in militärischer Ordnung durch die Dörfer. Durch das Lärmen wollen sie den Frühling verkündigen, obschon sie dabei oft noch im Schnee waten müssen. Indem sie manchmal eine Deklamation zum besten geben, sammeln sie von Haus zu Haus Gaben in Naturalien oder Geld und verteilen diese dann unter einander oder laden für den Nachmittag die Mädchen zum Feste ein. In einem Hanse verzehren dann die Kleinen die erhaltenen Kasta nien, Nüsse 2c. und trinken Rahm oder ein Gläschen Wein dazu.
An den Winterabenden, namentlich am Sontag, halten die meist aus gemischten Chören bestehenden Singgesellschaften- für Männerchöre felen infolge der häufigen Auswanderungen vieler jungen Leute oft die nötigen Stimmen- ihre regelmäßigen Uebungen ab, und dann und wann finden kleine Gesangsfeste statt. Erwänenswert sind weiter noch die heiteren Gelage, welche man in den Weinkellern, den sogenanten„ Grotten", von Bondo und Castasegna an Herbstsontagen beobachten kann. Namentlich wenn der Wein gegen Cleven( Chiavenna) hin gut geraten ist, pflegen sich die Unterbergeller hier zu belustigen. Jene Grotten sind natürliche Felsenkeller, in denen die wolhabenden Familien ihren Wein aufbewaren, in deren manchem oder in den darüber gebauten Zimmern, sowie auf den Pläzen ringsum aber auch zugleich das köstliche Getränk verschenkt wird. Man sizt da hei melig an steinernen Tischen beisammen, oder auf einer kleinen Terrasse im Schatten der Kastanienbäume, und genießt den herlichen Anblick auf die besonders in Abendbeleuchtung unbeschreiblich schöne Landschaft. In der Nähe des Dorfes Castasegna bilden sich unter den Kastanienbäumen die Grotten durch allerlei größere und kleinere Felsenklüfte und Spalten, welche erweitert und in Keller verwandelt worden sind, in denen eine dem Weine zuträgliche Küle herscht.
Mit besonderer Vorliebe wird das Schüzenwesen gepflegt, und außer bei den dann und wann stattfindenden Schießübungen trifft man tüchtige Schüzen auch bei der Wildjagd. Es gibt in den einzelnen Gemeinden immer einen oder mehrere Jäger, die sich eines besonderen Rufes erfreuen; so vor einigen Jaren und vielleicht jezt noch namentlich Pietro Soldani in Stampa , Giovanni Gianotti in Montaccia und Giacomo Scartaz zini in Promontogno .
Soldani, ein mehr als Sechzigjäriger, der sich immer durch große Geistesgegenwart, Intelligenz und Geschicklichkeit in verschiedenen Arbeiten auszeichnete, war von großer und breiter Ge stalt und seltener Körperkraft. Er hatte sich im Jägerhandwerk schon früh, als die Gemsen im Bergell noch häufiger waren als jezt, wo sich ihre Bal auch hier bedeutend vermindert, geübt. In seinem 17. Jare schoß er die erste Gemse, im dritten Jare seines Jägerlebens schon 18 Stück. Im ganzen soll er 1100 bis 1200 dieser Tiere heimgebracht haben; einmal erlegte er in einem Jare allein 49, zweimal in einem Tage 4, öfters drei und wiederholt 2 durch einen Schuß. Gianotti erschien einige Jare jünger als der vorgenante, ebenfalls ein großer, starker und überaus gesunder Mann. Gleich jenem geschickt in allen Arbeiten, machte er den Eindruck eines gutherzigen, verständigen und fleißigen Menschen. Er hatte bis vor einigen Jaren 700-800 Gemsen, dreimal 4 in einem Tage und ebenfalls schon oft zwei mit einem Schuß erlegt.
Der in Thusis ( ein am Eingange der Via mala äußerst romantisch gelegenes Dertchen) ansässige Pfarrer Dr. Lechner erzält in seinem interessanten Werfchen über das Bergell folgendes. " Beide Jäger( Soldani und Gianotti) waren stets trene Gefärten und teilen dann übungsgemäß den Gewinn. Selten bleiben sie mehr als zwei Tage aus. Sie treiben die Jagd meist blos nebenbei, nicht professionsmäßig. Ihre Ausrüstung ist äußerst einfach; von Fußeisen, Haken, Eisen am Stock, Steigseilen und dergl. keine Spur. Hellgraue Kleidung, ein ledernes Ränzlein mit etwas Brot, käs und Fleisch( selten auch Spirituosen), ein Doppelstuzer mit genug Munition und ein leichter, nicht sehr langer Stecken ist alles, was sie mit sich nemen. Fest und sicher schreiten sie so über die steilsten Halden und Schneeflächen, erklimmen kaltblütig zinnen und Backen am Rande schwindelnder Abgründe oder springen über weite Klüfte. Vor Sonnenaufgang pflegen sie in den Gemsrevieren zu sein, trennen sich dann oft und treffen abends an bezeichneten Stellen wieder zusammen. Sie schießen zwar sicher auf weite Distanzen und selbst im Laufe, trachten jedoch den Tieren möglichst nahe zu kommen, ja, ist der Wind günstig, so unterlassen sie es, auf mittlere Entfernung zu schießen und scheuen selbst weite Umwege nicht, um näher zu sein.
