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verlangen wieder wie ein jäher, wilder Schmerz durchzuckte, Schmerz darüber, daß sie ihm immer wieder enteilte und ihm nichts, gar nichts zu sagen wußte. Und er hatte doch gehofft, daß es jezt geschehen müßte!... Er war so freudig gestimt am frühen Vormittag herübergekommen und hatte kaum erwarten fönnen, daß er's ihr sagte, was sein Herz wieder muntrer schlagen und ihn aufatmen ließ, als wär er plözlich von einer schweren Last befreit. Denn nun, nachdem die beiden Kolin   ein offenes Geständnis ihrer blutigen Tat abgelegt, nun konte ihn niemand mehr mit heimlichem Mißtrauen ansehen, so meinte er bei sich selbst durften selbst seine ärgsten Feinde sich nicht mehr in beleidigendem Geflüster über ihn ergehen,- jezt würde auch Helene freudig und unbefangen zu ihm aufschauen und ihn bemitleidend wegen der Schmach, die ihn unschuldig getroffen, alles vergessen, was sie seither so übel gegen ihn gestimt, von nun an hatte er weiter gehofft tönte sie nicht mehr blind gegen seine tiefe Neigung sein, müßte fühlen, was aus seinen innigen warmen Worten zu ihr sprach, kurz, nun müßte sich alles, alles wenden!

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Und er schien sich doch getäuscht zu haben. Zwar war es ihm, als habe in dem kurzen, leuchtenden Blick, mit dem sie vor­hin, als ihre Hand in der seinen lag, zu ihm niedergesehen, eine leise, zärtliche Erwiderung gelegen; aber es peinigte ihn, wie er nun wieder allein im Zimmer saß, fort und fort, daß er ihn nicht klar zu enträtseln wußte, und daß sie ihm so gar keine Erklärung über ihr ganzes seltsames Benehmen gegeben. Er beachtete kaum, daß ein gefülltes Glas vor ihm stand, sondern erwartete, das Antlig unverwant nach der Tür gerichtet, durch die sie verschwunden, hochklopfenden Herzens ihre Widerkehr.

Aber der Zeiger an der großen hölzernen Wanduhr rückte weiter und weiter, wol eine Viertelstunde verging, und sie war noch nicht wieder hereingekommen. Endlich faßte er sich ein Herz, stand auf und ging nach jener Tür, um sie nach leisem Anklopfen behutsam zu öffnen und nach ihr hinauszuspähen. Doch sie war nicht in dem anstoßenden Gemach und er zog, trüb seine Stirn runzelnd, die Tür wieder sacht zurück. Dann harrte er immer noch einige Minuten und ging unruhig im Zimmer auf und ab, als sie auch dann noch nicht erschien, war es ihm klar, daß sie sich ihm zu entziehen gewünscht hatte und jet nicht weiter mit ihm zu sprechen wünschte. Er empfand es mit

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einem Gefül tiefer Unzufriedenheit und Bitterkeit, legte das Geld für das ihm verabreichte Glas Wein auf den Tisch und ging, one das leztere auch nur einmal an die Lippen gefürt zu haben, hinaus.

Draußen bog er um das Haus herum und lenkte den Schritt auf den Weg, der in die tiefer gelegene Talmulde hinabfürt. Nach wenigen Augenblicken indessen verließ er den lezteren schon und betrat einen seitab gradaus in den nahen Buchenwald   aus­laufenden schmalen Wiesenpfad. In demselben Moment, wo er seinen Schritten diese Richtung zu geben im Begriff war, kam Nanette, heiter und munter wie immer, im saubern Sonn­tagsgewand die Straße von unten herauf. Sie trällerte ein lustig Liedlein und sah dem jungen Meister, als sie dicht neben ihm war, schalkhaft in's Gesicht und bot ihm fröhlichen Gruß. Sie hätte vielleicht gar nicht übel Lust gehabt, ihn gerade jezt anzuhalten und ihn zu fragen, ob er sich noch erinnere, wie er ihr vor Jaren im Herbste die Goldäpfel von den Bäumen im Schmiedgarten geschüttelt,- aber er schritt gesenkten Hauptes und so ernst, sein Gesicht schien ihr bleich und es war ein so schneller, seltsamer Blick, mit dem er bei ihrem Gruß, one diesen zu erwidern, zu ihr aufsah, daß sie es dermalen lieber bleiben ließ und nun noch einmal verwundert zu ihm zurückschaute, um dann so schnell als möglich, plözlich ihre munteren Töne ab­brechend, dem Hause ihres Vaters zuzulaufen.

Hier war sie nun wieder erstaunt, das Schenkzimmer völlig leer zu finden und die Schwester, von der sie vor nicht viel länger als einer Stunde hinwegegangen, auch in der Nebenstube nicht anzutreffen. Sie rief den Namen Helenens laut durch's ganze Haus doch niemand antwortete ihr. Dann ging sie eilig in den großen Obstgarten hinunter, bis an den Bach, der drunten vorbeifließt:-da saß Helene auf der steinernen Bank unter dem rotblühenden, betäubend duftenden Fliederbusch, die Ellenbogen auf den Schoß gestüzt und das Haupt tief in beide Hände versenkt. Nanette war von einer plözlich in ihr auf­gestiegenen Ahnung getrieben worden nun sah sie so sagte sie sich wenigstens sie sich wenigstens dieselbe erfüllt. Sie streckte beide Arme über die Schultern der Schwester, umschlang mit dem einen ihren entblößten Hals und bog mit dem andern ihren Kopf herum.

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( Fortjesung folgt.)

