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überein zerfällt in zwei Hauptsphären. Sie bestimt als Ziel des Wollens einmal den Idealismus gegenüber dem Materia­lismus. Unter Idealismus verstehe ich das auf die edleren Arten des Behagens sich richtende Streben, welche aus dem Erkennen des Waren, dem Fülen des Schönen und Guten entspringt; wogegen der Materialismus vorzugsweise die Vergnügungen der Sinne erstrebt. Sodann bestimt die Etik als Ziel des Wollens die Humanität gegenüber dem Egoismus. Jene erstrebt nicht blos die eigene Glückseligkeit, sondern auch die der Mitmenschen, der Familie, Mitbürger, Menschheit. Selbst das Wolbefinden der Tiere geht ihr nahe.

Fassen wir das Vorstehende für unseren Zweck kurz zusammen, so ergibt sich, daß die Moral in der Idealität und Humanität der Gesinnung besteht; sowie in der Unterordnung des Wollens unter die Einsicht auch dann, wo Sinnlichkeit und Neigung sehr fräftig protestiren.

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Das erstere, was wir die materiale Moral genant haben, ist Sache der Gesinnung. Die ideale und humane Richtung des Wollens wurzelt in der Ueberzeugung, daß diese Richtung des Wollens dem Glückseligkeitstrieb*) adäquat sei. Die formale Moral ist nicht sowol Sache der Gesinnung als der Kraft, sich selbst, d. h. seine Neigungen und Affekte überwinden zu können, dem Ovidschen Wollen habe ich wol des Gute, aber vollbringen das Gute habe ich nicht gekont" zu begegnen. Wärend daher diese durch Erziehung und Uebung in der Selbstbeherſchung er­worben wird, wird jene durch Erkentnis angeeignet. Wenn daher nach Sokrates alle Tugend im Wissen( und daher lehrbar) sei, wogegen Aristoteteles die Uebung in der Tugend urgirt, so sind beide Philosophen im Rechte; indem jener die materiale Moral, dieser die formale im Auge hat.

Wir brauchen uns bei der formalen Etik nicht aufzuhalten, da ihre Postulate keiner weitern Begründung bedürfen. Wir wens den uns daher zur materialen. Auch hier wird es nicht notwendig sein, die Postulate, welche der Idealismus( welcher das moralische Verhalten des Menschen gegen sich selbst) und der Humanismus ( welcher das Verhalten des Menschen gegen andere betrifft) im Einzelnen aufzuzälen. Wir schreiben kein Moralkompendium uad die moralischen Vorschriften der einen und anderen Sphäre sind bekant. Unsere Absicht ist es nur, die Etik auf monistischem Fundament zu begründen und diese Aufgabe stellt sich uns nur bezüglich derjenigen Sittengeseze, welche in das Gebiet des Huma­nismus gehören und welche der Pentateuch mit dem Worte: " Liebe deinen Nächsten wie dich selbst", das Evangelium mit dem Wort Jesu: Was ihr wollt, daß euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen"( jenes bezieht sich auf die Gesinnung, dieses auf das Tun) klassisch zusammenfaßt; denn denen, welche unter das andere Gebiet fallen, ist ihr enger Zusammenhang mit dem Glückseligkeitstrieb unverkenbar aufgeprägt.

16. Kapitel. Ursprung der Moral.

Sowol auf den Gebieten des teoretischen, wie des praktischen Denkens dämmern nicht selten im Bewußtsein des Menschen War­heiten auf, one daß der Geist sich über das logische Gedanken­spiel, oder besser: über die Kette von Vorstellungen, woraus sie hervorgegangen sind, klar oder auch nur irgendwie bewußt ist. Das Urteil taucht im Bewußtsein auf, die Prämissen, auf denen sich dasselbe gründet, bleiben versteckt. Solcher Art sind die Ahnungen, welche zuweilen das Zukünftige dadurch erraten lassen, daß zusammenhängende Dinge und Ereignisse sich im Bewußtsein aneinanderdrängen und auf ein Vorkommnis, welches für das Ich besonderes Interesse hat, schließen lassen, one daß das volle Licht der Erkentnis auf dieselben fällt.*) Aenlich verhält es sich auf dem Gebiet der praktischen Erkentnis, mit dem, was wir Takt zu nennen pflegen. One vorangegangene Ueberlegung und Be­

*) Nur der Glückseligkeitstrieb kann das Fundament einer ratio­nellen Etik bilden und jeder Versuch, diesen zu umgehen, muß mit einem Fiasko enden und erinnert an das Wort des Archimedes, von einem Punkt außerhalb der Erde wolle er die Erde leicht bewegen. So wenig Der Erdbewohner sich von der Erde hinwegbegeben kann, ebensowenig fann er des Triebs nach Wolbefinden sich entäußern.( Vgl. Näheres in der bereits zitirten Schrift von Völker S. 11 ff.)

