Der Mond war noch höher gestiegen, Jasmin und Rosen dufteten und wieder schlug die Nachtigall. Eine süße Wehmut legte sich ihr ums Herz, ein Nachzittern des Glückes, ein Sehnen, daß es sich ihr erneuern möchte, ein Bangen, es fönte ihr ver­loren gehen. Sie stieg nach der Veranda hinauf und begab sich in das kleine Boudoir. Es war von mehreren Lampen erhellt, rote Schirme von zartdurchbrochenen Seidenspizen dämpften in sanfter Weise das Licht, das allen Gegenständen einen warmen Schimmer und dem Schatten selbst noch weiche Töne verlieh. Wundervoll beleuchtete es in diesem Augenblick die weißbekleidete Gestalt und das schöne Gesicht Elviras, die sich in einen niedern, bequemen Fauteuil gesezt und den Kopf gegen das Polster zurück lehnte. Madame Douais stand vor ihr und sprach einige Worte sanften Vorwurfs, sich solange der Nachtluft auszusezen, die Elvira indes nicht zu hören schien.

Aber, geliebtes Kind, wenn Sie nicht zu dem Banket gehen wollen, so werden Sie doch zuhause soupiren?" fragte Madame Douais.

,, Nein," sagte Elvira.

Madame Douais legte teilnemend und zärtlich die Hand auf das dunkle Har, das in lang aufgelösten Locken niederwallte. ,, Sie sind recht erschöpft, Mademoiselle, Sie sind so blaß; ach, die Aïda ist auch zu anstrengend. Sie haben Sich wol wieder einmal ganz hinreißen lassen? Aber Sie müssen etwas zu Sich nemen, gewiß, Sie müssen."

Elvira machte eine Bewegung der Ungeduld, dann scheinbar diesen Bitten nachgebend, sagte sie: Lassen Sie mir ein Glas Wein serviren, bitte."

,, Bordeaux oder Champagner?" fragte Madame. Was Sie wollen."

Die Gesellschaftsdame trat in den Salon hinaus. Elvira allein, stüzte den Arm auf das Gesimse des Fensters und blickte in die ruhige Nacht hinaus. Nicht ein Zweig schien sich da draußen zu bewegen, in ihrem Herzen stürmte es noch fort. Plözlich fur sie zusammen. Tritte kamen durch den Garten, sie näherten sich. Eine elegante Männergestalt trat auf die Veranda und sah nach ihrem erleuchteten Fenster. Sie preßte die Hände meinander, ihr Atem stockte. Soll ich ihn empfangen, heute noch?" fragte sie sich. Ihre Wangen wurden noch blässer, aber in ihren Augen sprüte es entschlossen auf. Was geschehen muß, das soll sogleich geschehen!"

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Einige Minuten später meldete Madame Douais: Monsieur

le baron!"

Elvira nickte.

Der Baron ward eingefürt. Als er Elvira noch in ihrem Deshabillé in ein Fauteuil zurückgelehnt fand, blickte er so über­rascht, daß sie ein schwaches Lächeln nicht unterdrücken konte.

Ah," sagte er, und seine Hand mit dem seinen Handschuh zerrte an seinem blenden Barte ,,, wir verzehren uns in Sehn sucht und Ungeduld und Sie ſizen hier, unbekümmert um unser Schicksal, und haben auch noch nicht einmal angefangen, Toilette zu machen; o, Elvira, das ist nicht edel."

Sie preßte die Lippen zusammen, sie antwortete nicht, sie veränderte nicht ihre Stellung. Das Mädchen brachte Wein und Backwerk, sie servirte es auf einem kleinen Tischchen, das sie zu Elvira heranschob.

,, Sie wollen noch vorher Erfrischungen genießen?" fragte Eugen, noch konsternirter.

Ja, Baron, denn ich werde das Banket nicht besuchen." Ihre Stimme klang eigentümlich matt. Sie werden einen Grund finden, der mich entschuldigt."

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,, Es existirt also fein wirklicher, und es ist dies eine bloße Laune, Elvira?"

Sie ergriff das Glas mit Bordeaux gefüllt und leerte es auf einen Zug, dann winkte sie Madame Douais zu sich. Sie haben Sich heute nicht ganz wol befunden, Sie sollen nicht länger wachen. Begeben Sie sich zu Bette." Und dann zu ihrer Kammerjungfer: Sie warten, bis ich klingle; im Augenblick bedarf ich Ihrer nicht."

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Das Mädchen ging hinaus. Madame Douais reichte ihr die Hand. Gute Nacht, Mademoiselle," sagte sie im Tone wirklicher Ergebenheit, aber bleiben Sie selbst nicht zu lange auf, liebes Kind, Sie sind der Ruhe warhaft bedürftig. Ich werde nicht eher einschlafen, bis ich Sie nicht in Ihr Schlafzimmer eintreten gehört." Sie verbeugte sich vor dem Baron und ging in das anstoßende Schlafzimmer Elviras, um durch dieses in ihr eigenes zu gelangen.

