Ortskentnis verschafft, in der folgenden Nacht durch das offene Fenster in das Laboratorium gestiegen sei und das Rezept ab­geschrieben habe. Nachdem nun von der Fabrik in B. wieder eine Verbesserung erfunden worden, habe er geglaubt, auf demselben Wege ebenfalls zur Kentnis derselben zu gelangen, was ihm aber auf die bekante Weise misglückt sei.

Es ist selbstverständlich, daß auch der Fabrikinhaber Gens­bach samt seinem chemischen Laboratorium mit in die Untersuchung verwickelt wurde. Christel Flizmeyer aber wurde die ganze Zeit in Haft behalten. Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage wegen zweimaligem Einbruch und Diebstal; ein zweiter Antrag aber, von dem Eigentümer der chemischen Fabrik in B. erhoben, lautete auf Schadenersaz. Denn one den das erstemal verübten Diebstal hätte die Firma ihr Geheimnis allein für sich behalten und es verwerten können, dadurch aber, daß auch Gensbach dieselbe Zünd­ware zu liefern instand gesezt worden, war dem Antragsteller ein bedeutender, in Zalen nachweisbarer Schaden zugefügt worden. Die Staatsanwaltschaft machte auch diesen Antrag zu dem ihrigen.

6. Das Ende vom Liede.

Es braucht kaum erst besonders ausgesprochen zu werden, daß diese Angelegenheit im ganzen Lande, besonders aver in der Ge­gend der beiden Städte und noch mehr in den industriellen Kreisen sehr großes Aufsehen erregte. Am meisten Teilname hatte man für den sonst so ehrenhaft und geachtet dastehenden Herrn Gens­

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bach, der ja selbst von diesem Meuschen so schändlich belogen worden war. Wie Gensbach selbst unter den unerbittlichsten Vor­würfen, die er sich machte, unsäglich litt, läßt sich nicht ausdrücken. Mein ganzes Ve migen wollte ich hingeben, noch einmal von vorne anfangen, wenn ich es zurücknemen könte, mich mit diesem Spizbuben eingelassen zu haben."-Aber alle Vorwürfe und Selbstanklagen, alle Wünsche und Verwünschungen halfen nichts, die Sache nam ihren vorgezeichneten Gang. Unter einem sehr starken Zudrange des Publikums fand die Schwurgerichtsver­handlung statt. Das Zeugenverhör nam mehrere Stunden in Anspruch, umsoweniger die Beratung der Geschworenen. Christel Flizmeyer wurde wegen doppelten Vergehens zu 3 Jaren Ge fängnis und 6 Jaren Ehrverlust verurteilt. Hinsichtlich des Schadenersazes lautete das Urteil für Flizmeyer, da nachgewiesen wurde, daß er bedeutenden Nuzen aus seinem Diebstal gezogen, auf 1000 Mart, für Gensbach aber auf 36 000 Mark. Lezterer wurde überdies zur Tragung der Kosten verurteilt; Frau Sophie verkaufte alle die schönen Möbel, auch ihren Schreibtisch in der guten Stube, gab die Wonung auf und bezog mit ihren zwei Kin­dern ein einfaches Stübchen, vier Treppen hoch, wo sie durch Nähen und Waschen den nötigen Unterhalt zu verdienen suchte. Herr Gensbach verkaufte seine Fabrik, machte, nachdem alles ab­gewickelt war, erst eine große Reise und zog dann mit all seinen Angehörigen in eine ganz andere Gegend, one jedoch ein neues Geschäft zu errichten.

