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und suchte den Gärtner auf. Nachdem dieser ihn willkommen geheißen, obwol er sich kaum noch seiner erinnerte, ging Christel direkt auf sein Ziel los und frug, ob er ihn nicht zum Gärtnerlehrling annemen wolle? Die Feldarbeit, fügte er hinzu, verstände er ja, er verspreche sehr folgsam und fleißig zu sein; als Grund gab er an, daß ihm das Bauernleben gar nicht gefalle und er sich vielmehr von der Gärtnerei angezogen fülte, welche es ihm ermögliche, aus dem einsamen Dorfe fort und in die Welt, vor allem aber in die Stadt zu kommen. Der Gärtner fand Gefallen an dem Burschen und da er gerade für die Gärtnereiarbeiten eine solche ferngesunde Kraft gebrauchen konte, so versprach er Christel anzuſtellen, vorausgesezt, daß derselbe die Genemigung des Vaters mitbringe.
Das war ein herlicher Sontagnachmittag für Christel. Er hatte den Weg gefunden zur Erfüllung seines sehnlichsten Wunsches. Nur noch acht oder höchstens vierzehn Tage und er war fein Dorfbewoner, fein Bauer mehr, sondern ein Städter, ein Gärtnerbursche in der Hauptstadt. So halb und halb fülte er sich schon als Städter, als er nun durch die Straßen schlenderte. Er kaufte sich heute eine bessere Cigarre als sonst, nämlich das Stück zu einem Sechser und trug auch die Nase etwas höher, als er zwar immer noch im Bauernwams und die Pelzmüze auf dem Kopfe, dennoch im Vorgefüle baldiger städtischer Herlichkeit, die feine Cigarre rauchte. Daß es heute auf ein par Glas Bier mehr nicht ankam, verstet sich von selbst, ja er hielt es sogar für ganz entsprechend, daß er sich an diesem ein Besonderes antue und als er gar abends noch im Gasthaus an der Landstraße einfehrte und offenbar einen Spiz hatte, da wunderte man sich über Flizmeyer Christel sehr.
So sehr der alte Flizmeyer am folgenden Tage über Christels Eröffnungen den Kopf schüttelte, mußte er schließlich doch nach geben, da ja noch ältere Kinder da waren, die ihm den Acker bestellen halfen. Der guten Mutter aber wurde oft die Munterfeit des Jungen an jenem Tage klar. Schon acht Tage darauf trat Christel in die neue Stelle ein.
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2. Der Gärtner wird Chemiker.
Christel Flizmeyer war achtzehn Jare alt gewesen, als er in die Gärtnerei des Gerbach 'schen Besiztums eintrat. Er hatte sich bald als sehr brauchbar gezeigt und einen höheren Lon erzielt, so daß er in kurzer Zeit sich städtische Kleider anschaffen fonte und dann auch nach und nach Bekantschaften machte, durch welche er mehr in das Leben einer Großstadt eingeweiht wurde. Dann aber waren die drei störenden Soldatenjare gekommen, welche seine Laufbahn unterbrachen. Doch hatte er noch insofern Glück, daß er in der Hauptstadt selbst in ein Regiment eintrat und seine Dienstzeit abmachen tonte. So war es ihm möglich, nebenbei noch manchen Groschen zu verdienen, indem er seine freie Zeit größten teils in der Gärtnerei verbrachte. Als aber die drei Jare herum waren und er„ des Königs Rock" wieder ausziehen konte, da trat er selbstverständlich seine Stelle als Gärtnerbursche wieder an, was ihm schon von vornherein zugesagt war.
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Fünf Jare waren vergangen, seit Christel Flizmeyer einen anderen Beruf ergriffen und sein Dorf mit der Hauptstadt vertauscht hatte. Fülte er sich unglücklich? nein, durchaus nicht. Die Gärtnerei war für ihn nur das nächstliegende und leichteste Mittel gewesen, um vor allem das erste Ziel zu erreichen: in der Stadt zu wonen. Christel würde ein anderes Mittel, das ihm die Erreichung dieses Zieles versprach, mit demselben Eifer, wenn auch vielleicht mit weniger Geschick, ergriffen haben. Nun hatte er das erste Ziel längst erreicht, er hatte das Leben einer Großstadt am Maßstabe seiner Verhältnisse kennen gelernt, aber er hatte zugleich auch gesehen, daß es noch ganz andere Lebensstellungen gab. Was war er denn in seiner Stellung als Gärtnerbursche oder gemeiner Soldat mehr als ein Bauernjunge im Vergleich zu den Leuten der anderen Stände und Gesellschaften? Wurde er nicht von so manchem, dem er sich gleich fülte und es sein wollte, von oben herab angesehen und mit Nichtachtung behandelt? Wenn es gelänge, noch eine, nur eine einzige Stufe höher zu steigen; man ist doch gleich mehr geachtet und verdient auch mehr Geld. Nur eine einzige Stufe höher! ja aber wie das nun anfangen?-
Das Gersbach'sche umfangreiche Geschäft war eine Zündwarenfabrik und hatte ein großes chemisches Laboratorium, in welchem die chemischen Stoffe gewogen, zubereitet und gemischt wurden. In diesem Laboratorium war eine ganze Anzal junger Leute be
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schäftigt, teils Studirte, teils auch Nichtstudirte; das ganze stand Christel unter der Oberleitung eines älteren, erfarenen Herrn. sah, daß die Leute aus dieser Abteilung der großen Fabrik mehr beachtet wurden als er, der einfache und kaum gekante Gärtnerbursche, denn als solcher gehörte er ja nicht zur Fabrik, sondern zu den Dienstboten, welche der Inhaber der Firma für sein Privatleben hielt. In dieser Stellung hatte er durchaus feine Aussicht höher zu steigen. Als Gärtnerbursche aber weiter zu ziehen, hinaus in die weite Welt, dazu hatte er keine Lust. Was sollte er auch draußen in der Welt? hier in der Hauptstadt seines Heimatlandes wollte er ein möglichst angenemes Leben füren, da gefiel es ihm; aber nur noch etwas höher steigen, nur noch eine Stufe. Auf dem Boden des Fabriklebens schien ihm ein günstigeres Feld zu sein, um sich höher hinauf zu schwingen. Mut, Fleiß, Ausdauer hatte er und auch noch mehr Leistungsfähigkeit traute er sich zu, als er bisher zu zeigen gehabt hatte.
