versamlung sich entscheiden werde. Als endlich die Abstimmung erfolgte, ergab sich eine große Mehrheit für die Verrufserklärung.

In der guten Stadt Bonn hatte man ein anderes Resultat erwartet: donnernde Pereats, klirrendes Einwerfen der Fenster.

Die ganze militärische Besazung der Stadt, ein Ulanen­regiment, war in ihre Quartiere konsignirt oder durchstreifte in mächtigen Patrouillen die Stadt, besonders das Schloß, in welchem der Herr von Rehfues seine Diensiwonung hatte.

Die ganze Bevölkerung Bonns war auf den Beinen. Ein Pereat mit Fenstereinwerfen ist für eine Üniversitätsstadt ein Ereignis, ein Schauspiel, das niemand sich entgehen lassen will. In der jungen Universitätsstadt Bonn hatte man es wol noch nicht erlebt. Umsomehr brante" man darauf. Nicht nur die Straßenjugend war voll Erwartung der Dinge, die da kommen sollten. Auch der Philister" füllte die Straßen, und die hübschen Mädchen und schönen Frauen, deren die schöne Rheinstadt so viele aufzuzälen hat, standen zitternd vor Angst und Neugierde in den Haustüren und an den Fenstern, und erzälten sich schon, was geschehen werde.

Mit einem lustigen Gaudeamus" werden sie in die Stadt einrücken, direkt auf das Schloß zu, unter die Fenster des Herrn von Rehfues. Dort machen sie halt, schreien Pereat! Nieder! Nieder! Reißen das Straßenpflaster auf und donnernd fliegen die Steine gegen Türen, Mauern und Fenster, und die Fenster klirren und die Glasscherben fliegen umher, bis auf einmal auf wilden Rossen die Ulanen herbeifliegen und nun die Schüsse knallen und donnern.

Sehen und hören wollte das alles ganz Bonn , und ganz Bonn wollte darüber sich entsezen und in eine Gänsehaut faren.

Da rückten die Studenten in die Stadt ein, still zwar, stumm sogar, aber in festen, geschlossenen Reihen, strammen Schrittes, hoch aufrechter Haltung, klaren Blickes, wie Männer, die aus einem Kampfe zurückkehren, in welchem sie einen Sieg erfochten haben. So schritten sie an den Ulanenpikets vorüber, die sich zu einem Kampf bereit halten mußten, zu dem ihnen der Gegner felte; an der Wonung des Herrn von Münchow vorbei, der Frau und Kinder zu einer befreundeten Familie in Sicherheit gebracht hatte, und nun hinter dichten Fensterladen zagenden Herzens das Zertrümmern seiner Fensterscheiben erwartete, die ihm der Staat ersezen mußte; so zogen sie vorüber an dem Schlosse, in welchem der Herr von Rehfues, trozend und trozig herausfordernd, die Fenster seiner Wonung hellerleuchtet und weit geöffnet hatte; sie hatten keinen Blick für die Erleuchtung.

Was haben die Studenten vor? mußte verwundert sich jeder fragen, der sie sah. Niemand hatte eine Antwort.

Heute Nacht, wenn sie aus der Kneipe kommen, sich Mut zu­getrunken haben! wollten die klugen Philister sich das Gruseln beibringen.

Aber die Kneipen blieben leer, und eben so leer blieben die Straßen, und Bonn hatte, seitdem es Universitätsstadt war, noch feine so ruhige Nacht gehabt.

Die Leute fragten es sich mit Angst.

Am anderen Morgen erfuren sie es zu ihrem Entsezen. Bonn war auf drei Jare in Verruf erklärt! Jeder Student der Universität war bei seiner Ehre verflichtet, mit Ablauf des Semesters Bonn zu verlassen; kein Student durfte vor dem Ab­lauf der nächsten drei Jare nach Bonn zurückkehren oder dort

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neu die Universität beziehen. Wer dem Verruf entgegen handelte, war für den Verband der sämtlichen deutschen Universitäten selbst dem Verruf verfallen.

