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diejenigen Genüsse und Freuden der Welt, welche ich schäzen und lieben gelernt habe, nicht verzichten will. Ich male ein wenig, ich besize sonst noch eines oder das andere kleine, für die Welt viel zu unbedeutende Talent, das zu meiner eignen, von keinen in dieser Beziehung hohen Ansprüchen erschwerten Zerstreuung eben ausreicht."
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,, Ah, Sie malen, Fräulein
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,, Nicht ganz Geringfügiges leiste ich eigentlich nur im Zeichnen dort jene Skizze ist von mir."
Sie zeigte auf die Wand Franz Stein gegenüber. Neben einem großen und, wie es schien, nicht wertlosen Delgemälde hing unter Glas und Ramen eine Bleistiftzeichnung in Lebensgröße einen Männerkopf von seltener Schönheit darstellend.
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Stein fülte sich lebhaft und diesmal nicht unangenehm überrascht. Nicht nur das offenbar außerordentliche Geschick der technischen Ausfürung, auch die gesamte Konzeption, vor allem der Geist und der Edelsinn, die Noblesse des Verstandes und Gemüts, welche von der hohen Stirn, aus den Augen und Zügen jenes Studienkopfes herleuchtete, frappirte ihn ungemein.
,, Eine wundervolle Kopie," sagte er zögernd.
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" Keine Kopie", erwiderte Fräulein Elfriede ruhig und einfach. " Dann also eine wirkliche Kunstleistung, solche Zeichnung nach der Natur
,, Eine Zeichnung nach der Natur?" Fräulein Elfriede schüttelte wieder das Haupt und ihre Stimme durchzitterte es von neuem wie tiefe Wehmut:„ O nein, ebensowenig. Ein Werk meiner schwachen Phantasie, nichts weiter. Schauen Sie nicht so lange hin, Herr Stein, denn sonst werden Sie immer mehr und mehr entdecken, was Ihr Urteil zu meinen Ungunsten ändert. Hier in diesem Karton sind die Kaulbach'schen Illustrationen zu Goethe's Faust. Sie werden sie freilich kennen, aber solche Kunstwerke kann man wol nicht oft und lange genug betrachten."
Sie schlug den in dunkelrotem Sammet mit reicher Silberverzierung gebundenen Karton auf und schob ihn Franz Stein hin. Da Hermann und Dorothea --"
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Franz Stein hatte seinen Blick noch nicht von der Bleistift zeichnung abgewendet.
" Gönnen Sie mir noch einen Augenblick diesen Genuß, mein Fräulein. In jenem prachtvollen Kopfe finde ich Züge, die mir zuwinken, wie alte, liebe Bekante.- Mißverstehen Sie mich nicht, Mißverstehen Sie mich nicht, ich weiß sehr wol, daß ich diesem Kopfe noch niemals begegnet bin und ich zweifle keinen Augenblick, daß er nur in der Phantasie entstehen konte und nur in der Ihrigen entstanden ist, den noch aber finde ich Aenlichkeiten, one mir Rechenschaft geben zu können, womit oder mit wem
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,, Vielleicht ist es" Fräulein Elfriede zögerte. ,, Vielleicht?" suchte er sie, sichtlich einigermaßen gespant, zur Vollendung des abgebrochenen Sazes zu ermuntern.
Vielleicht ist es die Familienänlichkeit des Jdeals," begann sie langsam, fast schüchtern. Dann aber fur sie rascher, wie um sich recht rasch zu forrigiren fort: ,, Doch nein, verzeihen Sie, es ist anmaßend, wenn ich mir auch nur einen Augenblick einbilde, daß mein Ideal dem Ideal auch nur änlich sein möchte." Franz Stein vergaß zu antworten, obgleich es die Höflichkeit gebot, die gegen jedermann zu üben er gewont war. Er mußte sich gestehen, daß er sich diese Elfriede Specht bei weitem anders vorgestellt hatte, als er sie nun fennen lernte. Sie war offenbar nicht nur gebildet und klug, sondern sie besaß eine feine Bildung und einen Geist, wie man ihn bei den Frauen unsrer Zeit nicht häufig zu finden gewont ist. Und diese Kunstbegabung bei einer Bescheidenheit, die ihm keine Spur von Koketterie verriet.
Elfriede konte es nicht entgehen, daß er sie scharf beobachte und daß sein augenblickliches Schweigen viel Schmeichelhaftes für sie hatte. Nur einen ganz kurzen Moment trafen sich ihre Blicke es war Franz Stein, als ob sie errötete, wenigstens wante sie rasch ihr Gesicht ab und erhob sich, und es geschah das, was er von dieser Elfriede Specht unter solchen Umständen am wenigsten erwartet hatte.
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Sie sagte:„ Verzeihen Sie, mein Vater bleibt doch zu lange aus. Erlauben Sie, daß ich nachsehe
Und ehe er sich noch ganz erhoben hatte, schloß sie schon die Tür hinter sich. Sie hatte ihn nicht mehr angesehen, nur leicht den schönen, mit dem prachtvollsten dunklen Har gekrönten Kopf nach ihm geneigt.
