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in Gestalt einer Schlange dachten, daher Pausanias  - glaub' ich -äußert, fein Ort in Hellas, fast kein Bauernhaus, sei one ge­heiligte Schlange." Und was macht die steinerne Kreatur da? Sie verzehrt ihre Offa." Was frißt die Bestie? Die Offa." Was ist das?- Was ist das? ,, Offa? Nun Offa? Nun mein Gott!( ich wurde ungeduldig)- Offa ist der Opferkuchen." Das myto­logische Gespräch ging fort und ich fand zulezt, daß die Ent­stehung der Cherubim und Seraphim aus babylonisch- assyrischen  jüdisch anthropomorphisirten Tierfiguren den Herren Teologen gleichfalls fremd war. Nun weiß jeder von uns, daß ein jedes Studium oder praktisches Fachgebiet unermeßlich und unergründ­lich ist, sei es die Teorie der pickwichschen Froschsprünge oder die darwinsche Descendenzhypotese oder ein beliebiger Zweig der Me­chanik und ihrer Anwendung im Leben. Kein Sterblicher kann heute mehr gedacht werden, der die verschiedenen Richtungen un­seres Gedankenmeers jezt auf der Schwelle des 20. Jarhunderts noch in seinem Hirn zu vereinen, erschöpfend und gründlich zu beherschen imstande wäre. Ein jeglicher treibt, er sei wer er sei, blos nur ein Spezialfach Zeit seines Lebens, wie innig und weit auch sein dilettantisches Interesse mit allem, was die Welt be­wegt, sich liebevoll beschäftigen möge. Nur gibt es denn doch sonst wären wir gegenseits unverständliche Barbaren  - überall überall Berürungspunkte der Disziplinen und ein gewisses Gemeingut aller Gebildeten unseres europäischen Menschheitkreises, der über Amerika   und Australien  , sowie die Küstenländer von Afrika   und Asien   hin bis nach Japan   dem Sonnenaufgangslande sich füg­lich schon ausdehnt und in Frist kaum eines Jarhunderts alle Bewoner des Erdballs umfassen wird. In den gemeinsamen Ideenkreis der modernen Menschheit nun ist als Grundeigentum etwa folgendes aufgenommen und seltsam verschmolzen eingereiht: vor allem die jüdische Sage und Nationalliteratur, die griechische Mytologie mit dem Ueberrest ihrer dichterischen wie künstlerischen Verarbeitung und der Grundkern aller bisherigen Weltgeschichte: so ungefär von Cyrus und Xerxes   an bis zu Alexander und Cäsar. Dann freilich teilt sich mit der beginnenden Völkerwan­derung und der neutheistischen( ihrer Art dritten) Religion des Ara­berkaufmans von Mekka   das Interesse mehr national. Aber den Cid und Richard Löwenherz  , Barbarossa und Saladin  , Dshin­gisthan und Tamerlandiese Namen fent jedoch jeder gebil­dete Mensch, ob Christ oder Moslem, innerhalb der bezeichneten Erdstriche jezt schon und sie, diese Namen vereint mit Con­ fucius  , Kalidasa  , Zoroaster und Buddha, lernt künftig nach un­serer Ansicht jedes Schulkind auf der ganzen Erde kennen.

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So ist es auch änlich mit geographischen Dingen: die Namen Kap Horn   und Kap an sich, Kanal überhaupt und Suezkanal oder einst der von Panama 2c.- ein jeglicher solcher Wortklang allein ist dem Chinesen und Türken, dem Peruaner und missio­narisch geschulten Kaffern unzweifelhaft jezt oder bald wie ein heimatlicher Name betant. Bei dem bloßen sinlichen Sprachlaut Bol und Aequator   schwebt jedem gleich vor der Seele das un­gefäre Naturbild eisumstarrfen Todesschweigens und glühender Lebensfülle. So get es durch alle Wissenschaften. Die Schule vollbringt das Zauberkunststück des Puppenteaters: Perlicke- Berlockeda komt und verschwindet Bild um Bild in unserm Innern wie eine wechselnde bunte Erscheinung des Kaleidoskops oder Chromatropenapparats. Paris   und London  , Condur, Mam­muth, Krystall und Dryd- mit einem Schlage läßt jedes dieser flüchtig verhallenden Wörtchen bestimte ganz fest umgrenzte Vor­stellungsreihen in unserem Seelengrund auftauchen.

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Das sind Kinderwissen umfassende Schulbegriffe. Will aber jemand ein Lehrer der Gebildeten sein, so muß er über die obigen leise gezogenen, selbstverständlich ewig schwankenden- Grenzen hinaus in die beiläufig dort berürten Gebiete der allge­meinen wissenschaftlichen Bildung sich vertieft haben. Jeder nach seinem Zweige mehr oder minder; nicht jeder kann alles studiren. Ein Teolog treibt vieles, was der klassische Philolog nicht braucht; ein Naturforscher fümmert sich wenig, wenn er nicht ein Virchow oder Karl Vogt   ist, um die Quellenstudien der Archäologie u. s. w. Nun ist ja doch ein Töchterschullehrer präsumtiv Kenner der deutschen Klassikerdacht ich vor 8 Jaren! Wer aber das ist, meint' ich, muß die Grundlage der modernen Poesie und Kunst... und seien wir offen!- der höheren Geistesbildung aller Zu­kunst: die griechische Kunst und Literatur, so glaubt ich wenig stens damals, gründlicher kennen als ein beliebiger. Weinreisender. Wie erklärt sichs da, fragt' ich in jener Zeit vor dem Milliardenumschwung- daß namhafte, wirklich tüchtige, da­mals längst rühmlich bewärte Töchterschulpädagogen( sogar Diri­

