„ Ein so guter, wie einer in der Runde; aber, Auge um Auge, Zahn um Zahn, heißt's bei uns Albanesen. Aber da sehen die Herren schon Lepsima!"
Es war Mittag geworden und wir hatten den Daphinpaß erreicht. Zu unseren Füßen sahen wir die stille Bucht von Eleusis und das armselige Fischerdorf Lepsima, einst das herliche Eleusis mit seinen zalreich besuchten Mysterien, mit einer Akropolis und blühender Einwohnerschaft.
Bald nach 1 Uhr hatten wir den Ort erreicht, besahen uns die Ruinen der Burg und des Demetertempels und hielten dann im Schatten eines Olivenwäldchens in der Nähe von Weingärten Mittagsruhe. Ali bewachte unseren Schlaf mit seinen langen Pistolen, denn hier ist nicht jedem zu trauen, teilte dann unser frugales Mal, ließ sich den mitgebrachten Wein gut schmecken und riet uns ab, in das unreinliche Wirtshaus zu gehen, wo man vor Schmuz und Gestank es nicht aushalten könne, und trieb dann selbst zur Heimkehr. Die Maultiere sind hier schnell und ausdauernd, so daß wir des abends um 9 Uhr vor Nr. 32 der Poseidonstraße auf dem Keramikos hielten, wo uns Dr. Thermomyssis mit Freude empfing.
Auf den anstrengenden Ritt schmeckte uns das keineswegs auf platonische Weise zugerichtete Abendessen, welches unser Wirt mit richtiger Schäzung der Umstände bereit hielt, ganz vortrefflich, und heitere Gespräche würzten dann den Becher Weines, den wir auf gute Freundschaft leerten.
" Hat man denn im heutigen Athen garnichts mehr, was an Sofrates erinnert?" fragte ich jezt ins Blaue hinein.
,, Nein, mein Lieber," entgegnete Dr. Thermomyssis würde voll.„ Die Bildsäule des Lysipp, welche die Athener , nachdem sie zur Einsicht gekommen, dem Helden sezen ließen, ward bekautlich schon durch die Römer unter Sulla zerstört; man hat aber das historische Bildnis des Sokrates auf Gemmen erhalten; hier sehen Sie eine solche Gemme."
Richtig! Es war derselbe breite Kopf, die aufgestülpte Nase, der große Mund, dasselbe Gesicht, das ich als historisch gerühmt schon öfter gesehen, aber durchgeistigt von jenem Zug echt antikklassischer griechischer Fronie und Bonhommie, die uns erklärlich werden lassen, wie sich die für Schönheit so empfindliche Natur eines Platon, eines Xenophon, eines Alkibiades mit allen Banden an den Meister hängen konte.
,, Mir ist es unerklärlich, wie sich das Volk so dupiren lassen fonte, wie selbst die Reaktionsmänner sich von drei Schwächlingen
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wie Lykon, Melytos und Anytos konten so plump Sand in die Augen streuen lassen, daß man die Anklage zuließ, geschweige denn, daß man Sofrates verurteilte, den Giftbecher zu trinken!" meinte John.
" Ja," pflichtete ich bei, daß drei solche Schwächlinge gerade, wie der Dichterling Melytos, ein Sophist und Advokat, Anytos, dessen Weib Rodia als Hetäre galt, und ein Lohgerber, Lykon, es wagen konten, den herlichen Greis anzuklagen, ist schlimm!" " Ja, meine Herren, Sie haben Recht; aber was konten Sie auch von einer Generation erwarten, die im schrecklichen dreißigjärigen peloponnesischen Kriege, der die Blüte Griechenlands fnickte, groß geworden war? Das sagt alles und erklärt auch den Umschlag mehrere Jare nach dem Tode des Meisters, das Schließen der Gymnasien, als Zeichen der Trauer, die Aufstellung seiner Bildsäule! Uebrigens, mit allem Respekt vor der sonderbaren und überaus glücklichen Mischung der Karakterzüge des einzigen Mannes, die ihn zu einer Art von Christus gemacht haben verzeihen Sie! mit allem Respekt davor: one seinen unfreiwilligen Tod in der Enge des Gefängnisses wäre er doch nicht der Mann geworden, der noch heute in aller Munde lebt, denn die Denkmäler, welche ihm seine beiden vorzüglichsten Schüler, der praktisch- einfache Xenophon und der ideal- philosophische Platon, in ihren Schriften gesezt haben, haben alle anderen Denkmäler überdauert!"
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Wir mußten beistimmen und hörten noch manches Interessante aus dem Munde des Doktors, der in der Tat ein gelehrtes Haus ist. Er kante Dr. Schliemann sehr gut und äußerte sich über dessen Bestrebungen ungemein lobend.
