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Klausel zwar aus dem Geseze, da der Reichstag   dieser einseitigen Aufhebung aber niemals seine Genemigung erteilte, trat sie auch nie in Kraft. Bei jeder Gesezesverlegung stand den un­garischen Edelleuten das Recht des bewaffneten Wider­standes gegen den König zu.

Ein weiteres Privilegium war die ausschließlich politische Be­rechtigung, deren sich der Edelmann erfreute. Jeder Edelmann hatte nämlich, und nur der Edelmann, auf den Komitatsversam­lungen sowol für sämtliche innere Angelegenheiten, als Beamten­wal, Besteuerung u. s. w. als auch für die Deputirtenwal eine Virilstimme; nur er war fähig, die Stelle eines Gespanes oder Vizegespanes, eines Stulrichters oder Vizestulrichters sowie eines Geschworenen zu bekleiden. Auch als Reichstagsdeputirte waren nur Edelleute zulässig und die bürgerlichen Vertreter der Städte ( eine jede wurde durch einen Edelmann repräsentirt) genossen als solche den Rang eines Edelmans. Selbst die höheren geist­lichen Stellen waren gesezlich nur den Edelleuten zugänglich, ob­gleich hier schon in früherer Zeit Abweichungen vorkamen.

Für alle diese Privilegien trug der Edelmann nur zwei Lasten: er konte bei außerordentlichen Ausgaben des Landes vom Reichstage außerordentlich besteuert werden, und zweitens war er verpflichtet, seiner Zeit das Vaterland in eigener Person und auf eigene Kosten zu verteidigen.

Bis zum Jare 1687 behauptet die ungarische Aristokratie das Walrecht der Könige. Durch die im Jare 1713 publizirte prag  matische Sanktion wurde das Erbfolgerecht der Habsburger   auch auf die weibliche Linie des Hauses Habsburg ausgedehnt. Beim Aussterben der mänlichen und weiblichen Linie fiel das Recht der freien Königswal wieder auf die ungarischen Reichsstände d. h. auf den Adel zurück. Nach der pragmatischen Sanktion mußte der König innerhalb 6 Monaten nach der Tronbesteigung gekrönt werden. Vor seiner Krönung muß der König die Freiheiten, Geseze, Gewonheiten, Privilegien des Landes in einem auszu­fertigenden Diplom bestätigen, zu deren Beobachtung er sich selbst eidlich verpflichtet." Dieses Krönungsdiplom enthält die Bestim­mung, daß der König sich verpflichtet, die Tronerbfolge, sowie die Krönungsbestimmungen und Formalitäten und die Rechte und Privilegien der ungarischen Nation( des Adels), wie sie in der gol­denen Bulle Andreas II.   aus dem Jare 1222, welche die Charta magna der Ungarn   ist, festgestellt sind, zu respektiren; in ihr sind die Rechte und Obliegenheiten des ungarischen Volkes punktweise aufgezält. Der Artikel 31 derselben enthält das Recht des Adels, dem Könige im Fall einer Gesezesverlegung mit bewaffneter Macht entgegen zu treten. Joseph II.   wich der ungarischen Krönung anfänglich aus, um zuerst seine Reform durchzusezen. Leopold II.  fonte nur gefrönt werden, nachdem er die Rechte des ungarischen Adels bestätigt hatte.

Faßt man all diese Rechte zusammen, deren Ursprung zum größten Teil auf die Einrichtungen der ältesten Zeit sich zurück­füren läßt, dann findet man sie nirgends in so entwickelter Form in Europa   und in der Geschichte selbst nur höchst selten.

Auf der einen Seite, also auf der der Bauern, die Ernärung der Aristokratie, das Tragen der gesamten Gemeinde- Staatslast; auf der Seite der Aristokratie dagegen der Vollgenuß aller poli­tischen Rechte und auf der der Bauern wiederum fast absolute Rechtlosigkeit.

Will man die Einwirkung dieser Adelsherschaft auf die Ent­wickelung des Volkes kennen lernen, so genügt es schon, auf die gänzliche Verkümmerung des Straßenwesens hinzudeuten. In der Mitte unseres Jarhunderts betrug die Gesamtlänge aller chaussirten, regelmäßigen Straßen in dem mehr als 6000 Quadrat­

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meilen großen Lande kaum 400 Meilen. Nicht minder vernach lässigt als der Bau der Landstraßen war der Zustand der Wasser­straßen. Keine Stromregulirung, keine Dämme, keine Kanäle.... weite Sümpfe an den Üfern der Ströme, die sich bei Hochwasser wegen des Mangels schüzender Dämme oft in meilenweite Seen verwandeln.

