-

die sich fast ganz unvermischt erhalten haben, entschieden schöner und fräftiger sind als die Hafenbevölkerung von Leith. Um schließlich wenigstens auf irgend eine Weise die Bekantschaft dieser malerischen Tracht zu machen, ging ich zu einem Bilderhändler, der alle möglichen schottischen Photographien feil hielt, meist in vorzüglicher Ausfürung. Unter allen Abbildungen von Damen Newhavens war aber nur ein einziges Mädchen, das nach Ge­stalt und Pose als ein annehmbarer Typus gelten fonte, wärend die anderen mich ganz bedenklich an die berliner Damen der Halle" erinnerten. Wärend ich bezalte, teilte ich dem Händler diese Beobachtung mit. Er entgegnete mir lachend, daß die wenig reizenden Bilder die echte Weiblichkeit Newhavens repräsentirten, wärend das Original des von mir gekauften eine, er wisse nicht woher stammende Wäscherin Edinburgs sei! Eine änliche Ge­schichte passirte mir schon früher einmal vor Jaren bei einem Besuche der Insel Rügen . Möge die kleine Anekdote denjenigen Reisenden von Nuzen sein, die gern als echt" an Ort und Stelle zu kaufen lieben. Auch diese Liebhaberei ist in unseren fortge­schrittenen Zeiten eine nicht zu verantwortende Naivetät.

104

Die Wanderung durch die verschiedenen an einander gren­zenden Hafenpläze und Fischerdörfer, welche einen Raum von mehreren englischen Meilen an der Küste des Firth of Forth einnehmen, ist sehr hübsch, besonders was die ständig wechselnden Fernblicke über den Meerbusen mit seinen Inseln und den vielen ihn belebenden Farzeugen anlangt. Portobello auf der Ostseite von Leith ist entschieden das angenehmste unter den vorhandenen Badepläzen und ist seine Frequenz eine dem entsprechende. Will man aber eine Hochlandtour machen, so wird man mit Rücksicht auf die Unbeständigkeit des Wetters wol tun, auf eine Fußwan­derung da hier zu verzichten und lieber gleich so schnell als möglich bis an die Berge zu faren. Ich sage mit Absicht so schnell als möglich", da ich noch nie in meinem Leben solche Bummelzüge gefunden habe, wie auf dem Caledonian Railway. Ist man erst in Stirling , ein Stückchen landeinwärts von der Stelle, wo der Forth in den Meerbusen ausläuft, so kann man diese langsame Beförderungsart als eine Spazierfart durch die Berge ansehen, die man wol afzeptiren kann, auf der ebenen Strecke von Edinburg bis Dinton ist aber die Fart für einen an die modernen Fargeschwindigkeiten gewöhnten Menschen ent­schieden ärgerlich. Ich glaube, daß mehr wie ein duzendmal, d. i. für alle 2-3 englische Meilen einmal, angehalten und dann jedesmal ein endloser Aufenthalt gemacht wurde. Auf diese Weise hatte man Gelegenheit, sich jedesmal über Geschichte und Topo­graphie der passirten Gegenden zu orientiren. Linlithgow in­teressirt uns als der Geburtsort von Maria Stuart . Es war im Jare 1542, als ihr faum 30 järiger Vater, Jakob V. , bei Solway Moß, unweit von dem tefanten Gretna Green, mit seinen 10 000 Echotten von den Engländern besiegt wurde. Zum Ueber­fluß gerieten noch 200 schottische Ritter in Kriegsgefangenschaft, obgleich die Engländer bedeutend in der Minderzal waren. Dies nahm sich Jakob V. so zu Herzen, daß er in eine tötliche Krank­heit verfiel. Da brachte man ihm die Nachricht, daß die Königin, seine Gemalin, einer Tochter das Leben geschenkt habe. Nun wol, rief er aus, wie Gott will, es tam mit einem Mädchen und will wieder gehen mit einem Mädchen!" Diese Worte enthalten eine Anspielung auf die Geschichte des Hauses Stuart , die durch Heirat zur Herschaft gelangten, und wenn man will, eine Prophe zeihung des tragischen Endes von Maria. Linlithgow gelangte später noch durch ein Attentat zu Berühmtheit. Ein Verwanter des Regenten Moray hatte 1570 die Frau des Ritters James Hamilton von Bothwellhouse beleidigt, der Regent verweigerte dem beleidigten Gatten eine Genugtuung. Dieser schwur Rache und benuzte die Gelegenheit, wo der Regent mit einer Prozession durch die Straßen zog, um ihm von einem Balkon im ersten Stock aus eine Kugel durch den Kopf zu schießen. Der Regent starb sofort, seine Begleiter bemüten sich vergeblich, die stark ver­barrikadirten Türen und Fenster zu erbrechen. Inzwischen lief Hamilton durch eine Hintertür davon und entkam auf seinem, vorher bereit gehaltenen schnellen Pferde. Seine Verwanten mußten es um so schwerer büßen, so wurde der Erzbischof Ha­milton, der lezte römisch- katolische Prälat Schottlands , auf der Forthbrücke bei Stirling an den Galgen gehängt.