**) Vielleicht haben wir es hier eben mit einer Gedankenoperation zu tun, welche sich nicht der Worte, sondern der eigentlichen Vorstellungen unwillkürlich bedient. Auch gewisse Träume dürfen hierher gerechnet

werden.

rechnung, one über das Warum? sich klar zu sein, trifft der takt­voll Handelnde das Richtige und Schickliche. Auch in der Ge­schichte der Wissenschaften begegnen uns derartige Erkentnisarten. Ein genialer Geist stellt eine Behauptung auf, one sie näher be­gründen zu können und eine spätere exakte Forschung konte die­selbe bestätigen. Diese Warnemungen mögen wol im Altertum den Glauben an eine höhere Eingebung, an göttliche Erleuchtung ( Inspiration) veranlaßt haben. Auch die Sittengeseze( besonders die, welche wir hier vorzugsweise in's Auge fassen) wurden von den alten Völkern, iu ihrer inneren Warheit gefült, aber in ihrem Hervorgang aus dem eigenen menschlichen Innern nicht begriffen." Strauß, Dogmatik 1. Bd.§ 7.) Die Menschheit in ihrem dunklen Drange war sich des rechten Weges bewußt"; sie erkante, daß humane Gesinnungen und Handlungen, Gerechtigkeit und Nächstenliebe nicht nur für die Gesellschaft, sondern ebensosehr für das Individuum ersprießlich seien. Weil man aber die psychologischen Geseze nicht finden konte, in welchen die sittlichen Postulate entspringen, so bezeichnete man als ihren Ursprung bald eine göttliche Offenbarung an auserwälte Menschenkinder*), bald das Gewissen( womit man der Warheit schon näher kam, indem das Gewissen in natürlichem Sinn nichts anderes ist, als die Gefühle der Lust und Unlust, welche die moralischen und un­moralischen Handlungen und Gesinnungen begleiten). Selbst ein Denker erster Größe wie Stant fonte jenes x nicht finden und nahm zu einem kategorischen Imperativ" seine Zuflucht; eine Ansicht, die in jenen Rigorismus ausartete, welchen Schiller mit den bekanten Distichen ironisirt:

( Gewissensskrupel.

Gerne dien' ich den Freunden, doch tu' ich es leider mit Neigung, Und so wurmt es mich oft, daß ich nicht tugendhaft bin.

Entscheidung.

Da ist kein anderer Rat, du mußt suchen, sie zu verachten, Und mit Abscheu alsdann tun, wie die Pflicht dir gebeut.

14. Kapitel. Das Wolwollen als Fundament der Moral.

Der lezte Zwed alles menschlichen Handelns ist, wie wir be­reits bemerkt haben, Lust oder Wolbefinden, bezw. die Abwehr des Gegenteils. Wenn nun das menschliche Wollen auf die Lust und Unlust anderer Menschen wie auf die eigene Rücksicht nehmen, unter Umständen sogar das eigene Wol dem der andern hinten­ansezen soll, so muß seinem Gefülsvermögen das Mitgefül ein­gepflanzt sein, welches in der psychischen Sphäre des Wollens als Wolwollen sich äußert, und er muß ferner einsehen, daß dieses Gefül eine wesentliche Bedingung seiner Glückseligkeit ist, daß one dasselbe eine ware Glückseligkeit nicht denkbar ist. Nur die leztere Ueberzeugung wird ihn bewegen, dieses Gefül sich voll anzueignen, zu pflegen und zu begünstigen und die Marimen seines Wollens mit seinem Stempel zu prägen.

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Das Mitgefül, oder wälen wir lieber seinen aktiven Spröß­ling, das Wolwollen ist für uns die eigentliche Triebfeder der Humanität**).

*) ,, Auf die zwei Fragen, wie sind dergleichen Geseze an die Menschen gekommen? und woher komt ihnen ihre Gültigkeit? gibt die Legende überall eine und dieselbe Antwort: sie sind von Gott gegeben, und darum für die Menschen unbedingt verbindlich"( Strauß, der alte und der neue Glaube IV.§ 72). So z. B. singt der Chor im Sophokles Oed. rex( V. 850 ff.):

Ach! würd ich teilhaft des Loses,

Rein zu waren fromme Scheu bei jedem Wort und jeder Handlung, Treu den Urgesezen,

Die in den Höh'n wandelnd, in Aeters Himlischem Gebit stammen aus dem Schoße Des Vaters Olympos, nicht Aus sterblicher Männer Kraft Geboren.

( Nach Danner.)

**) Wenn Schopenhauer das Mitleid zum moralischen Beweggrund macht, so hat ihn wol sein Pessinismus diesen Ausdruck wälen lassen; da er gewiß nicht blos das Mitgefül mit dem Leid des andern, sondern auch das mit deren Freude meint( was auch Strauß d. A. und nach G. IV,§ 73, annimt). Wenn er aber von Pflichten gegen sich selbst nichts wissen will, weil er sie nicht vom Mitleid ableiten konte, so zeigt dies, daß auch er das Wesen der Moral nicht gründlich zu erfassen vermochte.

( Fortsezung folgt.).