" Für meinen Sohn er mag kommen!" Wenige Minuten darauf erschien der Studiosus Becker, alias Schleiermacher auf der Schwelle und grüßte seinen Pflegevater auf das ehrerbietigste.
" Der Höchste sei mit dir, mein lieber Sohn. Was fürt dich zu mir?"
" Ich wollte mir erlauben, mein hochverehrter Herr Vater, Ihnen in der Angelegenheit meines Kommilitonen und Bundesbruders Haßler eine Mitteilung zu machen."
Der Konsistorialrat nickte nur und wies auf einen Stul. Er war außerordentlich gnädig gegen den Pflegesohn, denn er erlaubte ihm, sich eine der köstlichen Havannas zu nehmen, welche in elegantem Rauchnecessär auf dem Schreibtische standen.
Becker steckte, äußerst woltuend durch soviel Güte berührt, eine der Cigarren zu sich. Sie sofort im Studirzimmer des Vaters in Brand zu sezen, wagte er selbstverständlich nicht.
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Dann erzälte er. Der Konsistorialrat hörte anscheinend one viel Teilname zu. Als Becker mitgeteilt hatte, daß er seinen Bundesbruder Guido von Frank, der der Leibalte des Fuchses Haßler, also gewissermaßen sein akademischer Vormund und Beschüzer sei, von dem der Schwester Haßlers drohenden Verderben unterrichtet hatte, hob der Konsistorialrat an:
" Sage mir, mein lieber Sohn, ist von Frank wirklich in höherem Grade flug, energisch und verschwiegen?"
„ Er ist der geistreichste und willensstärkste von allen meinen Kommilitonen und gehört, wie ich glaube, zu den Menschen, die nie ein unbedachtes, ich möchte inbezug auf ihn fast behaupten, unberechnetes Wort sprechen."
Der Konsistorialrat wiegte das große Haupt langsam hin und her. Ob er mit dem, was er hörte, zufrieden war oder nicht, fonte Becker nicht erkennen.
" Sage Frank, er möge sich übermorgen gegen Abend zu Specht begeben. Ich halte für sehr warscheinlich, er werde sich zu dieser Zeit überzeugen können, daß Stein im Hause Spechts aus- und eingeht. Wie ich gehört, pflegt er des Sonnabends zur Stadt zu kommen."
Damit entließ er den Pflegesohn mit einer freundlichen Handbewegung und den Worten:
" Ich habe heute noch einen Besuch bei dem General von Pommer zu machen, der von schweren förperlichen Leiden heimgesucht ist, und werde zur Abendmalzeit schwerlich schon zurück sein. Melde das der lieben Mutter, mein guter Sohn. Gott befohlen Gott befohlen!"
不
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( Fortjezung folgt.)
Die Religion der Vergangenheit und der Zukunft.
Von Dr. A. Israel.
Das Mitgefül berut auf folgendem psychologischen Grundgejez:" Dadurch, daß wir uns etwas Unseresgleichen, zu welchem wir feine Seelenbewegung hatten, von einer Seelenbewegung afficirt vorstellen, werden wir eben dadurch von einer gleichen Seelenbewegung affizirt( Spinoza , Etik III, Saz 27*).
Man kann das Verhältnis von Mitgefül, Wolwollen und entsprechenden Marimen( wie überhaupt das Verhältnis von Gefül, Wollen und Maxime) unter dem physikalischen Bilde der Aggregatzustände versinnlichen. Der luftförmige Körper, z. B. der Wasserdampf, wird bei abnehmender Wärme zum flüssigen Wasser und dieses bei weiter sinkender Temperatur zum festen Körper, zu Eis. So verdichtet sich Mitgefül und Wolwollen zu moralischem Humanitätsprinzip, zur moralischen Gesinnung, die wir Pflicht( Pflichtbewußtsein) nennen, sobald sich dieselbe hinlänglich gehärtet hat. Oder ein anderes Bild: das Wolwollen ist der Baum, der mit den Fasern des Mitleids im Gefülsvermögen wurzelt und welcher die sittlichen Marimen als Blüten zeitigt, welche das humane Handeln als Frucht hervorbringen.
