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Von Edinburg in's Hochland.

Vierter Reisebrif aus Schottland von L. Biereck.

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Zur Statistik Schottlands : Der Import von Leith, Areal und fulti­virte Fläche. Beschäftigung und Wolstand des Volkes. Die Fisch weiber von Newhaven. Portobello , Linlithgow und seine Schlachtfelder. König Robert Bruce . Stirling . Die Szenerien des Hochlandes.

Edinburg hat gegenwärtig etwa 235 000, Leith, mit dem es zwar nicht politisch, aber kommerziell und tatsächlich ein Gemein­wesen bildet, etwa 58 000 Einwohner. Hierzu kommen noch einige angrenzende Gemeinden wie Granton, Newhaven und Portobello, so daß zur Zeit etwa 3 million Menschen oder ziem lich der elfte Teil der gesamten Bevölkerung Schottlands in und um Edinburg vereinigt sind. Dieser Bedeutung entspricht der Verkehr in dem Hafen von Leith. Ich gebe die Ziffern des Imports nach der amtlichen Statistik, weil sie in doppelter Be­ziehung interessant sind. Zunächst beweisen sie, absolut betrachtet, den Aufschwung, den die schottische Hauptstadt nimt, und zweitens geben sie ein sprechendes Bild, wie die Segelschiffart in änlicher Weise von der Dampfschiffart verdrängt wird, als wir bei der Kriegsmarine die Subſtitution von Eiſen für Holz kennen gelernt haben. Es liefen ein

im Jare

Segel Schiffe.

1852

4012

261 360

1858

3840

1875 2301

1880

Tonnengehalt Dampfer Tonnengehalt 670 83 926 4682 275 970 1024 150 301 4864 304 201 1853 534 479 4154 1684 261 407 2674 678 793 4358

Total

Schiffe und Tonnengehalt 350 286 426271 838 680 940 200

Die Anzal der Schiffe hatte sich also verringert, die beförderte Gütermenge aber ziemlich verdreifacht welcher Gewinn für den internationalen Reichtum! Ein großer Teil des Imports bestand aus Getreide, da Schottland bei seiner dermaligen Be­wirtschaftung außer Stande ist, seine Bewohner zu ernären, und zwar weniger deswegen, weil das Land das nötige Getreide nicht selbst hervorbringen könte, als weil die sozialökonomischen Ver­hältnisse in der bedenklichsten Weise zerrüttet sind. Einige Ziffern mögen sprechen.

Tas Areal Schottlands beträgt 19 496 132 Afres( 1 Hektar 2,471 Akres). Von diesen sind nach den Angaben von Minoprio ( Jarbuch für Volks- und Staatswirtschaft aller Länder der Erde, Berlin 1880) überhaupt nur in wirtschaftlicher Benuzung 4 669 221 Akres, d. h. über drei Vierteile des Landes sind der Wirtschaft entzogen und gleichzeitig auch fast ganz nuzlos für die Menschen, da im ganzen nur 734 490 Afres mit Wald bestanden sind! Noch bedenklicher erscheinen diese Ziffern, wenn man in Betracht ziet, daß von den in Kultur genommenen 42 millionen Akres nur rund 2 millionen der Produktion menschlicher Narungspflanzen ( namentlich Hafer, Rüben, Gersie und Kartoffeln) dienen, wärend das ganze übrige Areal entweder als permanente Weide dient oder aber nur zur Vichfütterung bestellt wird. Wenig mehr wie ein Zehntel des ganzen Gebietes dient also direkt zur Erzeugung der menschlichen Narung, wenig mehr wie ein und ein halbes Behntel schafft die Narung für die vorhandene eine million Kinder und 7 millionen Schafe oder enthält den für jedes Land un entbehrlichen Waldbestand das ganze übrige Schottland ist öde und leer! Welcher Gegensaz zur Schweiz , wo, ungeachtet der vorhandenen großen Gletscherflächen, gerade das umgekehrte Ver­hältnis stattfindet, nämlich one den Flächeninhalt der im Kanton Zürich vorhandenen Gärten 71,6% des Gesamtareals produktiv

verwendet werden!

