126

-

Geschichtliche Gespenster.

Streifereien im alten und neuen Athen  . Von Karl Kassan.

Heute französische Komödie in der Metropole altklassischer Intelligenz! Die neuere griechische   Literatur hat eben wenig erhebende Momente aufzuweisen, denn das Volk ist durch die lange Knechtschaft und die türkische   Vergewaltigunspolitik ver­sumpft und verkommen; erst in kommenden Geschlechtern wird die lachende Sonne Griechenlands   wieder ein besseres idealeres Ge­schlecht begrüßen. Das Philhellenentum war ja zu seiner Zeit Mode, wie manches einmal Mode wird; aber viel ist an dem heutigen griechischen Volke nicht. Lord Byron   freilich, der exzen­trische Dichter von Gottes Gnaden und extravagante Vorkämpfer des Philhellenentums ist entzückt, aber seine Sympatie gilt offen­bar mehr dem Lande als dem Volke, denn das leztere nent er furzweg, hereditary bonds men"( geborene Sklaven) und ,, shades of the Helots"( Helotenschatten); das Land aber apostrophirt er fo( in Child Harold's pilgrimage, cans. II, 87):

,, Yet are thy skies as blue, thy crags as wild, Sweet are thy groves, and verdaud are thy fields, Thine olive ripes as when Minerva smiled And still his honied wealth Hymettos yields-*) Und( das. 91):

-

-

,, Yet to the remnants of thy splendour past Sholl pilgrims, pensive, but unwearied, throng, Long shall the voyager, with th'Jonian blast Hail the bright clime of battle and of song**). Und darin hat er Recht! Es gibt nur ein Griechenland  , nur ein Athen  ! Doch nach meiner Abschweifung zu uns zurück.- Die Vorstellung war Gott sei Dank! zu Ende, der Heimweg im wonnigen Blütendust, den der benachbarte Orangen­hain des Schlosses verbreitete, angetreten, das Haus erreicht. Die Damen verabschiedeten sich, wir drei aber hielten erst noch ein Trinken, bei dem der schwere griechische Wein abermals die Hauptrolle spielte. Ich will dabei bemerken, daß troz aller Reklame in neuester Zeit der griechische Wein nicht wol zum Versand geeignet ist. Am besten gefiel mir noch das Gewächs von Chios  .

-

Der Senator und John machten nun auch den geschäftlichen Teil ihrer Angelegenheit ab, indem lezterer sich verpflichtete, das dritte Bild seiner Trilogie binnen 6 Monaten fertig schaffen zu wollen; dann sollte er den Senator und die Damen malen dabei ward Freund Smith über und über rot wie ein gesottener Krebs und was er sonst wollte, doch müßte alles gegen Zalung in des Senators Besiz bleiben. Damit schloß der ereignisvolle Tag, und wir schliefen, von all der Aufregung im höchsten Maße ermüdet, fest und ruhig.

-

Am anderen Morgen stand schon die Sonne leuchtend am Himmel, als unser Wirt lächelnd bei uns eintrat und rief: Auf nach Lepsima( Eleusis  ), Gentlemen!"

"

So hatte die Parole schließlich am Abend gelautet. Jm Nu waren wir bereit, und als wir in den Gesellschafts­salon traten, stellte uns unser liebenswürdiger Hauswirt einen alten grauen Mann vor, den er Dr. Thermomyssis nante. Der­selbe war gekommen, um mit dem Senator eine politische Frage zu besprechen. So kamen wir zu einer interessanten Bekantschaft. - Jch besonders hatte bald das Herz des alten Herrn gewonnen, als ich mich nach verschiedenen Altertümlichkeiten der Stadt er­kundigte und eine Vorliebe für Sokrates, Xenophon   und Platon  verriet, denn diese waren des Doktors Jdeale, in denen er ganz aufging. Er lub uns ein, abends nach der Rückkehr ihm noch ein Stündchen zu schenken, er wohne auf historischem Boden, an der Stelle, wo einst Platons Akademie   gestanden. Wir notirten uns Straße und Hausnummer und verabschiedeten uns dann, damit wir die rechte Zeit nicht versäumten.

*) In freier Uebersezung:

Noch immer ist dein Himmelsblau, dein Felsen wild, Grün deine Au, süß deiner Wälder Räume, Der Delbaum reift, wie unter Ballas Schild, Noch fließen vom Hymettos Honigseime.

**) Zu deiner einst'gen Größe Ueberresten

Wird mancher Bilgrim unermüdlich dringen, Von Joniens Küsten schiffend her nach Westen,

Sein: Heil! Dem Land des Sangs und Krieges bringen.