Freilich sollte und konte dieser Verruf nur diejenigen Studi­renden treffen, die mit ihrem freien Willen in Bonn blieben oder nach Bonn zogen. Von ihm ausgenommen waren und blieben also alle, die dem Befele ihrer Eltern oder Vormünder, in Bonn zu studiren, gehorchen mußten, oder die in der Nähe von Bonn zu Hause und zugleich mittellos, außer stande waren, eine andere Universität zu beziehen. Allein diese lezteren, die sogenanten Kümmeltürken, sind der Schrecken des Universitätsphilisters, eine Art Aschenbrödel, nicht blos für den flotten", sondern auch für den besser situirten Studenten, dem es ein natürliches Bedürfnis ist, auch auf sein äußeres zu achten, kein Kümmeltürke zu sein, für kein Kameel gehalten zu werden.

Bonn hatte im Jare 1822 mehr als tausend Studenten. Jene Katastrophe reduzirte diese Bal sofort auf drei- bis vier­hundert; in den allerlezten Jaren zält die bonner Universität wieder achthundert Studirende. Auf tausend kam sie nie wieder.

Für den Prinzen Bentheim und für mich hatte das bonner Ereignis noch seine besondern Folgen.

Ich hatte in jener Studentenversamlung in der Vinea domini mit besonderem Eifer dem Pereat und dem Fenstereinwerfen, als einer in dem vorliegenden Falle doppelt verwerflichen Roheit, mich widersezt und um desto lebhafter dafür gesprochen, Bonn auf drei Jare in Verruf zu erklären.

Zwei oder drei Tage nach der Versamlung wurde ich durch den Oberpedellen zu dem Kurator der Universität, Herrn Ge­heimrat von Rehfues, citirt.

Ich war mit dem Prinzen als gewönlicher Student imma­trikulirt.

Ich mußte der Citation Folge leisten. Zwischen elf und zwölf Uhr vormittags, wenn ich mich recht erinnere, sollte ich mich einfinden. Ich war um die bestimte Zeit da. Ein Diener empfing mich; ich nante meinen Namen; der Diener ging in ein Zimmer mich zu melden, kehrte im Augen­blicke nachher zurück, ließ mich in das Zimmer eintreten. Ich war in dem Arbeitsgemach des Herrn von Rehfues, mit diesem

allein.

Er saß an seinem Arbeitstisch, dem Anscheine nach sehr be­schäftigt.

Drei bis vier Sekunden saß er so, one sich nach mir umzus sehen. Dann wante er sich zu mir, fremd, vornem, stumm. Ich stand kerzengerade, gleichfalls stumm, erwartend, was folgen werde. Ich besah ihn mir zugleich.

Ich hatte ihn noch nie gesehen.

Er war jedenfalls eine interessante Persönlichkeit, sowol in Be­ziehung auf seine gegenwärtige Stellung, als auf seine früheren Lebensstellungen. Die lezteren hatten ihm freilich einen zwei­deutigen, mindestens einen sehr zweifelhaften Ruf eingetragen.

Er richtete einen stolzen, vornemen, strengen Blick auf mich. Jch rürte mich nicht, begegnete dem Blick ruhig erwartend. Er mußte mich anreden. Er tat das, und er tat zugleich noch mehr; er erhob sich von seinem Size. Ich hatte das nicht erwartet, nicht erwarten dürfen. Ich stand als der citirte Student vor ihm; wie war daran zu denken, daß der höchste Beamte der Uni­versität einer solchen Rücksicht sich unterwerfen werde? Er impo­nirte mir beinahe dadurch. In der Tat war seine Erscheinung, indem er sich erhob, eine imponirende geworden.

Er war in vorgerücktem Alter; seine Gestalt war eine hohe; war er auch hager, so war seine Haltung eine um so stolzere, vornemere. Ein hellgrauer, tief über die Kniee herunter reichen­der Hausrock, hob die Gestalt. Sein stolzer Blick maß mich schweigend von unten nach oben. Der vorneme Herr war min destens um einen Kopf größer als ich.

Wie gesagt, er mußte mich anreden. Er begann: Sie sind der Begleiter des Prinzen Bentheim?" " Ja, Herr Geheimrat!"

" Land- und Stadtgerichtsassessor?"

" Ja, Herr Geheimrat!"

" Hier als Studirender der Staats- und Kameralwissenschaften immatrikulirt?"

" Ja, Herr Geheimrat!"

Er erhob seine Gestalt höher: seine Miene, seine Stimme wurde strenger.

Und Sie haben alle Rücksichten, alle Pflichten aus den Augen gesezt, die Sie Ihrer dreifachen Stellung schuldig waren!"