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Dann fordert aber jeder Schuß sein Opfer. Auf den Schultern zwei Gemsen, an den Tragriemen der Tasche befestigt, betreten sie noch Pfade, die dem gewönlichen unbeladenen Bergsteiger schwer zugänglich wären. Soldani, wenn er allein ist, kehrt in der Regel früh nach Hause zurück, Gianotti spät. Jener macht sich, wenn der Mittag one besondere Aussicht vorbei ist, auf den Heimweg; dieser versucht oft noch bei Sonnenuntergang sein Glück. Sie gingen öfters auch auf einige Tage ins Ober- Engadin( Rosegund Fertal). Andere als Scartazzini namen sie nur ausnamsweise mit sich."
Von seinen vielen Abenteuern erzält Soldani selbst u. a. das folgende:" Ich jagte im Spätherbste am Piz Duan und verwun dete gegen Abend zwei Gemsen. Da ich aber nicht mehr Zeit hatte, sie bei dem tiefen Schnee zu verfolgen, wollte ich es am andern Morgen tun und trat den Heimweg an. Ich mußte über eine steile, verkrustete Schneefläche schreiten, wobei ich mit den Füßen fest einstampste. Plözlich bricht der Schnee los, es bildet sich eine Lavine, und ich stürze mit hinunter. Eine Zeit lang kann ich mich stehend halten, indem ich von einer Scholle zur andern springe. Bald faßt mich aber eine solche am Rücken, ich falle und weiß nichts mehr von mir, bis ich mich erstickend füle und mir durch einen starken Ruck mit dem Kopfe Luft verschaffe. 3um Bewußtsein gekommen, liege ich mit dem Gesichte abwärts, der Körper im Schnee fest, die Arme mit den Riemen des Stuzers und Waidsackes zurückgebogen. Mit aller Mühe arbeite ich mich heraus und erkenne nun, daß ich mitten im Val Camp bin. Mit der Lavine war ich über haushohe Felsen heruntergestürzt, - eine Strecke, zu der man aufwärts eine Stunde braucht. Der Stuzer war ganz ruinirt; ich fülte überall Schmerzen, besonders in der linken Hüfte, und nach einem sauern Gange war ich nachts 11 Uhr zu Hause." Ein anderes mal rutschte er ebenfalls mit losgebrochenem Schnee dem Rande eines tiefen Abgrunds entgegen, wärend eine Lavine ihm nach eilte; plözlich aber stand sein Stock, in eine Felsspalte eingeklemt, fest, die Lavine rollte an ihm vorüber, und der Jäger war wie durch ein Wunder gerettet. „ Einmal verwundete er" so wird weiter von ihm berichtet - einen schönen Gemsbock tötlich, und dieser legte sich auf einem Pläzchen an einer Felswand ganz nahe unter ihm nieder. Da derselbe nicht verendete und Soldani nicht schießen wollte, ließ er sich herunter und packte ihn mit der Linken an den Hörnern, um ihm mit dem Messer das Blut zu nemen. Der Bock drückt sich aber gegen die Wand und stößt somit den Jäger hinaus auf den Rand des Abgrundes. Dieser, um sich zu retten, sucht jezt das Tier hinabzustürzen, doch dabei färt ihm die Spize eines Hornes in die Hand. So hängt der Bock über dem Abgrunde, und der Jäger kann sich nicht losmachen. Da hat er noch so viel Kraft, das Tier schwebend zu halten, wärend er ihm mit der rechten Hand den Todesstoß gibt, so daß er es endlich an sich In Roseg fiel er einst bald nach Tagesanbruch ziehen kann. in eine tiefe Gletscherspalte, one hoffen zu können, daß Freund Gianotti seine Spur finden werde. Mit großer Besonnenheit und Ausdauer arbeitete er sich durch Einhauen von Stufen empor, kam erst nachmittags 4 Uhr wieder ans Tageslicht und hatte seinen Stuzer nicht im Stiche gelassen."
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Scartazzini ist, wie schon im vorhergehenden angedeutet, zuweilen der Jagdgefärte Soldanis und Gianottis, besonders wenn man im Engadin jagte, gewesen. Früher war er Lieutenant bei den bündner Scharfschüzen und beschäftigte sich dann meist mit der Landwirtschaft. Er war, im Anfang der siebenziger Jare schon fast im Greiſenalter stehend, unterſezt und sehr ausdauernd, übrigens bedächtig, phlegmatisch und schüchtern. Seine Ruhe und Kaltblütigkeit in der größten Lebensgefar, sowie seine Kunst im Treffen auf weite Distanzen wurden ganz besonders hervorgehoben, und man pflegte von ihm zu sagen, daß jede seiner Kugeln Blut mache. Beim Gemeindeschießen trug er in der Regel die erste Prämie davon. Auch er hatte eine große Anzal Gemsen erlegt, bis fünf in einem Tage und bis siebenzehn in einer Woche. Einmal verkletterte er sich, eine angeschossene Gemse verfolgend, in der Nähe von Vicosoprano dermaßen, daß er erst am anderen Morgen durch Soldani gerettet zu werden vermochte.
Ueberhaupt wird in der Bondasca( ein stark bewaldetes, felsenumschlossenes Seitental der Bergells), wo Scartazzini wonte, dem edlen Waidwerk fleißig obgelegen, da man hier noch häufiger als in den anderen Teilen Graubündens Gemsen und Bären antrifft. Auf die Jagd- und Schonzeit pflegt man dabei nicht allzu ängstlich Rücksicht zu nemen.