An demselben Abend noch kam, mit Anbruch der Dunkelheit, die schöne Gräfin Borken   zu dem Minister Bartenhelm. Sie kam vermumt wie ein Bote der Vehme und Exzellenz verließ mit ihr gleichfalls vermumt das Haus. Eine Viertelstunde später fürte die Gräfin den Minister in das sogenante türkische   Zimmer des Schlosses und ließ ihn hier allein. Gleich nach ihr kam ein als Eunuch des Serails gekleideter Diener herein, nahm ihm Hut, Mantel und Degen ab und sperrte, als er das Zimmer verließ, die Außentüre hinter sich ab.

Wenige Augenblicke später trat durch einen Vorhang, der den Eingang zu dem Nebenzimmer verhüllte, die Fürstin Rosabella als Sultanin gekleidet herein. Sie trug rote Pantoffel, hellblaue Pantalons, ein kurzes Ueberkleid von gelbem Damast, das ihre zarte, knospende Brust sehen ließ, darüber einen langen Kaftan von hellblauer Seide, ringsum mit goldenen Fransen garnirt, vorne herab und an den Aermeln mit blendendem Hermelin ver­brämt, auf dem Kopf den damals üblichen, kleinen, spizen Turban von roter Seide, von dem ein kleiner, weißer Schleier, Perlen und Goldmünzen herabfielen. Brust und Arme funkelten von dem kostbarsten Schmuck.

Bartenhelm war vollkommen geblendet. Die reizende Sul­tanin ließ sich, hold lächelnd, auf den seidenen Polstern eines niederen Divans nieder und winkte ihn zu sich.

,, Der Fürst war sehr böse," begann sie, wir haben uns ge­zanft, ernstlich gezankt. Seine Hoheit ließ anspannen und trat auf der Stelle wieder eine Reise an, diesmal nach Holland  . Wärend der Abwesenheit des Fürsten   werde ich die Regierung füren. Sie begreifen aber, Bartenhelm, daß es nicht angenehm ist, nachdem man fast vier Monate Strohwittwe war, wieder ein par Monate one Gemal zu sein. Ich habe deshalb beschlossen, dem Beispiel der russischen Czarin zu folgen und mir mit Günstlingen die Zeit zu vertreiben. Um indes soviel als möglich den Skandal zu verhüten, nehme ich mir nicht einen jungen Offizier, sondern Sie, lieber Bartenhelm zu meinem Adorateur*)."

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,, Um Gotteswillen," stammelte die Exzellenz, wollen Hoheit doch bedenken-"

Alles bedacht, lieber Bartenhelm," fur die Fürstin mit einem zärtlichen Blick auf ihn fort ,,, werde jezt kein christliches, sondern ein echt türkisches Leben füren, und da ich für Sie längst ein

*) Anbeter.

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Faible*) habe, so sind Sie eben meiner Gnade teilhaftig ge­worden."

Auf ihren Wink nahm der Minister an ihrer Seite Plaz und es gelang dem reizenden Weibe, in kürzester Zeit aus dem gräm­lichen Pedanten den verliebtesten Schäfer zu machen. Alle Prin­zipien einer skrupulösen Moral waren vergessen und Bartenhelm bettelte vor der Fürstin auf den Knien liegend um einen ein­zigen Kuß.

,, Nicht einen, tausend Küsse sollen Sie haben," rief Fürstin Rosabella; aber vorher müssen Sie mir beweisen, daß Sie mich wirklich adorirer:**)."

Ich bin zu allem bereit!"

Bon.   Sie werden also mein Pferd machen. Lassen Sie sich auf alle Viere nieder." Ehe Bartenhelm, der auf der Stelle gehorchte, noch recht wußte, um was es sich handle, hatte die Fürstin sich auf seinen Rücken niedergelassen und ihm ihr Strumpf­band als Zügel in den Mund gegeben.

,, Allons," befahl sie, hott, hott."

In diesem Augenblicke ertönte ein lautes Gelächter und der Fürst stand vor dem vollkommen vernichteten Minister.

,, Wie ich sehe, amüsiren Sie sich vortrefflich mit meiner Frau, lieber Bartenhelm."

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,, Auf Befehl- Ihrer Hoheit- Ihrer Hoheit Hochdero Gemalin- ist- jo- Lustig."

Mit einem mutwilligen Lachen zwang die schöne Sultanin ihr Reitpferd, sie durch das Zimmer zu tragen.

Der Fürst stand dabei und lachte, daß ihm die hellen Tränen herabliefen.

