" So revocire ich und deprecire meinetwegen, oder vielmehr deinetwegen, auch. Ich wollte nicht beleidigen. Aber ich bin der Ueberzeugung, daß alle diejenigen, welche sich berufen glauben, andern Menschenkindern Vormund und Vorsehung zu spielen, da­mit hundertmal mehr Unheil anrichten als Segen stiften. Laßt die Menschen Menschen sein und sehe jeder nur, wie er es treibe - das ist die beste Regel für das Verhalten der Menschen unter einander."

Würdest du auch so reden, wenn du Ursache hättest, anzu­nehmen, daß der Verlobte der Schwester eines Freundes und Bundesbruders ein Schurke ist?"

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Nun höre, Schleiermacher   ich liebe es nicht, viel in all­gemeinen Sentenzen zu reden, ich halte mich viel lieber an kon­frete Fälle: wenn ich wüßte, daß der Verlobte des Fräulein Friederike Haßler ein Schurke ist, dann würde ich- Guido Frank alle Mittel in Bewegung sezen, dieses Mädchen, grade dieses Mädchen vor dem Unglück an der Seite eines unwür­digen Menschen zu bewaren. Und nun wirst du mir kurz und klar und auf dein Wort als Bursche und Sueve, Schleiermacher  , erzälen, was du von dem in Rede stehenden konkreten Falle weißt, positiv weißt."

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" Ich fann nur auf das allergenaueste dem Sinn nach- wiederholen, was mir mein Vater mitzuteilen für gut befunden hat, und ich nehme davon mit höchster Zuversicht jede Silbe auf mein Ehrenwort. Mein Vater sagt: es stehe fest, daß Herr Stein,

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der Verlobte des Fräulein Haßler, in dem Specht'schen Hause verkehre, ferner, daß Herr Stein vor kurzem erst einen Nach­mittag hier in der Stadt verlebt und seine Braut nicht aufgesucht, wol aber eine ganze Stunde allein mit Fräulein Elfriede Specht in deren Wohnung zusammengewesen sei. Das ist also positiv und unumstößlich war, Thor, und mein Vater fügte hinzu, aller Voraussicht nach würden sich diese Besuche wiederholen Was meinst du dazu, Thor?"

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Frank war mit überschlagenen Armen auf und niedergeschritten. Nun blieb er vor Becker stehen und schaute ihm scharf in die Augen.

" Ich übernehme die Unterhandlungen in Sachen unserer Kouleuranleihe und werde den bezüglichen Antrag vor der Couleur vertreten. Gleichzeitig werde ich die Beziehungen des Herrn Stein zu dem Hause Specht   untersuchen und der jungen Dame, die ich aufs höchste zu achten alle Ursache habe, eventuell Satis­fattion verschaffen. Der Herr Stein mag sich in acht nehmen. Du, Schleiermacher  , schweigst und insbesondere sprichst du keine Silbe zu meinem Leibfuchs davon, verstanden?"

Der Teologe Becker fülte sein bedrücktes Gemüt mächtig er­leichtert. Auf der Kneipe hielt er es nun aber nicht länger aus. Er mußte seinem Pflegevater Bericht erstatten über die ihm sehr interessant scheinende Wendung, welche die Dinge nehmen mußten.

( Fortsezung folgt.)

Glasgow   und der Schottische Sabbat.

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Sechster Reisebrif aus Schottland   von L. Viereck.

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Die Fart von Oban   durch den Crinan- Kanal nach Glasgow  . Hafen­leben und Industrie des Clyde  . Die Dampferlinien Schottlands  . Bedeutung Glasgows. Licht- und Schattenseiten des glasgower Lebens. Der Schnapskonsum. Statistische Belege für denselben.- Ein Abend im Royal Princes- Teater. Die Entstehung der Sabbat­feier. Zur Anglisirung Schottlands.- Abfart von Leith und Schluß, Von Oban   nach Glasgow   wird man unter allen Umständen am besten zu Schiff reisen. Die Clyde  - Dampfer sind wirklich prachtvoll eingerichtet und werden an luxuriöser Ausstattung viel leicht nur von den Hudson- Dampfern übertroffen, die in der alten Welt überhaupt nicht ihresgleichen haben dürften. Freilich sind einige Stationen zu nehmen, bis man in Ardrishaig erst den Clyde- Dampfer gewonnen hat. Die Reise wird dadurch beschleu­nigt, aber auch umständlicher gemacht, daß der Crinan- Kanal zu passiren ist, ein Durchstich durch die sechzig Meilen lange Land­zunge von Cantire, durch welchen nur kleine Schiffe faren können. Man benuzt also drei Schiffe auf dieser Reise: den Salondampfer bon Oban bis Crinan, dann das Kanalbot und wärend der Hauptstrecke Nachmittags und Abends den Clyde- Dampfer.

