zeigt, daß diese Vorstellung eigentlich die Objektivation des immer blasser werdenden Erinnerungsbildes ist, welches der Geschiedene bei den Lebenden hinterläßt. Weit entfernt, ein Ort der Selig feit zu sein, wird vielmehr von Homer der Hades mit den schwärzesten Farben gemalt. Er nent die Behausung desselben grauenhaft und dumpfig, so daß selbst die Götter davor schaudern. Teiresias bezeichnet ihn als eine Stätte des Entsezens und finstre, mitternächtliche Pfade füren zu ihm.*) Der Hades ist das poetisch aufgefaßte Grab, daher er auch im Innern der Erde liegend gedacht ist.**)

Das Mittelalter dagegen kehrte das Verhältnis von Leib und Seele, von Leben und Tod um. Nach seiner Anschauung ist der Träger der Lebenskraft und insbesondere des Denkens, Fühlens und Wollens nicht der sichtbare Leib, sondern ein unsichtbares, selbständiges, substantielles Individualwesen, die Seele, welche der eigentliche Mensch ist. Der Leib ist nur ihre vergängliche Hülle, ihr Kerker, der nur durch sie höhere Vollkommenheit hat, wärend er sie an der vollen Entfaltung ihres Wesens hindert. Der Mensch ist ein dualistisches Wesen, das in die unsterbliche, reine Seele und in den hinfälligen und vergänglichen Leib sich zerlegt, derart, daß die intellektuellen und ethischen Gegensäze, Vernunft und Torheit, Warheit und Irrtum, Gut und Böse mit dieser Dualität korrespondiren. Denn die Seele ist das Würdige, Positive, Gottänliche, die Trägerin der Vernunft und des Ge­wissens, wogegen das Sinnliche, die schlimmen Neigungen, der Irrtum, ihren Ursprung im Leib haben. Dem entsprechend wurde auch eine Welt des Jenseits konstruirt, wo die Seele nach dem Tode, von irdischen Schlacken befreit, die ware Seligkeit genießt, für die sie in diesem Leben sich vorzubereiten und würdig zu machen hat; wärend sie, wenn sie hienieden einen gottwidrigen Wandel gefürt hat, dort Strafe, Qual und Pein erduldet. Das Erdenleben ist daher nur ein flüchtiger Aufenthalt, das eigentliche Leben begint erst mit dem Tode. Der Seele als den eigent­lichen Menschen entsprach die jenseitige Welt als das eigentliche Leben, das bessere Dasein, und dort vorzugsweise erfolgte die Gegenleistung Gottes für die Verehrung, welche ihm der Mensch in diesseitigen Leben widmete.

4. Kapitel. Psychologische Quelle.

Versuchen wir, die gemeinsame psychologische Quelle dieser Vor­stellungen zu verfolgen, so werden wir auf zwei Hauptsphären des menschlichen Seelenlebens gefürt werden. Zunächst ist es der reine Intellekt, das Denken, das diese Vorstellungen produzirte,

Seel' und Schattengebild, doch ganz der Besinnung ent­behrt sie."

Aenlich Odyssee XI, 205 ff wo Odysseus erzält:

Jene sprach's, ich aber, durchbebt von inniger Sehnsucht, Wollt umarmen die Seele der abgeschiedenen Mutter. Dreimal strebt' ich hinan, voll heißer Begier der Um­

armung;

Dreimal hinweg aus den Händen wie nichtiger Schatten und Traumbild Flog fie." Und als Odysseus meint, die Königin des Hades, Persephoneia , habe ihn mit einem Trugbild getäuscht, belehrt ihn seine Mutter: ,, Garnicht täuschet sie dich, die erhabene Bersephoneia: Nein so will's der Gebrauch der Sterblichen, wenn sie ver­blüt sind. Denn nicht mehr wird Fleisch und Gebein durch Sehnen verbunden; Sondern die große Gewalt der brennenden Flamme ver­zehrt dies Alles, sobald aus dem weißen Gebein das Leben hin­wegfloh. Aber die Seele verfliegt, wie ein luftiger Traum, und entschwebet."

*) Buchholz, Homerische Kosmographie§ 13. Vergl. auch Homer Od. XI., 14-19, Zu Odysseus , der ihn als Totenbeherscher selig preist, sagt Achilleus ( ibid. 487 ff.):

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,, Nicht mir rede vom Tod ein Trostwort, edler Odysseus ! Lieber ja wollt' ich das Feld als Tageloner bestellen Einem dürftigen Mann, on' Erb' und eigenen Wolstand, Als die sämtliche Schar der geschwundenen Toten beherschen." Nur auserwälte Verwante wie Rhadamanthys , Menelaus, versezt Zeus in das elysische Gefilde, die Insel der Seligen.( Odyssee IV., 561 ff.) Aber dahin gelangen sie nicht als Schattenbilder, sondern lebendig mit dem Körper, one den Tod zu sehen.( Crusius, Od. ibid.) **) Buchholz, Hom. Kosmog. ibid.

