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Genug! Wir sind in der Lage, die Kulturgeschichte Europas sprechen zu lassen. Wo Muhammedaner saßen und siedelten, finden wir eine hohe Blüte aller Künste und Gewerbe, und als im Westen Granada , im Osten Stambul oder Konstantinopel fiel, war die Lebenskraft des Islam noch lange nicht gebrochen. Noch am Ende des 17. Jarhunderts sehen wir, wie die Bürgerschaft Wiens sich in der Notlage befindet, sich gegen den Islam blutig zu verteidigen.
Aber was hat das mit unserer Frauenfrage im Mittelalter zu tun? So fragt der Leser sich vielleicht. Ja, sehr viel! Wir sind nicht berechtigt, die Haremswirtschaft und die Vielweiberei für untrenbar von der Glaubenslehre Muhammeds zu halten. Vielweiberei gab es auch auf altgermanischem Boden. Und andrerseits ist praktisch ebenso wie bei uns Germanen dieselbe auch nur ein ökonomisch mögliches Vorrecht der Pleonekten, der Mehrbesizenden, gewesen, also schon einer Gesellschaftsschicht, welche uns den ursprünglichen Gleichheitsgedanken als einen abgestorbenen, verwesten aufweist. Für die gute Zeit, und im Durchschnitt allezeit, auch für die heutigen Türken noch, dürfte sich das Haremhalten keineswegs als ein Trumpf ausspielen lassen, mit dem wir, um im Bilde des Kartenspieles zu bleiben, sonderlich viel Stiche machen dürfen gegen den Islam.
Kühne Abenteurerlust, Ausübung der Blutrache, Verteidigung der Schwachen und Unterdrückten, namentlich aber Verehrung und Beschirmung der Frauen waren dem Araber heilige Pflichten, genau wie den abendländischen Rittern, und wenn man den merkwürdigen Roman" Antar" liest, so gleichen die Recken genau den Paladinen der mittelalterlichen Dichtungen Frankreichs und Deutsch lands . Wir sehen dieselben Beweggründe zu tapfren Taten, dieselbe Dent- und Empfindungsweise, und schon im 9. Jarhundert finden wir arabische Dichtungen, in welchen derselbe minneselige Geist waltet, die durchweht sind von demselben zarten Gefül, die dieselbe fast andächtige Verehrung gegen die Dame des Herzens atmen, wie dies alles sich später in der christlichen Minnedichtung findet.
Auch den Frauen der Feinde gegenüber ließen es die Araber nicht an Achtung fehlen. Als König Alfonso III. ihre Festung Oreja belagerte, zogen sie mit großer Heeresmacht gegen Toledo , Alfonsos Hauptstadt, um ihn von Oreja wegzulocken. Da sante die in Toledo eingeschlossene Gemalin des Königs von Castilien Boten an die arabischen Heerfürsten mit dem Auftrage, wenn sie kämpfen wollten, sollten sie gegen Dreja ziehen, Ehre sei nicht zu holen im Kampf mit ihr, da sie nur ein Weib sei.„ Als die Fürsten , Feldherren und das ganze Heer diese Botschaft warnamen," berichtet der Geschichtsschreiber, schlugen sie ihre Augen empor und erblickten auf einem hohen Turme des Alcazar die Königin, wie sie in vollem Kronschmucke dasaß und von einer großen Schar edler Frauen umgeben war, welche zum Schalle von Bauken, Citern, Cymbeln und Lauten sangen. Sobald die Fürsten , Feldherren und das Heer sie erblickten, staunten sie, wurden beschämt, beugten ihre Häupter vor der Königin und zogen ab." Sie waren, wenn schon Mohren, doch auch echte Ritter, gestanden selbst die
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Spanier. Dasselbe Zugeständnis finden wir in dem Reiseberichte des Leo von Roßmital, der 1465 und 1467 Spanien besuchte. Da heißt es unter anderm:„ Die Heiden taten uns große Ehre und Zucht und( wir) waren bei ihnen viel sicherer als in dem Land bei den Christen. Darnach kamen wir wieder aus
der Heiden in des alten Königs Land zu bösen Christen." Ein anderer Bereiser Spaniens , der Ritter Georg von Ehingen schildert die Muhammedaner sehr zu ihrem Vorteil gegen die Christen, welche im Kriege gewönlich weder Weiber noch Kinder verschonten."