Die Fart bietet sehr viel des Interessanten. Zunächst die Küste von Mull auf der einen und die romantische Umgebung bon Oban  , Berge, Wälder und alte Schlösser auf der andern Seite. Entschieden originell ist die Tour durch den Crinan­Kanal. Derselbe ist nur neun englische Meilen lang, hat aber in seiner mittleren Strecke, wo er die Wasserscheide passirt, nicht weniger wie neun Schleusen zu überwinden. Die Reisenden ver­lassen daher meist bei der ersten Schleuse das Schiff und wan­dern in großer Prozession auf dem Landwege einher, um erst bei der lezten Schleuse das Farzeug wiederzunehmen. Man sieht, der alte tiefsinnige Vers:

Ein Vergnügen eigener Art

Ist doch eine Wasserfart erhält in Schottland   durch derartige Intermezzo's wieder eine neue nie geahnte Bedeutung. Die Landschaft ist hübsch und ver­fließen so die zwei Stunden Dampfschiffs- Promenaden- Fart durch den Erinan unerwartet schnell. In Ardrishaig muß man von der Stelle, wo das Kanalbot hält, ziemlich wieder eine Viertel­ſtunde laufen, bis man endlich bei dem Bestimmungsschiffe an­langt. Hier wird man aber für alle Beschwerden entschädigt. Das Verdeck ist so geräumig, daß die größte Passagierzal Plaz findet und die herliche Szenerie, die uns namentlich bei der Insel Bute   erwartet, ganz con amore genossen werden kann. Regnet es aber, so sind die Fenster in dem großen Kajütensalon so groß, die Einrichtungen in diesem so begnem und auch die gebotene Verpflegung so anerkennenswert, daß man noch immer nicht be­

reuen wird, die Wasserroute gewält zu haben. So findet man Zeitungen, Bücher und mehrere Schreibtische zur Benuzung des Publikums. Eine Post ist an Bord, ebenso eine Barbierstube und, um nichts vermissen zu lassen, auch eine Badeanstalt, in welcher man sich nach Belieben in Süß- oder Salzwasser rekreiren fann. Für bescheidene Ansprüche" ist also jedenfalls vollkommen Sorge getragen. Erwänt sei noch, daß man während der ganzen ersten Hälfte der Reise sich in der Grafschaft Argyll   befindet, die sich noch ein ganz Stück nördlich von Oban   ausstreckt. Diese Grafschaft umfaßt nicht weniger wie 2 083 126 Akres, d. i. ein Neuntel von ganz Schottland  . Zum sehr großen Teile bildet sie die Domänen des immens reichen Herzogs von Argyll, was wiederum folgende Fakta hinlänglich erläutert, daß nämlich 1) nur 118 000 Afres, d. h. noch nicht einmal 6% des Areals, in Kultur stehen, und ferner 2) sich nur etliche 70 000 Bewoner in diesem riesigen Terrain angesiedelt haben, oder etwa 24% statt 11% der Gesamtbevölkerung. Eine sprechende Folge schottischer Latifundienwirtschaft! In der Grafschaft Bute   sind dann die Ver­hältnisse schon viel normaler. Von 144 000 Afres sind über 25 000 urbar und gegen 20 000 Bewohner vorhanden. Insel Bute  , welche den Hauptbestandteil der Grafschaft bildete, ist nämlich sozusagen von Glasgow   aus kolonisirt, täglich faren eine ganze Anzal Schiffe hin und her, und die Hauptstadt von Bute  , Rothesay  , ist ein durch hübsche Lage und Bauart aus­gezeichnetes Seebad.

Die

Wir sind jezt in dem Firth of Clyde angelangt. Nur noch eine kurze Strecke und die Erinnerung au die Hochlands- Romantik verblaßt mehr und mehr gegenüber der großindustriellen rauhen Wirklichkeit des Clyde  . Das ganze Clyde  - Gebiet ist ein großes Kohlenbecken auf dem die bedeutende Industrie von Glasgow  , Greenock   und der übrigen Industriepläze der Grafschaften Lanark und Renfrew   mächtig emporgeblüht ist. Die Clyde  - Mündung und der untere Lauf des Clyde   zwischen Greenock   und Glasgow  weisen eine entschieden hübsche Szenerie auf, aber leider behält nur zu oft dec londoner Punch" recht, welcher von den viel­gepriesenen Schönheiten des Firth of Clyde   folgende Illustration brachte: einen großen Nebel, grau in grau, in welchem nur die schwarzen Rauchsäulen und Lichtsignale der kursir.nden Dampfer zu unterscheiden sind. Ist nämlich die Luft feucht un nebelig, was in Schottland   ja eigentlich die Regel bildet, so vermag der tagtäglich durch die dortigen Fabriken massenhaft produzirte Kohlen­dampf nicht zu entweichen und ballt sich in dicken Wolken über dem Wasser zusammen. Wehe dem Unglücklichen, der nach einer ver­regneten Hochlandsreise bei richtigem britischen Nebel in den Clyde   einfärt, er wird unzweifelhaft dem Schicksale fluchen, das