TB

Die Feene Well

Illustrirtes Unterhaltungsblatt für das Volk.

4.

Erscheint wöchentlich.

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Preis vierteljärlich 1 Mark 50 Pfennig. In Heften à 35 Pfennig.

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Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postämter.

Im Kampf wider alle.

Roman von Ferdinand Stiller.

,, Ganz recht," nickte der Jurist, indem er durch seine goldene, mit mattblauen Gläsern versehene Brille einen forschenden Blick über Herrn Specht's Gesicht gleiten ließ. Ganz recht! Und das wäre grade so ein Gütchen, das ich mir an Ihrer Stelle, bester Specht, zulegen würde. Ein Gut, so groß wie manches Ritter­gut- in reizender Lage- Sie sind ja ein großec Naturfreund billig zu haben ein hübsches Schlößchen oder eine prächtige Billa leicht zu bauen, da an dem famosen Flüßchen der Seife­das ist ein Gedanke, was meinen Sie, lieber Herr Specht?"

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Der Rechtsanwalt hatte sein Haupt anscheinend ganz un­befangen über sein Glas gebeugt, als gäbe es in den Fluten des Rheinweins wichtiges zu schauen. Dabei schielte er aber sehr vorsichtig seitwärts über die Brille hinweg und beobachtete un­ausgesezt Spechts breites Gesicht.

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Ach, das ist ja doch nichts für mich," entgegnete dieser. " Schon wegen der Fabrik da, die der Stein errichtet, und dann fomt ja wahrscheinlich Sie werden's wol ganz genau wissen, verehrtester Herr Rechtsanwalt- die neue Haltestelle der Eisen­bahn so zu liegen, daß der Transport von der Fabrik nach der Bahn immer quer durch das Gut des Weidenbauern gehen wird, und dafür möcht' ich natürlich danken."

Daß die Haltestelle so gelegen sein wird, ist richtig," sagte der Rechtsanwalt langsam, das scharfe Aufmerken seines Tisch­nachbarn wol warnemend. Aber den Transport der Fabrifgüter braucht sich der Besizer fraglicher Felder einfach nicht gefallen zu Lassen."

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Die Wege dort nach der Bahn sind also--" Privateigentum des Weidenbauern," vollendete der Rechts­anwalt die zögernd gesprochenen Worte Spechts .

"

Ah, ah!" Herr Specht fonnte seine Befriedigung ob dieser Auskunft nicht verbergen.

Das ist allerdings schon was andres; aber nein," fügte er hinzu, als er plözlich in das mephistophelisch lächelnde Gesicht des Rechtsanwalts jah, für mich ist's doch nichts, da gäb's ewige Reibereien und Aerger, und ich will jezt meine Ruhe haben; ich war immer ein Feind von Zank und Streit, das weiß der liebe Gott."

Des Rechtsanwalts Gesicht hatte wieder seine gewöhnliche be= häbige Ruhe und Heiterkeit angenommen. Er antwortete nicht und nickte nur. Gleichzeitig griff er nach einer Zeitung.

"

Entschuldigen Sie mich einen Moment, lieber Herr Specht," sagte er. Es fällt mir eben ein, daß ich heute noch nicht die

VII. Stuttgart , 22. Oftober 1881.

1882. [ 1881]

( 3. Fortsezung.)

berliner Börsenkurse eingesehen habe, und das muß ich im In­teresse verschiedener meiner Klienten unbedingt tun."

Er entfaltete sein Blatt so, daß sein Gesicht für Herrn Specht völlig dahinter verschwand. Dann studirte er nicht die Börsen­kurse, die auf dem Blatte rechter Hand oben zu lesen standen, sondern den Eisenbanfahrplan, der sich auf demselben Blatte_ganz unten befand. Er mußte sofort gefunden haben, was er suchte, denn er legte das Blatt mit der Bemerkung: Nichts neues, ab­solut nichts neues," rasch beiseite. Dann sah er nach der Uhr und rief wie überrascht:

Ich glaube gar, es geht schon auf neun. Da muß ich ja eilends fort. Ich habe heut noch eine Conferenz in einer drin­genden Hypotekensache, verzeihen Sie mir, geehrter Herr Specht ."

Er trant gegen alle Kennergewohnheit den Rest seines Weines rasch aus, zalte und verließ das Lokal, nachdem er dem ob dieses so unerwartet eiligen Aufbruches etwas erstaunten Specht mit vieler Herzlichkeit die Hand geschüttelt hatte.

Bum bischöflichen Palais

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An der nächsten Straßenede stieg der Rechtsanwalt in eine Droschke, nachdem er dem Kutscher mit gedämpfter, aber sehr ent­schiedener Stimme zugerufen hatte: so rasch ihr Pferd laufen kann; wenn ich zufrieden bin einen Taler Trinkgeld." Das Droschkenpferd war ausnamsweise gut und der Kutscher fur, daß die Funken stoben und die Vorübergehenden kopf­schüttelnd stehen blieben, es war ein Ereignis, wenn man ein schüttelnd stehen blieben, Droschkengefärt so schnell dahinjagen sah.

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In wenigen Minuten hielt der Wagen vor dem Palais. Der Rechtsanwalt hieß den Kutscher warten und läutete an dem Glocken­zug, der rechts von dem mächtigen Portale angebracht war.

Bu Seiner Hochwürden, dem Domherrn von Lysen, aber geschwind, in sehr dringender Sache," herschte er dem Portier zu. Der späte Besuch wärte nur kurze Zeit, dann erschien der Rechtsanwalt wieder, sezte sich in seine Droschke und befal dem Kutscher: ,, Ebenso rasch als bisher nach der Eisenbahn!"

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Des folgenden Tages fur Herr Specht nach denselben Ban­hofe. Er löste sich ein Billet zweiter Klasse zur Reise nach Station Buchenfels. Der würdige Herr sah ungemein aufgeräumt aus; er lehnte sich behaglich in den Polstersiz des Eisenbahn­