Daß in Spanien islamitische Kultur und namentlich auch Poesie bedeutenden Einfluß hatte, ist erwiesen. Alvaro v. Cordova flagt, daß seine christlichen Glaubensbrüder das Latein vernach lässigten, dagegen arabische Gedichte und Märchen begierig läsen, ja selbst in dieser Sprache elegantere und regelrechtere Verse machten als die Araber selbst.
Aber auch Deutsche traten den spanischen Arabern näher, wie wir oben sahen. Nicht genug, daß die Islambekenner in einzelnen Scharen über Südfrankreich nach Savoyen , Piemont und der Schweiz kamen und noch bis 960 den St. Bernhard besezt hielten, Ortschaften arabische Namen hinterließen bis auf den heutigen Tag: wir hören noch Wunderbareres.
Der tyrolische Ritter und Sänger Oswald von Wolkenstein tam 1412 nach Granada an den Hof des Naßriden Jussuf und ward huldvollst aufgenommen; die arabischen Frauen sollen ihn auf den Händen getragen und seine tyrolischen Volksweisen, von seiner kraftvollen Männerstimme vorgetragen, lebhaft gelobt haben bei den fast allabendlich stattfindenden Wettgefängen. Heimgekehrt sang er in deutschen Landen arabische Romanzen, ja er spielte sogar trefflich einen arabischen Häuptling! Ist das nicht eine unbezalbare Vorwegname des goethischen Weltliteraturgedankens? Mögen einen merkwürdigen Kontrast gegeben haben, die tyroler„ Schnaderhüpfle" und die arabischen Gefänge in der altklassischen Wüstenpoesie der Araber! Da der Wolkensteiner vom König Jussuf reiche Geschenke für seine Kunst erhalten hatte, so verglichen ihn die Vornemen von Granada mit dem berühmten Cid Campeador , der auch von maurischen Häuptlingen vielfältig durch Geschenke ausgezeichnet worden war, was unsere erregbaren Ritter natürlich nicht wenig schmeichelte.
Hier dürfen wir auch noch nachtragen, was Roßmitals Reisebeschreibung gelegentlich eines Besuches bei einem spanischen Granden in Burgos berichtet:
" In der Stadt da ist ein mächtiger Graf, der bat meinen Herren und seine Gesellen zu Haus und hatte schöne Jungfrauen und Frauen zu sich geladen.... auf den heidnischen oder türfischen Schlag. tanzen par föstliche Tänz auf die heidnische Meinung( Art) und sein alle braune Weiber, und schwarze Augen ( haben sie) und essen und trinken wenig( siehe unten bei den Anstandsregeln für höfische Frauen) und sehen die Landfarer gern und haben die Teutschen lieb." ( Fortsezung folgt.)
Die Religion der Vergangenheit und der Zukunft.
3. Kapitel. Antropologie.
Von Dr. A. Israel.
Schärfer noch unterscheiden sich beide Weltalter in ihrer Vorstellung vom Wesen des Menschen in seiner Bestimmung. Dem Altertum genügte der menschliche Leib vollkommen, um sämtliche physiologischen und psychologischen Funktionen zu begreifen. Das menschliche Leben mit allen seinen wunderbaren Manifestationen, mit seinen Gefülen, Neigungen, Wünschen und weltumspannenden Gedanken und Entwürfen, es war ihnen doch blos Flamme, die am Dochte des Leibes, genärt von dem Del des Blutes, flackert und die mit dem lezten Atemzug verlischt. Die eigentliche Heimat des Menschen, der Schauplaz seines Genießens und Wirkens, war den Alten daher die Erde. Wol sprachen auch sie vom Hades oder Erebos als Wohnung der Seelen der Abge
( 1. Fortsezung.)
schiedenen. Allein die Seele des Abgeschiedenen war ihnen feines wegs das eigentliche Wesen des Menschen, oder gar der Mensch in höherer Potenz( weil sie nicht mehr von stofflichen Banden gefesselt ist), so wenig ihnen der Hades als ein Ort höherer Seligkeit galt. Vielmehr war sie nur ein matter Rest des Lebens, ein Schatten, ein Schemen, one feste Substanz*), was deutlich
*) Vgl. Homer Jlias XXIII, 90-104:
,, Als er dieses geredet, da streckt er verlangend die Händ' aus; Aber umsonst: denn die Seele, wie dampfender Rauch in die Erde
Sant sie hinab hellschwirrend. Bestürzt nun erhub sich Achilleus
Schlug die Hände zusammen und sprach mit jammernder Stimme:
Götter, so ist denn fürwar auch noch in Aïdes Wohnung