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Elvira und Eugen blieben allein. Er war auf und nieder­gegangen, er hatte die Handschuhe ausgezogen und sah erwartungs­voll nach dem jungen Weibe hinüber, das seinen Plaz noch nicht verlassen hatte, und das ihm in dem weißen, losen Gewande, das die vollendet schönen Formen ihres Körpers nur erraten ließ, und auf das das Lampenlicht rosa Tinten zauberte, idealisch schön erschien. Er zog jezt ein Fauteuil an ihre Seite und ſezte sich zu ihr.

,, Elvira," sagte er zärtlich und absichtlich seine Stimme zu einem diskreten Flüstern dämpfend, ich bin es wol zufrieden, wenn Sie vom Banket wegbleiben, wenn mir dadurch das Glück zuteil wird, den Abend hier in Ihrer Gesellschaft zu verbringen."

Sie hob den bisher geneigten Kopf, den die dunklen Locken umflatterten: Ja, Herr Baron, ich bitte Sie, hier zu bleiben, ich habe mit Ihnen zu sprechen."

Elvira, Sie sind ein Engel!" rief er entzückt, sich ihr zu­neigend; als er ihr aber ins Gesicht sah, frappirte ihn die auf­fallende Blässe desselben. Sie sind doch wol, Elvira? Es war mir bisher nicht in den Sinn gekommen, darnach zu fragen, ja nur diese Möglichkeit vorauszusezen, aber nun erwacht die Be­sorgnis, es könte-"

Ich bin ganz wol, Baron, beunruhigen Sie Sich nicht um meinetwillen," sagte sie kalt.

Er sah sie an und dann mit absichtlicher Auffälligkeit im Zimmer umher. Sind wir denn nicht allein, Elvira? Oder doch? Warum also dieses kalte Baron? Ich dächte, unter uns hätte ich ein Anrecht auf einen vertraulicheren Titel."

Sie preßte die Hände fest ineinander, sodaß die Nägel tief in das Fleisch schnitten.

Ich weiß nicht, ob ich Ihnen dieses Recht jemals eingeräumt habe, Baron." Ihre Stimme, die fast tonlos geklungen, ver­suchte sich zu festigen. Jedenfalls verlont es heute nicht mehr der Mühe, es geltend zu machen. Es ist die lezte Stunde, in der wir uns hier allein und one Zeugen gegenüber stehen, wir werden uns trennen."

,, Was wollen Sie damit sagen?"

Ich gehe nach Amerika ."

" Sie sind von Sinnen, Elvira! Nach Amerika ! Was haben Sie in Amerika zu suchen? Sie sind kaum in Europa bekant; aber Ihr Glück ist endlich begründet, Ihr Ruhm eilt Ihnen voraus. Ehre, Geld, Vergötterung, alles was Ihren Ehrgeiz reizt, was Sie erlangen wollten, es wird Ihnen in den großen Städten unsres Kontinents im reichlichsten Maße zuteil werden. Was brauchen Sie Amerika ? Nein, Sie dürfen nicht nach Amerika , und Sie hätten recht, alsdann eine zeitweilige Trennung zwischen uns vorauszusezen, denn ich bin nicht gewillt, Ihnen dahin zu folgen."

Sie schlug die großen Augen zu ihm auf und sah ihn an ernst und fest. Und ist denn unser Schicksal so enge aneinander geknüpft, daß es nicht auf immer von einander zu trennen wäre? Sind wir nicht beide frei? Bleiben Sie- ich gehe." ,, Ah, diese Reise nach Amerika ist eine Drohung." ,, Gewiß nicht, sie ist eine Flucht."

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Eine Flucht, vor mir?!" rief er mit einem ironischen, etwas geckenhaften Auflachen.

Ihr Blut wallte auf, ihre Erregung, die sie so mühsam ge­meistert, brach stürmischer hervor. Und wenn es so wäre! Und wenn ich mich dahin retten wollte, um Verhältnissen zu entgehen, die mir leider zu spät- gleichbedeutend erscheinen mit Er­niedrigung und Schmach?"

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,, Elvira," rief Eugen ,,, halten Sie ein, wie können Sie so sprechen, wissen Sie auch, daß Sie mich beleidigen, daß Sie Sich selbst beleidigen?!"

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Ihre Augen flamten auf. Weil ich endlich, endlich mit dem richtigen Gefül auch den richtigen Namen gefunden habe! Baron , meine unerfarene Jugend konten Sie irrefüren, ihr konten Sie die lockere Moral unsrer Gesellschaft predigen, sie an deren Fri­volitäten so sehr gewönen, daß Sie ein unwürdiges Verhältnis als etwas zu Recht bestehendes hinstellen, es als etwas selbst­verständliches preisen durften; dem reifenden Weibe ist die Erkent­nis gekommen und damit das innigste Bedürfen, sich diesem un würdigen Zustande zu entziehen. Ich will frei sein! Losgebunden will ich sein von allem, was mich seit langem bedrückt, beengt, was mich tief im Herzen unglücklich machte. Ich kann nicht länger in diesem Verhältnisse leben, glauben Sie es mir, und darum will ich fort, um mit einem Schlage alles zu ändern, alles von mir zu weisen, was mich noch an die Vergangenheit