Das Mitgefül, das wir als moralisches Fundament aufstellen, ist darum nicht jenes sentimentale, weichliche, immer überströmende Gefül, welches sich häufig mehr als schwächlichen Affekt, denn als kräftiges Motiv zum Handeln kenzeichnet**); bei gesunden Na
*) Vgl. hierzu die Anmerkung:„ Diese Nachahmung der Seelen bewegung heißt, wenn sie sich auf die Unlust beziet, Mitleiden." 3. Folgejaz:„ Ein Wesen, das wir bemitleiden, werden wir, so viel wir können, von seinen Leiden zu befreien streben." Anmerkung: Dieser Wille oder dieses Verlangen, wol zu tun, das daraus entspringt, daß wir ein Wesen bemitleiden, dem wir eine Woltat erweisen wollen, heißt Wolwollen, welches also nichts anderes ist, als eine aus Mitleid entsprungene Begierde."
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Wie viel andächtig schwärmen leichter, als Gut handeln ist? wie gern der schlaffste Mensch Andächtig schwärmt, um nur ist er zu Zeiten Sich schon der Absicht deutlich nicht bewußt Um nur gut handeln nicht zu dürfen?" Goethe, Göz v. Berlichingen( I. Aufzug: Gottfrieds Schloß):„ Die Woltätigkeit ist eine edle Tugend, aber sie ist nur das Vorrecht starker Seelen. Menschen, die aus Weichheit woltun, immer woltun, sind nicht besser als Leute, die ihren Urin nicht halten können." Nur in diesem Sinne ist der Ausspruch Spinoza's zu verstehen:„ Mitleiden ist bei einem Menschen, der nach der Leitung der Vernunft lebt, an sich schlecht und unnüz." Hieraus folgt, daß der Mensch, welcher nach dem Gebote der Vernunft lebt, so viel als möglich zu bewirken strebt, daß er nicht von Mitleiden berürt werde"( Etit, IV, 30. Vgl. die Bemerkung
hierzu).
( 5. Fortsezung.)
turen verbirgt sich dasselbe vielmehr gewönlich im Allerheiligsten des Herzens( und komt nur nach außergewönlicher, heftiger Erregung zum affektmäßigen Ausbruch). Aber es hat in der Sphäre des Wollens die Maxime gezeugt, mit der es gleichsam durch feine Leitungsdräte in Verbindung steht*), so daß seine Sensibilität im positiven Sinn erregt wird, wenn der Maxime gemäß gehandelt wird, im negativen beim Gegenteil.
Dieses zu Wolwollen, Gesinnung und Pflichtbewußtsein ge= wordene Mitgefül wird auch alsdann sich bewären, wenn, was bei dem fluktuirenden Gefül nicht selten der Fall ist, ein Zustand der Indifferenz eingetreten, oder die betreffende Gefülsform infolge psychischer oder physischer Störungen in ihr Gegenteil umgeschlagen ist.
Lieb' und Leidenschaft können verfliegen Wolwollen aber wird ewig siegen.
( Goethe.)
( Sobald einmal eine Gefülsweise zur Gewonheit geworden ist, wird dieselbe nach vorübergehender Störung sich wieder einstellen und, wenn der Mensch wärend jener Störung in einer ihr entgegengesezten Richtung gehandelt hat, sich als Reue äußern).
Aus dem Wolwollen gegen alle Menschen ergibt sich auch als notwendige Konsequenz die Rechtschaffenheit, die Gewissenhaftigkeit, überhaupt die Unterwerfung unter die Geseze. Denn in dem Wolwollen gegen die Menschen ist das gegen die Mitbürger inbegriffen, aus dem die Gerechtigkeit als folgerichtige Gesinnung resultirt und zwar die Gerechtigkeit auch in solchen Fällen, wo durch Verlegung derselben niemand ein eigentliches Leid zugefügt wird. Ueberhaupt folgt aus dem Wolwollen die Gesinnung:
Handle so, wie du kanst wollen, Daß auch andre handeln sollen.
( Bodenstedt nach Kant.) und eine Verlegung desselben ist mit dem Wolwollen unverträglich.
*) Schopenhauer nent die moralischen Grundsäze ,, das Behältnis, das Reservoir, in welchem die aus der Quelle aller Moralität( nach ihm Mitleid) aber welche nicht in jedem Augenblick fließt, entsprungene Gesinnung aufbewart wird, um, wenn der Fall der Anwendung komt, durch Ableitungskanäle dahin zu fließen. Es verhält sich also im Mo ralischen , wie im Physiologischen, wo z. B. die Gallenblase als Reservoir des Produkts der Leber notwendig ist und in vielen Fällen. One fest gefaßte Grundsäze würden wir den antimoralischen Triebfedern, wenn sie durch äußere Eindrücke zu Affekten erregt sind, unwiderstehlich preisgegeben sein."