Kirchweihtanz in Oberbayern. ( Illustration S. 520-21.) Freude, schöner Götterfunken! sang einst ein begeisterter Dichter, hin­gerissen von der beseligenden Wirkung dieser Tochter aus Elysium, wie er sie entzückt nent und tausende von frölichen Menschen haben es seitdem ihm nachgesungen. Es ist das Lied an die Freude, zu welchem diese selbst dem Dichter die Worte geliehen und das Saitenspiel in die Hand drückte. Deshalb braust sein Lied in so vollen und mächtigen Accorden einher, weil seine ganze Seele von Freude erfüllt war, und deshalb findet es in jedem frobewegten Herzen einen so lebendigen Widerhall. Gesang ist eben ein natürlicher Ausdruck der Freude, wie es der Tanz ist. Ja beide, Gesang und Tanz, sind im Grunde Ge­schwister, von der nämlichen Mutter geboren, deren heiteres Siegel noch heute die Stirn ihrer beiden Lieblingskinder schmückt. Das ist ganz gewiß wenigstens da der Fall, wo sie zusammen in echt ge= schwisterlicher Eintracht auftreten und, wie in den ältesten Zeiten, bei den ersten natürlichen Völkern, noch zu untrenbarer Einheit verbun­den sind.

So war es noch das ganze Mittelalter hindurch. Der Leser erin­nere sich jenes Tanzliedes Walthers von der Vogelweide, welches die ,, Neue Welt" in ihrem lezten Jargange zur Besprechung brachte, und ver­gleiche die dortigen Ausfürungen, wenn nötig, mit den hier gemachten kurzen Bemerkungen. Das aber das dort gesagte selbst heute noch bis zu einem gewissen Grade zutrifft, dafür ließen sich Beispiele genug mit wenig Mühe auffinden. Unser Bild zeigt uns ein solches aus neuester Zeit. Es stellt einen oberbayrischen Kirchweihtanz dar, wie die Unter­schrift besagt. Man betrachte es einmal genau, und jede weitere Er­klärung scheint überflüssig. Freude ist auch hier die Triebfeder aller Handlung, wie in dem Schillerschen Gedichte, Freude in den mannig­faltigsten Gestaltungen, von dem innigen Behagen in dem Gesichte des zuschauenden Alten bis zur ausgelassensten Lust der tanzenden Pare. Zumal die lezteren sind mit sprechendster Lebendigkeit gezeichnet. Unter ihnen ist es wieder das vordere, den Mittelpunkt des Bildes einnemende Par, welches unsre Aufmerksamkeit besonders fesselt. Tänzer und Tän­zerin sind, nach der Sitte des bayrischen Volkstanzes, von einander ge­trent und tanzen einander gegenüber, bald näher, bald entfernter, bald aufeinander losfliegend und sich umschlingend, wobei der Bursche das Mädchen mit lautem Jauchzen hochemporschwingt immer aber bleiben sie in innigster Wechselbeziehung zu einander. Die Bewegungen des Mädchens atmen dabei, bei aller Hingabe an die Freuden des Tanzes, mehr Anmut und weibliche Zurückhaltung. Aus der Haltung der Arme dagegen, die in die Seite gestemt, der ganzen Gestalt Abgeschlossenheit und Leichtigkeit der Bewegung verleihen, ersiet man, daß es der hübschen und keineswegs schwächlichen Dirne auch an jenem fräftigen Selbstbe­wußtsein nicht felt, wie es gesunden Naturen eigen ist. Sie weiß es, daß sie die beste unter den Tänzerinnen des Dorses, daß aller Augen vornemlich auf sie gerichtet sind, und sie fült sich in diesem Bewußtsein ihres Wertes voll und ganz, nicht one einen leisen Anflug von mädchen­hafter Gefallsucht. Ihr Tänzer bildet den ergänzenden Gegensaz zu ihr. Seiner mänlichen Natur entspricht es, daß er seiner Lustigkeit durch keine Rücksicht, keine Bedenklichkeit einen Zügel auferlegen läßt. Seine Bewegungen drücken daher vor allem Kraft, Ausgelassenheit und ungebundenste Lust aus, auf Grazie komt es ihm dabei weniger an. Der Tanz wird bei ihm zum Sprung; Hände und Füße arbeiten gleich mäßig dabei mit, und die Brust stimt durch lauten Juchheeruf in die freu­dige Bewegtheit der anderen Glieder ein. Jauchzender Beifall und Hut­