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weil es über das Rätsel des Seins und Werdens, über die lezten Gründe allen Geschehens, über Wodurch und Warum, aufgeklärt sein wollte. Das Dasein der Welt und die zweckmäßige Einrich­tung derselben ließ das spekulative Denken auf einen Schöpfer, der Wechsel der Erscheinungen, Werden und Vergehen, auf einen Weltlenker, die Denkkraft selbst und die in ihr wurzelnden psycho­logischen Vorzüge des Menschen auf eine vom Leibe unabhängige Substanz, die Seele schließen. Vielleicht ein wichtigerer Faktor aber war ein anderer: das Bestreben, die Schranken der End­lichkeit zu durchbrechen, das enge Gebiet der menschlichen Glück­seligkeit zu erweitern. Unbefriedigt davon, daß er nur in sehr beschränkter Weise der Schmied seines Glückes sein kann, daß eine Menge Faktoren seines Geschicks ihren eigenen Weg gehen und seiner Beeinflussung trozig und hartnäckig widerstehen, kam der menschliche Geist darauf, eine Universalkausalität( oder mehrere) zu personifiziren, eine allmächtige Persönlichkeit als Herrscher über das gesamte Heer der Vorgänge, welche das menschliche Wol und Wehe bedingen, einzusezen und gewisse Wechselbeziehungen zwischen ihm und dem Menschen zu denken, welche den lezteren in den Stand sezen, den Weltregenten sich günstig zu stimmen, die Univer­saltausalität nach seinem Sinn zu reguliren. Da aber diese Vor­stellung für den Glückseligkeitstrieb immer noch nicht ausreichte, indem auch die innigste Gottergebenheit, die kräftigste Gottes­verehrung sich nicht immer durch Glück und Wolbefinden belohnt sah( was den hebräischen Dichtern ein schweres Rätsel war, das sie auf die eine und andere Weise zu lösen suchten; vgl. z. B. das Buch Hiob und den 73. Psalm), so verfiel eine fortschreitende Spekulation darauf, die in diesem Leben vermißte menschliche Glückseligkeit in dem Zustand nach dem Tode zu hoffen, ein geistiges Schlaraffenland zu phantastisiren, in dem die Hoffnung schwelgen und für die Mängel der Wirklichkeit sich schadlos halten konte.

5. Kapitel. Vergleichung der mittelalterlichen mit der

antiten Weltanschauung.

Prüfen wir die beiden Weltanschauungen, die mittelalterliche und antike, nach ihrem Wert, so ergibt sich für die jüngere ein Vorzug, aber auch ein Nachteil. Indem die Spekulation, bestrebt, die Schranken der Wirklichkeit zu durchbrechen, einen kühneren Flug nahm, entfernte sie sich einerseits weiter vom Boden der Wirklichkeit und Warheit und verlor sich in die Region des Jrr­tums, wärend sich wieder anderseits ihr Gesichtskreis beträchtlich erweiterte. Sie entfernte sich von dem Pol der Warheit, da sie die wirkliche Welt gleichsam auf den Kopf stellte und eine ein­gebildete an deren Stelle sezte, wie sie auch den supranaturalen Einfluß auf den Gang der Ereignisse gegenüber der antiken Periode unverhältnismäßig übertrieb. Wärend sich ihr aber das Gebiet der teoretischen Welterkentuis trübte, klärte sich ihr dasjenige auf, welches, als das innere Universum, dem menschlichen Geiste näher liegt und zugängiger ist, das Gebiet der praktischen Er­kentnis oder der Etik und damit hat sie an jener Schranke der Glückseligkeit, welche in der Menschennatur selbst liegt, an die rohe Sinnlichkeit und den Egoismus, den Hebel der Vernunft gesezt und ihre Bewältigung in Angriff genommen. One zwar das etische Prinzip kausaliter begreifen, es aus dem Wesen der Menschennatur und seinen geselligen Trieben ableiten zu können ( was auch einzusehen verhinderte, daß die Tugend ihren Lohn in sich selbst trage und keines andern Lohnes bedürfe), hat das Christentum die Tugend: Gerechtigkeit, Nächstenliebe, Selbst­veredlung als das vorzüglichste Mittel bezeichnet, Gottes Gunst zu erlangen und ein seliges Leben zu erringen, und es ist damit über das sogenante Heidentum hinausgeschritten, dem die mora­lische Idee sich weit schwächer, nur dämmernd geoffenbart hatte und bei dem die blutigen Tieropfer hauptsachlich den Götter­fultus ausmachten. Zwar war das Etische des christlichen Kultus, wie bereits angedeutet, von einer Menge anderer Kultusarten überwuchert, die nicht weniger abergläubischen Karakters waren als das Opferwesen, und es ist kaum zu bestreiten, daß sich die Praxis denselben besonders gern zuwendete und vielleicht mehr als jenem, was begreiflich erscheint, wenn man erwägt, daß einer­seits die Menschen einer geringeren Kulturstufe sich dem Mysti­ schen mehr gefangen geben, als dem Rationellen, anderseits die volle Unterwerfung unter die Geseze der Moral einen größeren moralischen Kraftaufwand erfordert. Indessen war doch einmal das etische Gebiet kultivirt und der dasselbe parasitisch aussaugende und schwächende Formalismus fonte von fräftiger Hand entfernt werden.