Wie allen scharfsinnigen Menschen, so ging es auch Franz Stein. Jedes Rätsel, das ihm der Zufall in den Weg fürte, lockte ihn
zu Lösungsversuchen. Was er heute an diesem Orte, den er zur Erledigung einer sehr wenig interessanten Geschäftsangelegenheit aufgesucht hatte, gesehen und gehört, schloß ein Rein und eines der interessantesten, die es geben kann, das Rätsel einer Menschenseele
Franz Stein begann zu grübeln.
War diese Elfriede, wie er vordem sehr geneigt gewesen war, anzunemen, wirklich eine Verworfene? In diesem Moment hielt er keine andere Antwort darauf für gerecht als eine verneinende. Sie war eben ein Weib oder, noch besser, ein Mensch, wie alle Menschen- und ihr Karakter ein Gemisch von guten und schlimmen Eigenschaften.- Ein Mensch von ungewönlichen Geistesanlagen, sagte er sich, ist gemeinhin den schwer zu bewältigenden Versuchungen der Leidenschaft mehr ausgesezt, als der in seiner Verstandesarmut auch leidenschaftsschwächliche Durchschnittsmensch, der darum auch kinderleicht das zu spielen vermag, was die blöde Welt für einen Tugendhelden oder Biedermann anzuerkennen bereit ist. Und wievielmehr als ein geistvoller Mann ist ein hochbegabtes Weib der Glutsonne der Leidenschaft ausgesezt! Wievielweniger ist ihr Widerstandskraft mit auf den Weg gegeben!
Franz Stein war in seinen Grübeleien ungefär soweit ge kommen, als Herr Specht in der Tür erschien.
Der dicke alte Herr gab sich die größte Mühe, höflich zu sein. Er machte mehrere Verbeugungen, reichte seinem Besuch die Hand und entschuldigte sein langes Ausbleiben auf das angelegentlichste.
Specht Vaters Anblick rief Franz Stein sofort in die allernüchternste Geschäftswirklichkeit zurück. Auf die vielen Komplimente ließ er sich nicht sehr ein. Offen und gerade schritt er auf sein Biel los, nachdem er die Willkür seiner Leute entschuldigt und sich zu jeder Genugtuung bereit erklärt hatte.
So höflich aber Herr Specht auch war, so schwer zugänglich erwies er sich doch. Wie das schwere Unrecht, welches ihm an getan worden sei, ausgeglichen werden könte, darüber sei er sich noch nicht klar.. Ebensowenig wisse er vorderhand eine Entschä digungsforderung für die dauernde Benuzung des Weges zu stellen. Schrecklich fatal sei ihm, daß er überhaupt in eine solche Lage gekommen. Hätte er gewußt, daß der das Weidengut mitten durchschneidende Weg von zalreichen Fabrikfurwerken be faren werde, was ihm der Pfiffikus, der Weidenbauer, natürlich verheimlicht habe, so wäre es ihm im Traume nicht eingefallen, das Gut zu kaufen. Er hätte auf seine alten Tage sich einen Ruhesiz sichern wollen und gerade diese seine einzige Absicht bei Erwerbung des Weidenguts sei ein für allemal vereitelt, wenn der Weg Fabrikweg bleibe. Seine Nerven seien angegriffen und die seiner Tochter noch viel mehr. Nun sollten sie beide täglich duzend mal vom Wagengeraffel und Peitschengeknall, von dem Lärmen und Fluchen des rohen Kutschervoltes in der ihnen so notwendigen Ruhe gestört werden. Damit sich zufrieden zu erklären, fiele ihm verdamt schwer das könne sich Herr Stein denken.
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Franz Stein erklärte zwar auf das bestimteste, er werde seine Leute, über deren Benehmen er bis jezt noch gar nicht habe flagen können, anweisen, beim Vorüberfaren am Wohnhause des Weidengutes alles unnötige Geräusch sorgfältigst zu vermeiden und selbst strengstens darauf halten, daß dieser Anordnung nach gekommen werde; aber das machte auf Herrn Specht keinen Eindruck.
Nach langem Hin- und Herreden gelang es endlich, dem für die ländliche Ruhe schwärmenden dicken Herrn die Erlaubnis zur Benuzung des Weges abzupressen bis zum Zeitpunkt der Ueber siedlung desselben nebst Tochter nach Seifersdorf, was innerhalb acht oder spätestens zehn Tagen geschehen sein würde. Ueber die Entschädigung für diese kurze Frist würden sie ja einig werden, weitere Entschließungen müsse sich Specht vorbehalten.
Damit waren die Unterhandlungen zu einem für Franz Stein wenig befriedigenden Resultate gedichen.
Als er sich verabschiedete, geleitete ihn Herr Specht bis zur Treppe. Beim Durchschreiten des elegant ausgestatteten Bor sals hörte er aus einer Seitentür leisen, aber leidenschaftlich be wegten und klagenden Gesang ertönen. Herr Specht schloß diese Tür schnell, es schien ihm unangenem, daß die schmerzerfüllten
Töne an Steins Dhr geschlagen waren. achtete nicht weiter darauf;- Auch Franz Stein die unangeneme, an sich so kleinliche Wegfrage, die aber, wie die Verhältnisse nun einmal waren, für sein Etablissement fast die Bedeutung einer Lebensfrage er langen fonte, beschäftigte ihn jezt viel mehr noch als vorher.