Augenblick bereit sein, sein Leben preiszugeben, wenn damit das Heil des Vaterlands oder der Menschheit erkauft werden kann.

Dem Menschen, der am Leben Wolgefallen hat, ist der Ge­danke, mit dem Tode vernichtet zu werden, unerträglich. Das Streben nach Lust oder Behagen, welches als konstanter Strom die Psyche durchziet, bricht sich an der Vorstellung, mit dem Tode in das Nirvana einzugehen und der mannigfachen, vielfarbigen Lust des Daseins ganz und gar verlustig zu werden. Sobald aber der Mensch dagegen sich vorhält, daß wenn auch seine In­dividualität der Auflösung anheimfällt, doch eine Menge anderer gleichfülender Wesen fortbesteht, von welchen die süße Lust des Daseins weiter empfunden wird, so wird er in dieser Vorstellung alsbald Beruhigung finden; die Idee der Fortdauer anderer Menschen wird ihm Ersaz bieten für die eigene Fortdaurr, was jedermann an sich erproben kann. Ist der Mensch nun gar von der Ueberzeugung durchdrungen, daß die Menschheit sich immer mehr in idealer und materieller Hinsicht entwickelt, von Generation zu Generation zu höherer Vollkommenheit aufsteigt, so wird sich dermaßen sein eigen Selbst zu ihrem( der Menschheit) Selbst erweitern," daß er sein Ich und dessen Interessen der Gesamtheit und ihrem Wol frölich unterordnet, daß nicht mehr das verwelk­liche Jch, sondern die dauernde Gesamtheit) das Centrum seines Wollens behauptet**).

Uns scheint es, daß deshalb im hebräischen Altertum der Kindersegen als höchstes Glück betrachtet wurde, und im soge­nanten heidnischen Altertum die Vaterlandsliebe von so bewe­gender Kraft war, nicht blos in einzelnen Individuen, sondern in der Gesamtheit. Denn da damals ein Glaube an individuelle Fortdauer unbekant war, so fand der Geist Ersaz für die eigene Vernichtung da in der Nachkommenschaft, dort im Vaterland, d. h. in den Mitbürgern; denn der Begriff der Humanität konte sich erst in einer späteren Kulturepoche entwickeln. Er taucht erst in der Zeit der Stoa auf und als bereits die Ausbreitung der römischen Weltmacht über fast alle Länder der bekanten Welt den nationalen Begriff zur kosmopolitschen Idee zu erweitern begonnen hatte.

Weit entfernt also, daß das Bewußtsein der Vernichtung jene rohe Maxime erzeugt: Laßt uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot", wird es im Gegenteil die Macht des Egoismus, von dem wir alle strozen", sicher und nachhaltig brechen***). Es erlöst die Seele von dem Alp der Selbstsucht mit ihren Sorgen und Qualen und erhebt sie in den reinen, erquickendeu Aeter des Kollektivgefüls.

In diesem Sinne singt Schiller  :

Vor dem Tode erschrickst du? Du wünschest unsterblich zu leben? Leb' im Ganzen! wenn du lange dahin bist, es bleibt.

und Rückert:

Vernichtung weht dich an, so lang du Einzles bist,

fül im Ganzen dich, das unvernichtbar ist).

Erst im Reiche des Monismus gelangte die etische Idee zur Bollkraft. Hier ist nicht blos etischer Instinkt, nicht etische Schwäche, die einer superstitiösen Stüze bedarf, nicht etischer Rigorismus oder etische Phraseologie, sondern hier komt der etische Gedanke zum vollen Selbstbewußtsein, als ein kräftiger Baum, der im menschlichen Gefülsleben mit tausend Fasern wurzelt, im Sonnen­licht der Selbsterkentnis frölich grünt und blüt und köstliche Früchte zeitigt.

Edel sei der Mensch Hülfreich und gut! Denn das allein Unterscheidet ihn

Von allen Wesen,

Daß nach der matematischen Physik unser Planet einst wieder in die Sonne stürzen wird, ist für unser Tema von keiner Bedeutung. ** Wer es auffallend finden mag, daß ein ideales Objekt auf die Psyche lebhafter wirken soll, wie die eigene Individualität, der bedenke, daß das Streben nach Glück oder Glückseligkeit auf der Liebe zu sich ſelbſt berut und daß die Liebe zu sich selbst weniger die zu dem momen­fanen Ich, sondern zum zukünftigen Ich ist; also gleichfalls ein ideales Objekt. So oft der Mensch sich selbst überwindet", siegt das ideale Ich über das momentane. Uebrigens genügt es, auf die große Bal berer hinzuweisen, welche sich für Freunde, Familie, Baterland, Religion, Freiheit, Warheit aufgeopfert haben.

Tode dem Egoismus schmeicheln. ***) Wogegen die Hoffnung auf Fortdauer und Belohnung nach dem

sterbende Blume" behandeln sollen.

) In diesem Sinne hätte auch Rückert sein schönes Gedicht: Die

211

Die wir fennen. Unermüdlich schaff er Das Nüzliche, Rechte, Der edle Mensch

Sei hülfreich und gut.

( Goethe.) 21. Kapitel. Der praktische Materialismus und seine Ursache.

