Die cene Well

43.

Illustrirtes Unterhaltungsblatt für das Volk.

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Erscheint wöchentlich. Preis vierteljärlich 1 Mark 20 Pfennig. In Heften à 30 Pfennig. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postämter.

Behntes Kapitel.

Herschen oder dienen?

Roman von 2. Kautsky  .

Seit zwei Tagen bewonte Elvira Bianca nicht mehr das Hotel Danieli. Die Zimmer, die nach der Riva gingen, waren ihr zu heiß, zu geräuschvoll gewesen. Sie wünschte Ruhe, Küle, und doch daneben Luft und Licht.

In Venedig   war es keine leichte Aufgabe, alle diese Bedin­gungen zu erfüllen, aber Eugen ließ es sich aufs äußerste an­gelegen sein. Er hatte Kommissionäre und Agenten in Bewegung gesezt und war tagelang ausschließlich damit beschäftigt gewesen, die einlaufenden Anträge durchzusehen, die in Vorschlag gebrachten Palais aufzusuchen, ihre Lage in Betracht zu ziehen, die Anzal und Einrichtung der Gemächer zu studiren und dabei zu kom­biniren, ob und inwieweit dies alles Elvira's Geschmack und ihren Anforderungen zu entsprechen vermöchte. Er war entsezlich geplagt gewesen, der arme Mann, und doch hatte er noch immer nichts gefunden, das er ihr anbieten zu können glaubte. Aber dem Beharlichen blüht der Erfolg, und er war so glücklich, ein wares Juwel ausfindig zu machen, ein Unikum für Venedig  , das seine Erwartungen übertraf und ihre weitgehendsten Anforderungen befriedigen mußte.

Am rechten Ufer des Kanal grande, wo er schon breiter wird, unweit der Dogana di Mare, wo seine Szenerie am lebhaftesten sich gestaltet, erblickt man, eingeschoben zwischen Palästen und Kirchen, eine etwas vorspringende, am Wasser liegende Terrasse. Zu beiden Seiten derselben zeigen sich massive Mauern, marmorne Bilaster, die jedoch nicht über die Höhe eines Erdgeschosses sich erheben. Es ist die begonnene Fassade des Palazzo Venier  , die eine der herlichsten und imposantesten des Kanal grande werden sollte. Es get die Sage, der Patrizier und Handelsherr Venier hätte den Bau dieses Palastes in der boshaften Absicht unter­nommen, damit einem Gegner und kaufmännischen Rivalen einen Streich zu spielen. Dieser besaß den Palazzo vis- à- vis und er rühmte sich, von seinen Fenstern aus die herlichste Fernsicht zu Er sah auf die gegenüber liegenden Gärten nach dem Kanal della Giudecca   und auf die grüne Insel, und noch über diese hinweg am äußersten Horizont die Lagune. Aber dieser Vorteil ward ihm nicht gegönnt, und Venier beschloß, ihm die vielgerühmte Aussicht zu verbauen. Dieser Racheplan ward sofort ins Werk gesezt, die Gründe gekauft und der Bau mit immensem Lurus begonnen. Er wurde bald unterbrochen. Der gleich rürige und gleich erboste Gegner hatte heimlicherweise alle Wechsel, welche

haben.

VI. Leipzig, 23. Juli 1881.

1881.

( 16. Fortsezung.)

Signor Venier ausstehen hatte, zusammengekauft, und nun sein Hauptgläubiger geworden, wußte er den Bau nicht nur zu hinter­Es gab treiben, er richtete seinen Feind vollständig zugrunde. unter diesen reichen Patriziern Venedigs   die unversönlichsten Gegner, die aus kleinlichster Habgier gegen einander wüteten. Dieser Bau nun ist bis heute unvollendet und wird es wol immer bleiben. Aber hinter dem großen Eisengitter, das das Portal schließt, bemerkt das Auge eine grünende Dase, dunkle Lauben und Gebüsche, und Platanen und hohe Cypressen ragen über die Mauern selbst, ein woltuender Anblick jedem vorüberfarenden. Ja, hier liegt ein reizender, wolgepflegter Garten, der einzige am Kanal grande, und in demselben stet ein einstöckiges, villen­artiges Häuschen, mit einer Veranda, von der eine freie Treppe in den Garten fürt. in den Garten fürt. Ein spekulativer Franzose hatte es an sich gebracht und es geschmackvoll und nach französischer Weise möblirt und eingerichtet. Er hatte den Garten in seiner ursprünglichen Ueppigkeit belassen, ihn nur verschönt und mit einem Spring­brunnen und allerlei Ruhepläzchen versehen. Künstler, die täglich zwei Napoleons   für ein so allerliebstes Heim bezalen konten, pflegten sich hier einzumieten. Ein Maler, der sich durch sein Genie eine Million erworben, hatte es soeben verlassen und es war noch nicht wieder vergeben, als Eugen davon erfur. Es besichtigen und sogleich einen Kontrakt auffezen, der ihn auf vier Wochen zum Herrn dieses Hauses machte, war eins.

Seit zwei Tagen nun war Elvira hier installirt, und sie war voll Entzücken und warhaft befriedigt. Eugen blieb nach wie vor im Hotel Europe, aber er hatte von dort aus nur schräg den Kanal herüber zu schiffen und er landete an den breiten Marmorstufen, die zur Terrasse fürten.

An diesem Nachmittage saß er in dem an Elvira's Boudoir anstoßenden kleinen Salon, dessen eine Tür auf die Veranda ging, die reich mit den herlichsten Blumen und Blattpflanzen geziert war. Er hatte mit Elvira dinirt und er vertrieb sich die Zeit, wärendder seine Schöne Siesta hielt, mit dem Durchblättern einiger Journale und dem eifrigen Bürsten seines blonden Backen­bartes. Einigemale erhob er sich, und obwol der dicke Teppich, der den ganzen Fußboden bedeckte, seine Schritte unhörbar machte, trat er doch vorsichtig und nur mit den Zehen auf, stellte sich an die Tür, die nach der Veranda ging, sog ein bischen frische Luft ein und ließ sich dann wieder auf dem Balzac   nieder. Er hatte es gelernt, bescheiden und geduldig zu sein, der gute Eugen. Nicht einmal in Gedanken wagte er, sich über diese Stunden