Die reue Well
№ 6.
Illustrirtes Unterhaltungsblatt für das Volk.
Erscheint wöchentlich.
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Preis vierteljärlich 1 Mark 50 Pfennig.
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In Heften à 35 Pfennig.
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postämter.
Im Kampf wider alle.
Roman von Ferdinand Stiller.
,, Und ich als jüngster Fuchs möchte bei dieser Gelegenheit meine Verehrung für unsern Senior an den Tag legen, indem ich ihn nach bestem Wissen und Gewissen als den Bauch der Couleur bezeichne!"
Das bemoste Haupt Faß nickte dem hoffnungsvollen Fuchs verständnisinnig zu, der Sprecher aber befundete gar keinen Gefallen an dem Wiz, sondern verdammte vielmehr den Fuchs zu zwanzig Schoppen pro poena, in bar zu entrichten an die Bibliotek fasse, wegen ungebürlichen Benemens, und den Senior Faß desgleichen zu zehn Schoppen bar wegen üblen Beispiels.
Nachdem die Ruhe wiederhergestellt war, fuhr Guido von Frank, der den ihm dargebrachten Ovationen mit külem Lächeln zugehört hatte, fort.
Das akademische Leben der Gegenwart erlaube den Studenten im allgemeinen nur die Vorbereitung zur Teilname an den kulturfördernden Strömungen des öffentlichen Lebens, indessen sei es falsch, sich mit einer wissenschaftlichen Vorbereitung zu begnügen, ganz abgesehen von jenen Handwerkern und Kleinkrämern der Wissenschaft, deren Geist arm, deren Herz enge genug sei, sich mit fachwissenschaftlichem Studium und Berufsbestrebungen genügen zu lassen. Freilich hätte der nach den höchsten Zielen menschlichen Geistesvermögens strebende Mensch zunächst nach wissenschaftlicher Universalität der Erkentnis zu streben, einer Universalität, die ihn nicht etwa mit Detailwissen anzufüllen habe, gleich einem KonversationsLexikon, sondern die ihm vielmehr in den Endresultaten des Forschens und Erkennens seiner Zeit auf allen Wissensgebieten eine systematisch zusammenhängende Uebersicht über dieselben gewäre und ihn auf die Höhen des Denkens seiner Kulturepoche erhebe, von denen aus sein Urteil dringen könne, soweit hin als nur möglich, in die Fernen des vergangenen und gegenwärtigen Menschentreibens. Aber neben dieser universalen Ausbreitung des wissenschaftlichen Strebens müsse man von vornherein auch das praktische Leben der Gegenwart im Auge behalten, sich mit ihm vertraut zu machen suchen, umso mehr als man in einer Zeit lebe, welche ungeheure Fortschritte auf politischem Gebiet gezeitigt habe, in einer Zeit, in welcher die deutsche Nation zum ersten mal zu einem starten, zukunftssicheren politischen Ganzen zusammengeschmolzen, in einer Zeit ferner, in welcher der uralte Kampf zwischen weltlicher und geistlicher Herschaft deswegen endlich zu einem aussichtsreichen und sieghaften sich gestaltet habe, weil der Staat gleichfalls zum erstenmal in aller Macht und felsenfestem Vertrauen auf das blanke, schneidige Schwert der modernen
1882.
[ 1881]
( 5. Fortsezung.)
| Wissenschaft stüze und den Kamps wider die Kirche zu der Sonnenhöhe eines Kampfes um die Kultur, um die höchsten Güter des Menschenlebens erhoben habe. In diesem gewaltigen Ringen der weltlichen Macht beizustehen, sich ihr ganz hinzugeben, sei die erhabene Aufgabe der deutschen Jugend und das glorreiche Strebeziel der reformirten Burschenschaft Suevia.
Der Tendenzvortrag war zu Ende. Der Redner, welcher den lezten Teil desselben mit weithindrönendem Organ und leidenschaftlicher Betonung, sowie mit großem deklamatorischen, man fönte fast sagen, schauspielerischem Geschick vorgetragen hatte, ließ sich nieder. Die Bundesbrüder umdrängten ihn, stießen mit ihm an, ließen ihn hoch leben, so daß es dem Sprecher noch schwerer fiel, als zuvor, sich Gehör zu verschaffen. Am begeistertsten zeigte sich wieder das bemoste Faß, dem die feierliche Rürung dicke Tränen über die Wangen trieb und der nicht umhin konte, den famosesten Kerl auf Gottes Erdboden, wie er Guido von Frank nante, einmal um's andere von hinten her zu umarmen und zu küssen auf's Haar, auf den Nacken, aufs Ohr oder wohin er sonst eben traf.
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Aber auch diesmal ließ die allgemeine Begeisterung den, dem sie galt, ungemein fül. Er wehrte all den Sturm und Drang tunlichst ab und trieb den Sprecher an, in der Tagesordnung des wissenschaftlichen Abends fortzufahren.
Der Sprecher fragte, ob jemand zur Diskussion über den Tendenzvortrag das Wort wolle.
So wie es sonst bei den Vorträgen und Reden Franks herging, geschah es auch heute. Es traute sich keiner recht nach ihm zu demselben Tema zu sprechen, und schon wollte der Sprecher zu dem einzigen Punkte, der noch auf der heutigen Tagesordnung stand, nämlich geschäftliche Mitteilungen, vorzüglich Neuanschaffungen und Geschenke für die Bibliotek und die Bestimmung der Aufgabe des nächsten wissenschaftlichen Abends übergehen, als sich Faß erhob und den Antrag stellte, der heutigen Tendenzvortrag Frants möge auf Kosten der Kouleur und im Umschlage mit deren Farben geziert gedruckt werden, er sei bereit, ein patriotisches Lied dazu zu dichten, welches die Aufgabe des Kulturstudenten, wie er den von Frank gezeichneten Mustermenschen genant wiffen möchte, so recht ergreifend an's Herz lege, ein sangbares Gedicht, natürlich nach einer populären Melodie.
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Dieser Vorschlag entrüstete den Sprecher und wurde von niemandem, am wenigsten von Frank ernst genommen, zu großem Aerger des wackeren Fasses. Nur der Fuchs Haßler unterstützte