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schwenken von Seiten des Zuschauers rechts auf dem Bilde antwortet den Ausbrüchen seiner Frölichkeit, und von ferner her ertönt ermunternder Zuruf und langgezogener Jodler, mit welchem neue Ankömlinge von dem Gebirge her sich dem Schauplaze der allgemeinen Lustbarkeit nähern. Es ist eben Kirchweih, und an diesem Tage, dem in gewisser Weise wichtigsten Festtage des ganzen Jares, hat der Bauer ein altes, wolerworbnes Recht, sich auszutollen nach Herzenslust, ein Recht, das er sich durch niemanden und in keiner Weise verkürzen läßt. Was zur Erklärung unsres Bildes noch zu sagen wäre, ist mit wenig Worten getan. Von dem zweiten Pare auf der linken Seite des Bildes gilt im all meinen dasselbe, was sich von dem im Vordergrunde tanzenden sagen läßt. Die Musik ist durch einen Flötenbläser und Citerspieler vertreten. Flöte und Citer sind ja bekantlich die beiden volkstüm lichsten Instrumente des bayrischen Hochlands, und wie dürften sie bei einem Kirchweihtanze felen! Die übrigen Personen des Bildes bedürfen feiner Beschreibung weiter, da sie für sich selbst sprechen, so z. B. der an dächtig zuschauende ,, Bua" im Vordergrunde links, der am liebsten noch einige Köpfe größer und zehn Jare älter wäre, um auch mit springen zu können und den Dirnen im Dorfe zu zeigen, daß auch er zu tanzen verstet und zu jauchzen dazu. Doch nur Geduld, mein Junge, die Zeit tomt auch noch.

Aber, wird der Leser fragen, inwiefern ist dieser oberbayrische Kirch­weihtanz denn ein Beispiel dafür, daß Gesang und Tanz noch heute bei den Volkstänzen Hand in Hand gehen? Denn das sollte er doch wol sein und zu einer Art von Beweis für die oben gemachten Bemerkungen dienen. Zu einer Art, ja! nicht aber zu einem erschöpfenden Be weismittel. Ein lezter Rest von Gesang hat sich auch hier erhalten, wenn auch nur in urwüchsigster und deshalb kaum erkenbarer Gestalt. Ich meine die jauchzenden Freuderufe, die Juchzer und Jodler, in denen sich die ungebändigte Lustigkeit der Tanzenden wie der Zus schauer unausgesezt Luft macht. Was sind sie anderes als ein kräf tiger Ansaz, ein unvollkomner Anlauf zum Gesange, der nur einer passenden Gelegenheit bedarf, um in Melodien, das heißt in wirklichen Gesang überzugehn? So darf man in einem gewissen Sinne auch unser vorliegendes Beispiel als einen Beweis jener ursprünglichen Einheit von Gesang und Tanz ansehen. Sie beide zusammen vermögen erst den vollen Becher der Freude ganz zu erschöpfen. indem sie sich geschwister­lich darein teilen, selbst da, wo der Trieb zum Gesange sich nur erst in einem Aufjauchzen der freudig bewegten Menschenbrust zu ers fennen gibt ,, Lasset uns singen,

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Tanzen und springen!"

das ist noch heute das Losungswort für jeden frölichen Menschen, wie es vor tausenden von Jaren war, und so lange das Menschenge schlecht bestet und die Natur ihre Ordnung nicht ändert, wird es immer so bleiben.

Kunterbunte Reminiszenzen.

Shakespeare's ,, Shylok " in dem Drama: Der Kaufmann von Venedig " war in Wirklichkeit kein Jude, sondern römisch- katolischer Christ. Dem Drama liegt nämlich folgender historische Tatbestand zu Grunde. Zur Zeit Papst Sirtus' V. erhielt ein christlicher Kaufmann, Baolo Maria Secchi in Rom , auf Privatwegen die brifliche Nachricht von der Eroberung der Stadt San Dominiko auf der Insel Hispaniola .