Exzellenz von Bartenhelm trat am nächsten Tage eine Bade­reise nach Karlsbad   an. Bei seiner Rückkehr fand der entlarvte Jesuit die Verhältnisse am Hofe vollkommen verändert. Die strenge Disziplin, die steife Etikette und die heuchlerische Moral waren mit einemmale verbant, und es herschte jener unge­zwungene, heitere Ton, den die Franzosen besser verstehen, als irgend ein anderes Volk.

Der Fürst reiste nie mehr nach Wien   und die Fürstin sezte feine tollen Studentenstreiche mehr in Szene, dafür begannen jezt am Hof selbst die lustigen Tage von Döntheim.

*) Eine Schwäche. **) Anbeten.

Die Religion der Vergangenheit und der Jukunft.

Von Dr. A. Israel.

15. Kapitel. Wesen der Moral. Gegenstand der Moral ist das menschliche Wollen. " Die große Reihe von Untersuchungen, welche die Menschen anstellen, läßt sich in zwei Hauptgruppen bringen. Entweder fragt man nach dem tatsächlich Gegebenen( was in der sinnlichen oder gei­stigen Welt ist oder gewesen ist und was darum one unser Zutun sein wird und sein und geschehen muß) und diese Gruppe wollen wir teoretische Untersuchungen nennen; oder man fragt nach dem Werte dieses Seins und Geschehens und nach dem mensch= lichen Handeln, das auf Grund dieses empfundenen Wertes eine andere Welt zu der tatsächlich vorhandenen hinzufügen soll." ( Hollenberg, Etif§ 1.) Lezteres ist das praktische Denken. Dieses leztere selbst aber kann entweder ein solches sein, das sich mit den Mitteln zu einem bereits feststehenden lezten Ziel des Wollens beschäftigt, oder welches über das zu wälende lezte Ziel des Wollens selbst nachsint.

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Das lezte Ziel des Wollens ist immer die Lust, oder, weil dieses Wort einen epifuräischen Klang hat, das Behagen, das psychische Wolbefinden*). Das Wollen ist stets geschäftig, dem Gefül Lust zu bereiten und Unlust von ihm abzuwehren**).

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*) Auch bezeichnet Lust mehr ein angenehmes Wetterleuchten des Gefüls, Wolbefinden mehr den ruhig zufriedenen Gefülszustand.

**) ,, Zuweilen aber strebt der Mensch nach Unlust, um einer größeren Unlust aus dem Wege zu gehen oder um sich eine Lust zu bereiten. Er verzichtet auf eine Lust, um eine Unlust dadurch zu vermeiden, oder einer größeren Lust teilhaftig zu werden."( Völker, Ist der mensch­liche Wille frei? Stuttgart  , 1880. Siehe auch das Weitere daselbst.)

( 4. Fortsezung.)

Dennoch sind die Ziele des Wollens nicht nur nach der indivi­duellen und temporären psychischen Disposition, sondern auch nach dem Grade der Intelligenz verschieden. Die simple Intelligenz des Kindes und des Tieres, der Instinkt, ist auf das Wol­befinden des Augenblicks gerichtet. Die entwickelte des Erwachsenen, der Verstand, richtet sich auf das Wolbefinden des Gesamt­lebens, auf das Glück. Die höhere Intelligenz aber, oder die Vernunft, richtet ihr Streben nach den der menschlichen Natur adäquaten Arten von Lust; ihr Ziel ist die Glückseligkeit. Das leztere ist die Domäne der Etik oder der Moral. Sie be= wegt sich auf dem Gebiet des praktischen Denkens und bestimt die Ziele des Wollens, welche die Glückseligkeit ausmachen. Zu dieser materialen Etik( mit der wir uns nachher näher zu be­schäftigen haben werden) komt weiter die formale: das Bestreben, damit im Kampfe der Einsicht mit der Neigung um den Willen dem Geist über das Wollen den Zügel der Herschaft zu sichern, die leztere nicht obsiege. Diese formale Etik ist eine naturge­mäße Folge der materialen, weil sonst ihre Geseze illusorisch würden*). Die materiale Etik nun und hierin stimmen die religiösen und philosophischen Systeme aller Zeiten so ziemlich

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*) Die Aufgabe, den Willen dem Geiste unterzuordnen im Kampfe der Erkentnis mit der Neigung( des Geistes mit dem Fleische, wie die Kirchensprache sich ausdrückt) ist schon eine Konsequenz des auf das Glück gerichteten Wollens. Man pflegt jedoch die Selbstbeherſchung

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im allgemeinen und in jeder Richtung zur Moral zu rechnen. Man kann auch in der Tat die formale Etik, zunächst nur auf das Streben nach dem Ziel bezogen, welches wir als Glück bezeichnet haben, als die erste Stufe der Etik bezeichnen.