Bevor wir zur Erörterung des andern Punkts übergehen, müssen wir einen Vorwurf zurückweisen, welcher der monistischen Weltanschauung nicht selten gemacht wird. Man behauptet näm­lich, der in der Gegenwart stark ausgeprägte praktische Materialis­mus sei von der immer weiter um sich greifenden materialistischen Weltanschauung verschuldet. Ob in der Gegenwart wirklich der praktische Materialismus mehr als in früheren Zeiten dominirt, darüber wird sich wol streiten lassen. Man ist ja so gern ge­neigt, die tempora acta( vergangene Beiten) auf Kosten des gegen­wärtigen Zeitalters zu verherlichen. Indessen läßt es sich nicht läugnen, daß sich in der Gegenwart in gewissen Kreisen eine beklagenswerte Ueberschäzung der äußeren Glücksgüter und dem­zufolge eine tolle Heziagd nach Erwerbung derselben, die in den Mitteln nicht sehr wählerisch ist und die idealen Lebenskeime ver­fümmern läßt, bemerkbar macht. Wir sprechen hier keineswegs von der arbeitenden Klasse, in welcher im Gegenteil ein Drang nach Bildung mehr und mehr hervortritt und deren Bestrebungen nach Verbesserung ihrer sozialen Lage kein Vernünftiger als ver­werflichen Materialismus bezeichnen wird, wenn er auch mit den vorgeschlagenen Mitteln und Wegen nicht immer einverstanden sein mag. Der von uns bezeichnete Materialismus wird nach unserer Erfarung am meisten in der Handelswelt angetroffen. Wir füren diese betrübsame Erscheinung hauptsächlich darauf zurück, daß der Handelsstand in allen seinen Schichten infolge der sich immer mehr vervielfältigenden Beziehungen und verwickelnden Chancen den Geist dermaßen in Anspruch nimt, daß er die in­tellektuellen Kräfte absorbirt, das Interesse für Wissen und ware Bildung erstickt, die Seele ganz mit dem Trachten nach Gewinn anfüllt, oder doch die Muße raubt, welche die Aneignung von Wissen und Bildung bedingte. So leicht darum heutzutage die Schäze des Wissens, der Poesie und des Kunstverständnisses zu erwerben sind, so sind sie in den betreffenden Kreisen nur sehr spärlich und oberflächlich anzutreffen. Das menschliche Leben aber will ausgefüllt sein*). Der an Wissen und Bildung Reiche ist nicht auf die äußerlichen Glücksgüter angewiesen, sein Dasein auszufüllen. Bei den einfachsten Besizmitteln, wenn sie nur für die notwendigen Bedürfnisse des Lebens reichen, strömen ihm die zallosen Brünnlein des Geistes Erquickung und Labsal zu." In dieser Armut welche Fülle!" heißt es von ihm und nur bei ihm findet das Dichterwort seine volle Verwirklichung:

( Schiller  **).

Nicht an die Güter hänge dein Herz, Die das Leben vergänglich zieren. Diejenigen aber, die arm an Wissen und Bildung sind, werden, besonders, wenn ihnen nicht derSegen einer edlen Berufsarbeit zu­teil wird, welche ihr Dasein ausfüllen würde, nur vermittelst äußer­licher Glücksgüter ihr Leben ausfüllen können, dem Prunk und Lurus und ihrem Gefolge sich ergeben." Bildung macht frei, denn sie befreit den Menschen von den Fesseln, womit die vergänglichen Güter ihn umstricken. Denn unfrei ist der Ungebildete, der nichts sein nent, als die armseligen, vergänglichen Güter: Macht, Reich­tum, Ansehen, Schönheit; der aus ihnen seine Seligkeit schöpfen muß u. 1. f."

*) ,, Wollen und Streben sind das ganze Wesen des Menschen, einem unlöschbaren Durste gänzlich zu vergleichen. Die Basis alles Wollens aber ist Bedürftigkeit, Mangel, also Schmerz... Fehlt es ihm hingegen wieder an Objekten des Wollens, indem die zu leichte Befriedigung sie ihm sogleich wieder wegnimt, so befällt ihn furchtbare Leere und Langeweile, d. h. sein Wesen und sein Dasein wird ihm zur unerträglichen Last. Sein Leben schwingt also gleich einem Bendel hin und her zwischen dem Schmerz und der Langeweile, welche beide in der Tat dessen lezte Bestandteile sind."( Schopenhauer.) Aehnlich, nur nicht im pessimistischen Sinn schreibt Goethe: Die Menschheit ist bedingt durch Bedürfnisse. Sind diese nicht befriedigt, so erweist sie sich ungeduldig; sind sie befriedigt, so erscheint sie gleichgültig. Der eigentliche Mensch bewegt sich also zwischen beiden Zuständen; und seinen Verstand, den sogenanten Menschenverstand, wird er anwenden, seine Bedürfnisse zu befriedigen; ist es geschehen, so hat er die Aufgabe, die Räume der Gleichgültigkeit auszufüllen.( Maximen und Reflexionen, 1. Abteilung.)

**) Vgl. den schönen Schluß der horazischen Ode, 2. Buch, 16.

( Fortsezung folgt.)