Christel begann daher wieder nachdenklicher zu werden und zu grübeln, er suchte und forschte, und, wer sucht, sagt man, der findet auch.
Es war an einem schönen Sontagabend im Spätsommer, als Christel eine„ Partie" nach einem entfernteren Vergnügungsorte gemacht hatte und auf dem Rückwege kurz vor der Stadt in einem Bier- und Konzertgarten mit einer lustigen Gesellschaft zusammen kam, in welcher er sofort ein par junge Leute aus dem chemischen Laboratorium der Gersbach'schen Fabrik bemerkte. Man befand sich bereits in jener heiteren Stimmung, in welcher sich auch größere Standesunterschiede leicht für kurze Zeit verwischen. Auch Christel wurde erkant und als unser Gustav" begrüßt. Es schmeichelte ihm, in diesem Kreise wol gelitten und mit Achtung behandelt zu werden und als man sich gegenseitig aufforderte, noch etwas auflegen zu lassen", erbat sich Christel die Genemigung der verehrten Gesellschaft, noch ein Fäßchen auflegen zu lassen. Jubelnd wurde zugestimt und in wenigen Minuten war die Kneiperei wieder im vollen Zuge. Arm in Arm zog man erst spät in die Stadt ein.
Als Christel am anderen Morgen erwachte, hatte er zwar einen kleinen ,, Brummer", dennoch erinnerte er sich noch an alle Einzelheiten vom gestrigen Abend, besonders auch daran, daß einer der jungen Männer aus dem Laboratorium, der der lustigste gewesen war, ihn auf dem Heimwege noch angepumpt" und er demselben einer Taler gegeben habe. Christel hatte in der Hauptstadt wärend der fünf Jare doch schon manches gelernt, besonders hatte er es, wozu von Natur aus Anlage in ihm war, zu einem ziemlichen Grade von Schlauheit und Berechnung der gegebenen Vorfälle gebracht. Das Vorteilhafte der gestern gemachten Bekantschaft war ihm daher sofort klar und er beschloß, dieselbe auszubeuten. Der junge Chemiker hatte ihm überdies gesagt, als er ihn um Geld ansprach, daß er für die ganze nächste Woche kein Taschengeld habe. Wenn er, so rechnete Christel weiter es sich an einigen Abenden dieser Woche etwas Geld kosten ließ, so tonte er warscheinlich den jungen Mann für sich gewinnen und durch denselben vielleicht den Eintritt in das Laboratorium erreichen. Und so geschah es. Der Gärtnerbursche lud den Che miker durch einen Zettel auf den Abend zu einem Glas Bier ein, was dieser auch annam. Das wiederholte sich ziemlich jeden Abend, bis sie intime Freunde geworden waren und von nun an einander beizustehen sich mit Wort und Handschlag versprachen. Unser Fligmeyer erfur, daß im chemischen Laboratorium die Stelle eines Hülfsarbeiters frei sei, welche allerdings für einen Nichteingeweihten keinen besonderen Lon abwerfe, hingegen einem strebsamen jungen Menschen die Aussicht eröffne, weiter zu kommen. Da nun zugleich der Herbst stark im Anzuge war und die Gärtnerarbeiten weniger wurden, er also eher entbehrt werden konte, beschloß er sich für die freie Stelle zu melden. Der oberste Leiter des Laboratoriums wollte erst nicht darauf eingehen, weil er doch gar kein Verständnis für die Arbeit habe, da er aber als Gärtner ein sehr gutes Zeugnis vorzeigen konte und seinen innigen Wunsch hinzusezte, im Dienste des Herrn Gersbach zu bleiben, sich doch wol auch, meinte er, sich einer der Herren Chemiker bereit zeigen würde, ihm die nötigen Anweisungen zu geben, wobei er selbitverständlich das Versprechen seines Freundes Bumsdorf schon im Auge hatte, willigte der Vorsteher vorläufig wenigstens insofern ein, daß er gestattete, den Versuch zu machen, man werde ja bald sehen, ob er den an ihn zu stellenden Anforderungen gewachsen sei. Damit war Christel Flizmeyer einstweilen auch vollauf zufrieden. Wenn ich nur erst drin bin," sagte er zu sich selbst, werde ich selbst ,,, werde schon festen Fuß fassen und weiter kommen."