Bei dieser Vernachlässigung der Verkehrswege fällt allerdings noch ein anderes Moment etwas entschuldigend ins Gewicht. Die magyarisch- slavischen Völker Ungarns   besizen im allgemeinen keinen oder nur geringen Sinn für das Städteleben und für den Handel. Ihre ersten Städte wurden von Deutschen   gegründet und den deutschen Gemeindeverfassungen die ungarischen nachge­bildet. Deutsche   und Juden sind es, die den ersten Verkehr or­ganisiren und in deren Händen heute noch fast ausschließlich der ungarische Handel liegt. Den Ungarn   felt das lebendige Interesse für gute Land- und Wasserstraßen, die deutschen und jüdischen Händler nemen ihnen ihre Produkte ab, wie sie ihren Weg zu Sen Hauptstapelpläzen fanden, das war deren Sache.

Das Hauptmotiv der Vernachlässigung der Verkehrswege, so­wie überhaupt zalreicher Uebelstände im öffentlichen Leben, bildet immer die ungleiche Verteilung der Lasten. Der überbürdete Bauer konte und der verschwenderisch lebende Edelmann mochte feine Opfer bringen. Unter der Adelsherschaft verkümmerte auch das Schulwesen und litt die allgemeine Sittlichkeit. Wäre es mög­lich gewesen, vom ungarischen Volke den Feudalismus und die Leibeigenschaft fern zu halten, dann würde das ungarische Volk heute auf weit höherer Kulturstufe als derjenigen stehen, die es in Wirklichkeit einnimt. Das gleiche ließe sich freilich auch von Deutschland   und den anderen Ländern und Völkern sagen, welche das Joch des Feudalismus getragen, wäre er ihnen erspart ge­blieben, hätte eine gleichmäßige Entwickelung stattfinden können, die betreffenden Völker ständen jezt ganz anders da und die Ge­bildeten würden nicht von den bäuerlichen Elementen durch eine so weite Kluft auf allen Gebieten des geistigen Lebens geschie= den sein.

Als Ungarn   in den Kampf gegen Desterreich trat, um seine Freiheit und Selbständigkeit zu erringen, da gab seine Aristokratie eine glänzende Probe ihres Freisins. In hochherziger Weise das Beispiel der französischen   Revolution nachahmend, hob der Reichstag   unter Verzicht auf alle Entschädigung die Leibeigen­schaft auf. Der Erfolg dieses Schrittes var ein änlicher wie der­jenige, welchen der Befreier der preußischen Bauern, der klar­blickende Stein, erzielte. Der glühende Freiheitssinn der unga­rischen Bauern fand nicht zum geringsten Teile in der Aufhebung der Leibeigenschaft, in dem vollen Verzichte des Adels auf alle aus derselben resultirenden Rechte und Privilegien seine haupt­sächlichste Narung.

Der ungarische Bauer ist schließlich anders frei geworden, als die Patrioten es gewünscht; die Freiheit kam den Bauern etwas teurer zu stehen, als ursprünglich beabsichtigt und be­schlossen war.

Die Bauern sind, wie wir schon hervorgehoben haben, seitdem ein sehr eifriges politisches Element geworden, doch dürfte es noch lange wären, ehe sich die lezten Spuren der Unterdrückung und Leibeigenschaft verloren haben werden.

Es get den Bauern wie den Juden, welche heute noch in ihren Physiognomien, an Körper und Geist die Spuren der schreck­lichen Vergangenheit voller Verfolgung und Unterdrückung an sich tragen, die in christlicher Zeit über sie gekommen sind.

Einige Jarzehnte können aber nicht das wieder gut machen, was in Jarhunderten gesündigt worden ist.

Cin kleiner Streber.

Ein Stück modernsten Menschenlebens.

3. Der Chemiker wird ein Gauner. Die Gersbach'sche Zündwarenfabrik hatte in der etwa zwanzig Meilen entfernten bedeutenden Provinzialstadt eine nicht zu unter­schäzende Konkurrenz. Hatte man früher schon alle Hebel in Be­wegung sezen müssen, um diese Konkurrenz auszuhalten, so schien das unmöglich geworden zu sein, seit die Buckenhagen'sche Fabrik seit einiger Zeit eine neue Zündmasse lieferte, welche dem früheren Präparate bedeutend vorgezogen murde, also viel grö­Beren Absaz fand, deren Zusammensezung aber bisher ein tiefes

( 1. Fortsezung.)

und, wie es schien, nicht zu entschleierndes Geheimnis war. Herr Gersbach hatte mit seinen angestellten Chemikern schon verschiedene Beratungen gehabt, er hatte eine hohe Belonung für denjenigen ausgesezt, der ihm die Lösung des Geheimnisses verschaffe; es waren von ihm angestellte tüchtige Chemiker nach der Nachbarstadt gereist in der Hoffnung, durch Anknüpfen von persönlichen Bekantschaften oder auf irgend eine andere Weise dahinter zu kommen, aber alle derartigen Versuche und Unter­nemungen waren bisher ganz und gar erfolglos geblieber..