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Heinrich v. Kleist.( Forts. statt Schluß.) Kleist wollte sich in Berlin   durch Studien für den Staatsdienst vorbereiten, wenigstens fonte er mit dieser scheinbaren Absicht seine Anverwanten, die keinen mänlichen Sproß ihrer Familie anders als in der Soldatenuniform zu denken imftande waren, über seinen Austritt aus der Armee beruhigen. Allein das Bewußtsein seines dichterischen Berufes bildete sich hier immer mehr aus, der Drang nach Unabhängigkeit wurde immer stärker in ihm, so daß er auch nicht die Probe Lust verspürte, sich durch eine amtliche Stellung in die alte Abhängigkeit zurück zu versezen. So äußerte er sich denn auch in der rücksichtslosesten Weise über die höchsten Herschaften in einem Brife an seine Schwester Ulrike. Er erzält, daß bei seinen Besuchen in Potsdam   die Prinzen sich gegen ihn sehr freundlich er­wies n, der König dagegen nicht. Er meinte aber: Wenn der König meiner nicht bedarf, 10 bedarf ich seiner noch weit weniger. Denn mir möchte es nicht schwer werden, einen neuen König zu finden, ihm aber, sich andere Untertanen aufzusuchen." ,, Am Hofe teilt man die Menschen ein wie ehemals die Chemiker die Metalle, nämlich in solche, die sich dehnen und strecken lassen und in solche, die dies nicht tun. Die ersten werden dann fleißig mit dem Hammer der Willkür geklopft, die andern aber wie die Halbmetalle verworfen." Und über die Industrie: ,, Uebrigens ist das ganze preußische Kommerzsystem sehr militärisch und ich zweifle, daß es an mir einen eifrigen Unterstüzer finden werde. Die Industrie ist eine Dame, und man hätte sie fein und höflich, aber herzlich einladen sollen, das aime Land mit ihrem Eintritt zu beglücken. Aber da will man sie mit den Haren   herbeiziehen; ist es ein Wunder, wenn sie schmollt? Künste lassen sich nicht wie die militärischen Hand­griffe erzwingen." Kein Wunder, wenn ihm das alles sehr prosaisch vorkam und er, um seinem inneren Drange, seiner Neigung zu leben, was er vor seinen Familienangehörigen und dem größten Teil seiner Standesgenossen nicht offen tun konte, diese Gesellschaft floh, um sich auf der Reise zu zerstreuen, seinen Geist und Gemüt zu beleben und zu erfrischen und in der Fremde seinem ihm von der Natur vorge­zeichneten Berufe Genüge zu tun. Es trieb ihn fort und wie wir sahen nach Paris  .

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Seine Reise ging über Dresden  , Leipzig  , Halle, Halberstadt  , Wer­ nigerode  , Goslar  , Göttingen  , Kassel  , Frankfurt   a. M., Rödelheim  , Mainz  , Koblenz  , Mannheim  , Heidelberg  , Durlach  , Straßburg  , und fast

in jeder Stadt war er an hervorragende Männer empfolen oder be­suchte bedeutende Vertreter der Wissenschaft. Am besten scheint es ihm in Dresden   gefallen zu haben, wenigstens ist er in seinen Brifen voll des Lobes über die herliche Lage dieser Elbstadt, deren Kunstschäze und auch die vortrefflichen Menschen, mit denen er dort verkehrte. Nach diesen Schilderungen ist dann besonders die hervorhebenswert über seine Rheinfart, auf welcher er einen sehr großen Sturm erlebte, so daß er und seine Reisegefärten in ernster Lebensgefar schwebten. Den ihm so nötigen Frieden der Seele fand er auf dieser Reise auch nicht nur Berstreuung brachten ihm die in großer Mannigfaltigkeit ab­wechselnden Bilder, welche an ihm vorüberzogen.

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Diese Stimmung beherschte ihn auch in Paris  , wo er im Juli 1801 antam, und es ist interessant, die wenigen Brife zu lesen, die er von dort aus schrieb. Am erbittertsten spricht er sich darin jedoch über die Jaresfeier der Erſtürmung der Bastille aus, welche er den 14. Juli mit erlebte. Außer Alexander v. Humboldt lernte er in der Seinestadt noch verschiedene namhafte Gelehrte kennen, er besuchte auch einige Vor­lesungen, aber zu ernsthafter Arbeit ließ ihn seine Stimmung, die sich in dem Treiben der volfreichen Stadt noch verschlimmerte, nicht kommen. Schließlich faßte er den Entschluß, den Menschen zu entfliehen, in die einfache Natur, nach der Schweiz   zu gehen und sich dort ein Grund­stück zu kaufen, welches er als Landwirt bebauen und bewohnen wollte. In dem Brife, welcher seiner Braut diesen Entschluß wie seine innere Unruhe und seine geradezu unerträgliche Gemütsverfassung mitteilt, bittet er diese, auch ihm in das freiwillige Exil zu folgen.

Es läßt sich heute nicht mehr nachweisen, von welch heilsamen Einfluß es für das Gemüt des unglücklichen Dichter gewesen wäre, wenn die Braut diesem Rufe gefolgt und ihm in der freien und gesunden Natur durch eine liebevolle Behandlung und den gewiß in diesem Falle sehr nüzlichen Einfluß des Weibes mit zu dem Frieden der Seele ver­holfen hätte. Aber das Ansinnen war und wäre wol auch unter ähnlichen Verhältnissen heute noch ein so ungewöhntes fremdartiges, daß man es für überspant hielt, und zudem fante sie wol auch sein Wesen viel zu wenig, um sein Denken und Fülen wie sein Leiden und vollends einen solchen Schritt seinerseits nach Gebühr zu würdigen; sie lehnte daher ab und damit war auch das Verhältnis zu Ende.

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Ulrike, die Schwester, sträubte sich gleichfalls dagegen und glaubte,