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Wie die Schotten sich beschäftigen und ernären, zeigt uns die Gewerbestatistik, deren jüngste Aufnahme vom Jare 1871 folgende Biffern aufwies, in welche Kinder und Angehörige mit eingerechnet sind:

Gelehrte und Beamte

Landwirtschaft

Männlich

Weiblich CO 755 172 707

67457

Diener und Dienstboten

38 836

382 960

364 237

155 345

128 258

8: 6 605

123 142

849 711 152 331

Handel

Gewerbe

Unbestimt

Zusammen

1 584 345 1 727 999

Zusammen

128 212 211-543

747197

283 603 1 666 316 275 473 3 312 344

Es entspricht der Natur der überwiegend in Viehzucht be­stehenden Landwirtschaft, daß nicht einmal ein Viertel der Ge

samtbevölkerung in ihr Beschäftigung fanden. Besser ist der Stand der Gewerbe und der Industrie, welche die Hälfte des Volkes ernären. Einen großen Anteil daran nimt die Montanindustrie, die im Jare 1874 nicht weniger wie 18 665 612 Tons Kolen und 3 655 553 Tons Eisen oder Eisenerze zu Tage förderte. Fabriken 154 919 Arbeiter beschäftigte, darunter aber nur 44 269 Relativ bedeutend ist auch die Textilindustrie, welche in 680 weiß, daß durchschnittlich auf 100 Mädchen 106 Knaben geboren mänlichen Geschlechts! Diese Tatsache gibt zu denken. Man werden und trozdem steht die vorhandene Anzal der Bewohnerinnen zu derjenigen der mänlichen Schotten im Verhältnis von 100 zu 100, bei den in der Textilindustrie beschäftigten Personen sogar in dem außerordentlich unnatürlichen Verhältnisse von 259 zu 100. Wir werden gleich sehen, wie dieses Ueberwuchern der Frauenarbeit den Anteil der Arbeit an dem Produkte noch ge­ringer stellt, als dies in Großbritannien onehin der Fall ist. Einkommensteuer in dem Vereinigten Königreiche oblag, hatten Nach der Schäzung der Behörden, welchen die Erhebung der die in dem Fiskaljare 1876 77 etwa vorhandenen 332 millionen Einwohner ein Einkommen von

570 331 389 Pfd. St.

und davon die etwa den neunten Teil der Gesamtbevölkerung bildenden Schotten

54 441 576 Pfd. St.( c. 1160 millionen Mark). Wir sehen also, daß nur etwa 92% des Gesamteinkommens nach Schottland entfallen. Natürlich wissen wir nicht, wie diese 1160 millionen Mark sich im einzelnen verteilen, da die Durchschnitts­rechnung, welche etwa 320 Mark für den Kopf und 1600 Mark für die Familie von 5 Köpfen ergibt, für ein Land mit so un­geheuren Besizunterschieden eine sehr unpassende ist. Den ein­zigen Anhalt in dieser Richtung gibt uns die Statistik der Sparkasseneinlagen.

Ami 20. November 1876 war der Kapitalbestand der unter Kuratoren stehenden Sparkassen im Vereinigten Königreiche 43 282 909 Pfd. St.

Die Postiparkassen in Großbritannien und Irland schlossen 1878 mit einem Mehr über die geleisteten Auszalungen ab von 30 411 563 Pfd. St. Mithin hatten die arbeitenden Klassen und kleinen Leute im Ver­einigten Königreiche zwischen 1876 und 1878 einen Vermögens­besiz von zusammen

73 694 472 Pfd. St.( etwa 1%, milliarden Mark). Nach dem Prozentsaze seiner Bevölkerung sollten nun auf Schott­ land entfallen über 8 millionen Pfd. St., in Wirklichkeit ist aber der Anteil nur

6 245 124 Pfd. St.,

so daß die arbeitenden Klassen in Schottland sich in jeder Be­ziehung viel schlechter stehen als in England, was freilich nicht zum kleinsten Teile dem Umstande zuzuschreiben sein dürfte, daß die englischen Arbeiter sich durchgängig viel besser ernären und kleiden, dagegen viel weniger Spirituosen zu sich nehmen als ihre schottischen Genossen.

Wir sehen also, daß auch nach der Gestaltung der sozialen Verhältnisse wenig von den idyllischen Zuständen zu finden ist, die man im Lande von Robert Burns so gern vorauszusezen geneigt ist. Wie schön malt man sich in der Phantasie die lachenden Matten aus, auf denen mächtige Kühe weiden, den Hirten im Nationalkostüm, den Dudelsack blasend, wärend der nie fehlende gestreifte Plaid als Unterlage dient! Aber die Wirk­lichkeit?! Das Nationalkostüm ist fast ganz aus der Mode ge­kommen und ist eigentlich nur noch beim Militär üblich, dagegen dürfte es nach meinen Beobachtungen weit mehr Menschen wider ihren Willen an einer Fußbekleidung fehlen, als solchen, die freiwillig der absoluten und wie ich schon andeutete, durch das Klima ganz und garnicht motivirten Sitte folgen und auf ein Beinkleid verzichten. In den Reisebüchern wird auch stets auf eine besonders malerische Tracht verwiesen, welche die Fischweiber in dem zwischen Leith und Granton am Firth of Forth belegenen Newhaven tragen sollen. Ich bin mehreremale durch den Ort gewandert, one eine andere Warnehmung zu machen, als daß die vor Jarhunderten von Jütland eingewanderten Bewohner,