( 2. Fortsezung.)

Der Senator hatte für einen Fürer und Maultiere und Pro­viant gesorgt, und so stiegen wir denn munter auf. Unser Fürer ritt voran. Erst im Verlaufe der Tour ward ich auf denselben aufmerksam. Er war albanesisch malerisch gekleidet, trug das rote Fez mit dem schwarzen Schweif auf dem Kopfe und nante sich Ali Beht. Uebrigens sprach der Mann fertig Englisch  ; seine scharf geschnittenen Züge verrieten List, Verschlagenheit und festen Willen.

Es war nach unserem Guide of Greece in der Nähe des Ceramikus, wo man Ausgrabungen vorgenommen hatte. In Athen   liegen nämlich die Trümmer der alten Welt nicht so tief wie in Rom  . Die Griechen hatten die Gewohnheit, ihre Toten an der Landstraße zu begraben. Hier fürte die via sacra zum Heiligtum in Eleusis   und an beiden Seiten stand Landhaus an Landhaus, Kunstwerk an Kunstwerk; vor allem aber lagen an beiden Seiten nahe der Stadt die Begräbnispläze.

Wir stiegen ab und besahen die blosgelegten Schäze: da stand ein Reiterdenkmal, dort lag ein Löwe, hier ein Hund, auf jenem Hügel lag ein knieender Bogenschüze, auf einem anderen stand ein schlank geformter wertvoller Krug. Splitter und Stücke von solchen Krügen findet man fast in jedem Grabe, weil es Sitte war, auf das Wol der Beigesezten am Grabe noch Krüge mit edlem Weine zu leeren, die Krüge aber zu zerschlagen; das brachte den abgeschiedenen Schatten Glück. So hatte auch das griechische Altertum den Aberglauben, welchem wir bei modernen Eheschließungen im sogenanten Polterabend noch heute Opfer bringen. Mittlerweile näherte sich uns der Oberaufseher dieser Ausgrabungsversuche. Es war ein großer schöner Mann, der uns sogleich auf Englisch   anredete: Hüten Sie Sich vor

" Die Herren sind wol fremd hier? ihrem Fürer, er ist ein-!"

-

Hier schnitt Ali Behk, der spähend in der Nähe stand, durch seine Herbeikunft das Wort ab, und fast erschrocken fur jener zurüc. Ali aber meinte trocken:

,, Gentlemen  , we must go on, if we will be in time at Lepsima!"*)

So stiegen wir denn nolens volens auf und ritten unmutig weiter.

Dort unten zu unseren Füßen dehnte sich früher nach unserem Guide of Greece Kolonos und der große Olivenhain aus, wo Sophokles   seinen Dedipus auf Kolonos" spielen läßt, wo er selbst gestorben ist und das meiste von seinen Werken gedichtet hat. Ich wies drauf eben hin, als Ali sein Pferd anhielt und ganz naiv fragte:

" Gentlemen  , der Mann am Kirchhofe sprach von mir?" Wir wollten und konten es nicht leugnen.

Es war nichts Gutes?"

" Ihr störtet ihn, er konte nicht vollenden!"

"

Bei der heiligen Mutter der Gnade! Das ist sein Glück!" Dabei legte sich auf sein sprechendes Gesicht ein solcher Aus­druck des Hasses, daß ich schauderte. John aber meinte: Ihr lebt in Feindschaft?"

Es ist schon eine alte Geschichte", entgegnete Ali mit Gleich­mut, er ist der Sohn meines Nachbars. Ich wohnte früher an der Grenze und war ein Pascher der Grenze und war ein Pascher- was wollen Sie?- wie es viele waren. Mein Nachbar war ein Spion und Verräter, heuchelte mir Freundschaft und verriet mich. Ich saß sechs Mo­nate im Zuchthause. Nach meiner Heimkunst fand man eines Tages den Verräter mit durchschossenem Schädel in seinem Garten. Man hatte Verdacht auf mich, fonte mir aber nichts beweisen!" sezte er mit sarkastischem Lächeln hinzu.

-

Unsere Gesichter mochten wol unsere Gedanken verraten, denn Ali meinte ruhig:

"

Was wollen Sie? Ich bin ein Albanese und kann nichts dazu, daß ich das Erbteil meiner Nation überkommen habe! Jener Schuft auf dem Kirchhofe soll auch noch daran glauben, wenn er mich verläumdet!"

" Ihr seid ein Christ?"

*) M. H., wir müssen gehen, wenn wir bei Zeiten in 2. sein wollen.