Diese blutigen Ereignisse bereiten den Reisenden nun auf die Schlachtfelder vor, die er jezt zu passiren hat. Da ist zunächst Sauchieburn, wo König Jakob III. von Schottland von einem

-

Haufen aufständischer Ritter unter der Fürung seines Sohnes, des späteren Königs Jakob IV. , angefallen und nach kurzem Widerstande getötet wurde. Alsdann erreichen wir ein sehr merk­würdiges Terrain, das sind die sogenanten Blutfelder von Ban­nockburn. Hier war es, wo am 24. Juni des Jares 1314 der König Robert Bruce von Schottland mit seinen 30 000 Schotten die gewaltige Armee König Eduard II. , der zum Entsaze des durch Robert Bruce belagerten Stirling mit 100 000 Engländern heranrückte, vollständig auf's Haupt schlug. Dieser Kampf iſt durch Sage und Geschichte in Schottland in änlicher Weise ver­herlicht, wie die Taten Arnolds von Winkelried und die Schlacht von Sempach . Die Aenlichkeit wird um so größer, als der Er­folg in beiden Fällen von leichtbewaffneten Bürgers- und Bauers­leuten gegen Panzerritter erzielt wurde. Robert Bruce kämpfte wie ein Held und rettete für einige Zeit die Selbständigkeit Schottlands von England. Er hat es daher nicht verdient, daß jeder dritte Hansnarr in Schottland sich brüstet, von ihm abzu­stammen, in änlicher Weise wie man dies in England bezüglich einer angeblichen Stammurheberschaft durch Wilhelm den Ero­berer hören kann. Wie mir ein amerikanischer Freund versichert, kann man drüben sogar von eingewanderten Schotten die Robert Bruce - Abstammungsgeschichte oft zu hören bekommen. Die Sta tistik belehrt uns, daß die Schotten nur zum kleinern Teil nach Amerifa, dagegen mit Vorliebe nach Australien auswandern. Hoffentlich ist man dort noch nicht so von der Titel- und Aus­zeichnungssucht angekränkelt, wie vielfach in den Vereinigten Staaten , und wird dieser Bruchteil wenigstens von der ende­mischen Robertbrucchitis"-wenn diese Wortbildung gestattet ist gründlich furirt.

Stirling müssen Sie unter allen Umständen sehen"- mit diesen oder änlichen Worten waren wir mehrmals in London auf die schöne Lage dieser Stadt aufmerksam gemacht worden. Auch der Umstand, daß der weltbekante Reiseunternehmer Cook

das londoner Vorbild unserer Stangen und Riesel- alle seine Rundreisetouren über Stirling gehen läßt und bei seinen ausge­wälten persönlich gefürten Touren durch das Hochland" einen Tag für Stirling spendet, schien diesen Ruf zu rechtfertigen. Wir fanden ein wenig interessantes Schloß, jezt als Kaserne dienend, auf einem mäßigen mit Wald bedeckten Hügel, von wo aus sich ein Ueberblick über die Umgegend bietet. An Tagen, wo es weder regnet noch der Horizont in Nebel eingehüllt ist, soll man auch einige Bergkuppen des Hochlandes sehen. Hochland" ist eigentlich ein problematischer Begriff. Ganz Schottland ist bis auf einige sehr schmale Taleinschnitte ein wirkliches Hochland, da es sich mehr als 1000 Fuß über den Meeresspiegel erhebt und im Vergleich zu dieser Basis wollen die Berge", deren höchste Erhebung im Ben Nevis 4368 Fuß beträgt, nicht allzu= viel bedeuten. Der Hauptzug sind bekantlich die Grampians, die das ganze Land von der Clyde- Mündung im Südwesten in breiter Kette bis Aberdeen und Frazerburgh im Nordosten durch­ziehen. Sie sind durchschnittlich etwas höher wie der Harz und die meisten deutschen Mittelgebirge , sehen aber viel niedriger aus, da der Beschauer in allen Fällen schon zu hoch sich befindet, um die bedeutendere absolute Höhe schäzen zu können. Sehr wesent­lich unterscheiden sie sich freilich durch ihren Karakter von unsern Dede, diese Seltsamkeit der zerklüfteten Felsformation findet man, heimischen Höhenzügen. Diese groteske Wildheit, diese schauerliche außer in Norwegen vielleicht, nirgends in änlicher Weise. Man braucht nur einen Blick auf die Karte zu werfen, so wird man die Eigenartigkeit der Küstenbildung warnehmen, mit ihren viele Meilen ins Land schneidenden schmalen Meerbusen, die wiederum Inselgestaltung, die sich nur als Fortsezung dieser durch die den Karakter von Binnenseen im Gebirge haben; die seltsame Binnenseen endlich, welche die schmalen Flußtäler vielfach ganz schmalen Meerbusen gebildeten Landzungen ausnimt; die unzäligen ausfüllen und dann wieder durch einen kurzen Kanal mit einent der oben gekenzeichneten Firths ", d. i. Mündungen oder Lochs", d. i. Seen, in Verbindung stehen. Wer für eine großartige wilde Romantit schwärmt, wer schauerliche Einöden und Schluchten liebt, wen es hinziet nach der Stelle, wo Macbeth und Banquo den Heren begegnet sein sollen, der reise ins schottische Hochland und wenn er etwa eine Gewitternacht im Tale von Glencoe erlebt nisse, wie sie die Mordnacht in Shakespeares Macbeth so natur haben wird, wird er das volle Verständnis mitbringen für Schrec getreu der Wirklichkeit nachahmt.