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„ Wir Athener", fur er fort, haben jezt auch ein Museum, aber es ist noch kahl; manches täme wol noch zum Vorschein, wenn alle opferwillig ihre Privatsamlung darbrächten. Aber unser Volk muß erst regenerirt werden; allerdings hat es achtungswerte Genies erzeugt, aber das Gros ist versumpft, verknechtet. Ich gedenke da gerade des Dichters des Trauerspiels„ Sokrates ", das mit Entusiasmus aufgenommen ist. Der Dichter ist unbefant. Ich sah die Tragödie selbst vor acht Tagen; die Hauptrolle spielte mit ungeheurem Beifall der Schauspieler Dimittri, den Sie vielleicht im Hause des Senators kennen lernen werden, das er oft besucht; denn Kneurosphyllos ist ein warer Mäcen für die Kunst!"
( Schluß folgt.)
Jakob Barthold war auf das äußerste bestürzt. Wenn ihm ein Unglück zugestoßen wäre, dachte er wenn er vielleicht garnicht mehr am Leben war! Des Holzbauern Geschick, des lieben, braven Freundes, nur lag ihm jezt am Herzen, der Kummer um ihn erfüllte sein ganzes Gemüt, und nur wie ein dumpfer Groll wider das angstvoll Geahnte stieg es auch bei dem Gedanken an sein eigenes Schicksal in ihm auf.
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Aber es konte nicht sein; es war nicht möglich, daß der Gute bei der Helle des Mondlichts den Weg verfehlt, sich verirrt oder einen der Abgründe hinuntergestürzt wäre, auch war er ja so vollständig bei frischen Kräften und munter gewesen, oder fonte ihm auf and're Weise Uebles widerfaren sein? Von einem reißenden Tier etwa?- Aber es war seit Jaren kein bissiger Wolf aus Lothringen herübergekommen.
Oder vielleicht durch Menschenhand? Doch wer wäre so frevelhaft, in St. Silvesternacht sich mit bösen Gedanken zu tragen und einen einsamen Wandersmann aufzulauern?
Je mehr er alles dies bedachte, um so größere Unruhe bemächtigte sich seiner. Schon am nächsten Tage schritt er den selben Weg hinauf, den er mit dem Freunde gegangen, und forschte auf dem engen Pfade und seitab im Walde nach seiner Spur; dann fragte er selbst in jenem Gehöft droben auf der Matte, wo der Vermißte an jenem Abend Einkehr zu halten gedacht man fonte ihm nur sagen, was man schon dem vor ihm gekommenen Boten der Holzbäuerin mitgeteilt hatte: man war bis über die Wende des Jares hinaus wach geblieben und hatte in jeder Minute noch seinen Eintritt erhofft, aber er hatte sich
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( 9. Forsezung.)
nicht eingestellt! Und dann scheute der junge Meister selbst den noch ziemlich weiten und, da frischer Schnee gefallen, um so beschwerlicheren Weg höher hinauf in's Gebirge, bis zu seinem Gehöfte nicht, er ging denselben Pfad, den der Gesuchte stets zu beschreiten pflegte, und schaufelte den Schnee auf und spähte hochklopfenden Herzens aus nach rechts und links,-- nirgends, nirgends eine Spur von ihm....
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Die Holzbäuerin weinte unaufhörlich vor Sorge und Schmerz, sie wurde noch untröstlicher, als ihr der junge Meister sagte, daß er am Abend des Silvestertags den halben Weg bis zur Matte mit ihm gegangen, es war ihr nun unzweifelhaft, daß ihm auf der kurzen Strecke bis zur lezteren etwas begegnet, daß er, bald nachdem sich die beiden getrent, irgend einen schmälichen Tod gefunden: ,, Gott im Himmel, nun können wir ihm nicht einmal ein rechtschaffen Grab bereiten!" schluchzte sie, und ihr Sohnes war ihr einziger, der mit seiner jungen Frau in demselben Gehöfte wohnte, mußte alle Mühe aufwenden, um sie in diesen quälenden Gedanken nur einigermaßen zu beruhigen und aufrecht zu erhalten.
Wochen vergingen und nun erst mischte sich in das traurige Empfinden Jakob Barthold's bald wie tiefe Wehmut, bald wie eine unwillige Anklage stärker und schärfer ein, und er sagte sich's deutlicher und mit noch tieferem Schmerz, was gerade er, in dieser Zeit, in gegenwärtiger Lage an dem Freunde verloren, was er ihm noch hätte werden können, was er für ihn inbezug auf seine Neigung zu tun imstande gewesen sein würde, und es waren unsäglich traurige, fummervolle Tage, die er jezt durchlebte.