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genten) mit diesen Grundlagen aller edleren Bildung, die uns allein vom chinesischen Materialismus retten kann, weniger ver­traut sind als irgend ein Son des Volkes, der auf seine Mittel­schulergebnisse durch Lektüre und Konversation gewonnene Edel­reiser des Blütenduftschmuckes unserer Nationalbildung sich ge­impft hat?!- Ich grübelte und fand als Erklärung den Grund: weil sie von einem ganz entgegengesezten, ganz und gar an= dersartigen Bildungsfundament ausgegangen sein mögen!" Diese teologisch erzogenen Schuldirektoren sie haben Dogmatik und griechisch- lateinische Kirchenväter, nicht Philosophie und Klas­siker; sie Kirchengeschichte, wir Universalhistorie( wie Kant   sagte) in weltbürgerlicher Absicht; und sie vielleicht auch Palästrina und Bach viel gründlicher als wir Philologen studirt, aber nicht Ra­phael und Phidias  ... nicht Anakreons Lieder, sondern Ambrosius' Hymne lernten sie singen.

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Hier muß ich rasch einschalten, um jedem Misverständnis vor­zubeugen, daran erinnern, daß eben dazumal, infolge der Schlie­mannschen Hissarlik- Eulenkopfneckereien, Karl Vogt   in der Frank­ furter Zeitung   höchst ergözlich über seinen gießner philologischen Gymnasiallehrer gescherzt und aus der Knabenzeit einige köstliche Späßchen öffentlich aufgetischt hatte. Ich war daher gewiß nicht in der Stimmung, einseitig die einseitige Philologenbildung zu vergöttern. Ich dachte damals und denke noch heute nicht ent­fernt daran, zu behaupten, daß ein Gelehrter wie jener Gießner, etwa mit einem Kezergeschichtschreiber Arnold oder einem Spener sogar und selbst einem Semler an edler, warhaft humaner Bil­zu vergleichen wäre.

Es fragt sich nur, was man als wirkliche Grundlage der All­gemeinbildung ansehen will; was man als Fundament der Geistes­zucht benuzen soll; worauf also Lehrer der mehr als Knaben vom banausischen Fachwesen freibleibenden- Mädchen, der künf­tigen Mütter und Erzieherinnen des Volkes hinzuwirken; worauf Vorsteher von gehobenen Töchterschulen vorzugsweis ihr Augen­merk zu richten haben; merk zu richten haben; welche Studienfächer mithin, wie etwa von Staatswegen Logik als erstes Anfangskolleg vorgeschrieben ist, ein Jüngling notwendig betreiben muß, der sich einst mit Leitung höherer Mädchenbildungsanstalten zu befassen gedenkt?

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Um Neujar 1873 herum ließ ein berliner Verein von Privat­töchterschulinhabern eine den hohen deutschen Staatsregierungen gewidmete Denkschrift" vom Stapel laufen, die mich von vornherein mit mancherlei Anklängen freierer Richtung, als ich in Weimar  sie kennen gelernt, bestach.

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Da fand ich( S. 4.) die Anerkennung, daß die Grundlage der deutschen Töchterschulbildung die deutsche Literatur" sein( S. 5.) und vorzugsweis" sein müsse; daß bei ihnen( S. 4.) auch in verzeihlicher Weise" Mytologie   im Vordergrund stehe, weil sie das Verständnis" der gräzisirenden klassischen Poesie und der bildenden Künste erleichtern helfe. Wenn dann ebenda( S. 14.) unter den Lehrgegenständen der Oberklasse zuvörderst Kunstge schichte und klassische Literatur des Auslandes" genant wurden: so stimte ich freudig bei; gleichwie ich nebenbei bemerkt, die Sache ist im schnelllebigen Gründerzeitalter schon etwas veraltet! - persönlich alle über die sogenante Oberklasse" dort zu fin­denden Ausfürungen meinerseits unbedingt billigte. Freundlichen Lesern, die mir bis hier gefolgt sind, raune ich nur arglos und one Präjudiz", wie der taube Ruysum sagt, als beinahe schon ebenso alter Invalide, zu: daß ich jede Art Privatschulerziehung für ein Nationalunglück halte; daß ich also jedenfalls kein Partei­gänger der mehrerwänten Verfasser jener berliner Denkschrift bin. Merkwürdig beschleicht es nur einen Greisenden, wenn er so un­erwartet auf Jugenderinnerungen gefürt wird, wie ich unwillkürlich darauf stieß, als ich in jener Denkschrift von 1873 fand, daß ich Jarzehnte zuvor als junger( 27 järiger) Dirigent one weiteres und natürlich one die leiseste Vorahnung, die von mir sofort- vor nur einem Menschenalter gegründete Oberklasse" meiner vaterstädtischen Töchterschule für höhere Bildung" fast buchstäb­lich genau in derselben Weise mir eingerichtet hatte, wie eben dort( S. 14.) die vielgenante, nun längst wol vergessene berliner Schrift es für ganz Deutschland   forderte und empfal.

Ein solches Zusammentreffen hat für mich zeitlebens etwas Bestechendes gehabt nach dem Grundsaz der Rechenlehrer: denselben Feler treffen höchst selten zwei, one sich gegenseitig be­raten zu haben, das richtige müssen alle gleichmäßig finden, wo also zwei übereinstimmen, ist von vornherein anzunemen, daß sie Recht haben.

Aber lassen wir nun jene weimarer Teologen und diese ber= liner Privatschulbesizer. Hier habe ich es feineswegs mit einer