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Wie die Germanen so belonten auch die Magyaren die Be­amten des Volkes mit einem ihrer Tätigkeit entsprechenden Grund­besiz, der nach dem Erlöschen des Amtes wieder an die Gesamt­heit zurückfiel, mit der Zeit aber erblich wurde. Der dem her­schenden Volke geleistete Amtseid entwickelte sich zum Treuege­Löbnis gegen den Fürsten , der wiederum die Macht derjenigen zu stärken bedacht war, welche die seinige unterstüzten. So ent­wickelte sich auch bei den Magyaren das Lehnsverhältnis. Als nun später die meisten Burgen als Lehen an Magnaten, Bischöfe und Klöster verschenkt wurden, erließen die neuen Besizer den Burg, Schloß und Klosteruntertanen die persönliche Kriegs­pflicht, wofür dieselben in den Un­tertanszustand oder in denjenigen der Leibeigenschaft versezt wurden. Zum Teil vollzog sich dieser Um­wandlungsprozeß ganz schmerzlos.

Kolb sagt in seiner Kultur­geschichte der Menschheit" über das Verschwinden der freien Kleingrund­befizer zur Zeit des Feudalismus: Um ihre Macht zu verstärken und ihr Ansehen zu vergrößern, mit anderen Worten: um selbst als Lehnsherren zu erscheinen und diese Stellung gegen Angriffe des Reichs­oberhauptes mit Nachdruck vertei­digen zu können, gaben die vor­maligen Vasallen nun ihrerseits einen Teil der von ihnen usurpirten Besiztümer an andere, geringere, unter der Bestimmung ab, daß diese ihnen den Eid der Treue leisteten. Als die ersten, bestimt ausgedrückten Verpflichtungen des Lehnsmannes finden sich aufgezeichnet: den Lehns­herrn im Kampfe zu unterſtüzen und an dessen Hof seine( des Lehns­mans) Gleichen richten zu helfen,- nebenbei ein Beweis der Fortdauer des Grundsazes, daß jeder nur durch seinesgleichen gerichtet werden könne, sodaß dem Lehnherrn nicht die geringste willkürliche oder selbst nur irgend eine unmittelbare Richtergewalt über seine Lehnsleute zustand. Noch tritt überhaupt der eigentliche Feudaldienst nicht hervor. Das ganze Verhältnis erscheint viel­mehr wie eine gegenseitige frei­willige Uebereinkunft; der eine über­läßt eine Länderei und verspricht seinen Schuz gegen Besizstörungen, der andre verheißt seinen Beistand, wenn es gelten sollte, die Person des Verleihers zu verteidigen, und gelobt seinen Arm, wenn jener über­haupt in einen Kampf verwickelt würde. Diese Uebereinkünfte finden sich in den früheren Zeiten nirgend wo mit den das spätere Feudal­wesen bezeichnenden Förmlichkeiten begleitet und nirgendwo geschiet anderer feudaler Dienstleistungen

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eines solchen Verbandes wurde, desto weniger vermochte der ein­zelne Freie ihnen gegenüber seine besten Rechte zu verteidigen. Auch suchten die Feudalherren ihre Grundholden insofern zu schonen, als sie die Lasten des Gemeinwesens im Uebermaß auf die vereinzelt stehenden Freien wälzten. Die Macht der Ver­hältnisse drängte also jeden, sich einem jener Verbände an­zuschließen."

Später hörte die Freiheit des Anschlusses auf und gewaltsam wurde der Kreis des Feudalismus erweitert und geschlossen. Aenlich ist die Entwicklung des Feudalismus auch in Ungarn erfolgt. Massenhaft ging der Uebertritt aus dem freien in das

Untertanenverhältnis namentlich zur

Zeit der Kreuzzüge vor sich, wo der geringe Edelmann von der Dienst­pflicht sich freizumachen suchte und in das Untertanenverhältnis zu dem Mächtigen trat. Bei dem Dunkel, das sich über den Jar hunderten des sich entwickelnden Feudalismus lagert, ist es schwer, speziell den einzelnen Phasen des Umwandlungsprozesses zu folgen. Man stet mit einemmale vor völlig abgeschlossenen Verhältnissen; die Zal der herschenden Klasse ist ge­waltig zusammengeschmolzen, die Großen unter ihnen rivalisiren mit einander und das Land hallt wider vom Lärm der zalreichen Tron­streitigkeiten, der Teilungen des Reichs und der Usurpationen der größeren Reichsbarone. Die große Mehrzal des ehemals freien Adels dient unter den Bannern der mäch tigen Feudalherren, anfänglich noch als halbfreie Lehnsleute, um später aus der Halbfreiheit in die völlige Dienstbarkeit und Leibeigenschaft zu versinken.

Kolb gedenkt bei der Schilde rung des Kulturzustandes unter den Karolingern" noch eines andern Momentes, das in Deutschland das Plazgreifen der Leibeigenschaft för­derte. Er schreibt:

Troz der Verbote der Könige befestigten sie ihre Höfe und bauten Schlösser zur Abwer wider den äußern Feind und Zwingburgen für die umliegende Gegend. Wenn schon früher Mangel an Unterhalt viele vermocht hatte, die Leute der Reicheren zu werden, so treten jezt Hungerjare ein, welche die Väter nötigten, ihre Kinder als Knechte zu verkaufen. Die Grafen miß brauchten ihre Gewalt, bis die freien Eigentümer ihnen ihr Gut auftrugen und es als Lehen zurüd empfingen; eine große Anzal von unfreien Dienstleuten oder Ministe rialen, die jezt das kriegerische Ge folge der Grafen und Bischöfe bil deten, bestand aus vormals freien Leuten. Sie gelangten auf diesem Wege nicht selten zu stattlichem Besiz, wogegen freilich die ärmeren Freien oder die das Verhältnis zu ihrem Lehns herrn nicht auszubeuten verstanden, zu Zinspflichtigen und Leib­eigenen herabjanken. So verschwanden die kleineren Bauern mit freiem Eigentum in Italien und Frankreich fast ganz, Deutschland erhielten sie sich etwas zalreicher in einzelnen Ge­genden, in den Hochgebirgen des Südens und an den Küsten der Nordsee .

Der Leierschwanz.( Seite 503.)

Erwänung. Bei den immermehr überhandnemenden Unruhen und der allgemeinen Unsicherheit konten die Kräfte des einzelnen Freien nicht mehr ausreichen, sein Bejiztum und sein gutes Recht selbst zu verteidigen. Das Lehnsverhältnis schien zunächst nur eine wechselseitige Unterstüzung in Fällen der so oft eintretenden Not zu bilden. So kam es denn, daß einzelne Freie sich un­bedenklich in jenes Verhältnis begaben, daß sie ihr freies allo­diales( durch's Los ihnen überwiesenes) Besiztum in ein feudales verwandelten, daß sie dem Häuptlinge eines solchen Verbandes Treue gelobten und damit insbesondere die Verpflichtung der Verteidigung seiner Person und der Heerfolge übernamen, wogegen derselbe ihnen Schuz wider jegliche äußere Störung versprach.

Was anfänglich blos einzelne taten, geschah allmälich in immer weiterer Ausdehnung; je größer die zal der Angehörigen

in

die

Vieles läßt sich von diesen Ursachen auch auf Ungarn a wenden. Die Feudalherrn gaben sich wenigstens alle Mühe, Leibeigenschaft zu verallgemeinern. Die Rechtsunsicherheit, der Misbrauch der feudalistischen Gewalt spielen auch in Ungarn eine Rolle. Bei der fast ägyptischen Fruchtbarkeit Ungarns iſt das