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der Erste war, so kam ich doch durch und, offen gestanden, das genügte mir selbst. Ich habe, selbst auf die Gefar hin, heute noch getadelt zu werden, hier sei es gesagt, auf das sogenante, Ochsen" in den üblichen Schulfächern, wie Latein und Griechisch u. s. w. nie viel gegeben, weil ich mir sagte, im späteren Leben hat es gar keinen Wert, trägt kein Mensch danach, ob einer in diesen Jaren in einer Klasse von 60 bis 70 Schülern der Erste oder der Vierzigste war; durchkommen und später etwas Tüchtiges leisten ist die Hauptsache. Ich begnügte mich also, durchzukommen und überlies mit voller Gemütsruhe andern den mühsamen Wettstreit um die ersten Pläze. Ich hatte mich auch keiner besonderen Neigung von Seiten der Lehrer zu erfreuen. Ein Bauernjunge, wie ich war, wurde in der Regel abstoßend behandelt, es mußte denn sein, daß er von Hause aus Mittel besaß, und sein Vater dem„ Herrn Professor" öfters einmal einen„ Besuch abstattete". Sodann saßen neben uns noch eine ziemliche Zal Söhne höherer angesehener Beamten. Wenn sie auch in der Regel die Trägsten waren, durchkommen mußten sie, das wußten sie auch wol, denn dafür bürgte die Stellung des Vaters. So war es auf dem Lyceum, und damit mag es über diesen Punkt genug sein. Im„ Knaben- Seminar" machte ich gleich von Anfang an eine eigentümliche Erfarung, die ich mir heute, nach zwanzig Jaren, noch nicht vollständig zu erklären weiß. Ich hatte näm lich von den ersten Tagen an die ganz besondere Ungunst des " Herrn Vorsteher L.....", wie der Dirigent oder Direktor genant wurde, ganz empfindlich zu fülen. Wenn er in unser Studirzimmer kam- wir waren etwa zehn bis zwölf zusammen, in anderen Zimmern waren je nach dem Umfange mehr oder weniger und für die Anderen ein freundliches Wort oder einen Scherz hatte, sogar für solche, die sich ab und zu einen leicht finnigen Streich zu Schulden kommen ließen, ging er an mir falt vorüber, one mich zu beachten, oder er hatte eine spöttische Bemerkung für mich, obgleich ich heute noch sagen darf, daß ich inbetreff der Befolgung der Hausordnung einer der Genauesten
war.
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Besondere Freunde hatte ich auch nicht in dieser Anstalt, eher unter den übrigen Schülern des Lyceums. Dennoch war ich im allgemeinen beliebt, nur bei denen nicht, welche sich durch besondere Frömmigkeit und großen Eifer hervorzutun bestrebt waren. Zu diesen gehörte ich aber nicht, sondern handelte da wie in Beziehung auf die Klasse, ich erfüllte meine Pflicht wie mir auferlegt war und damit hatte ich nach meinem Gewissen genug getan. Es widerstrebte mir ebenso, mehr zu tun, als mir da als Pflicht geboten war, wie nach der andern Seite hin zu heucheln. Manche lose Streiche sind begangen worden, wie es sich leicht denken läßt unter achtzig bis neunzig jungen Menschen von vierzehn bis zwanzig Jaren. An einigen habe ich auch teilgenommen, was ich bis jezt noch nie bereut habe; viele wurden one mich ausgefürt. Besonders abgesehen hatten wir es auf die " Schwester Crescenz". Der Haushalt des„ Knaben- Seminars" wurde nämlich von zwei„ barmherzigen Schwestern" des Ordens Vincenz von Paul mit einigen Dienstmädchen gefürt. Von diesen beiden„ Barmherzigen ", wie sie der Hausdiener nante, war die eine der andern übergeordnet; die Uebergeordnete war„ Schwester Crescenz", eine dralle, sette Elsässerin, die Untergeordnete war meistens ein stilles, harmloses Wesen, ich sage meistens, weil in dieser Stellung öfters ein Wechsel stattfand, wärend„ Schwester Crescenz" blieb. Wenn diese nun Nachmittags im Hofe mit den Mägden zusammen Gemüse herrichtete, da wurde immer laut bei der Arbeit gebetet, was uns meist in unsern Arbeiten sehr störte. Dem„ Herrn Vorsteher" hatte sie einmal im Beisein eines " Alumnus" erzält, daß sie schon manchesmal aus Mattigkeit bei der Arbeit in Onmacht gefallen sei.
Wo sie uns Alumnen" etwas von der
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den Boden derselben und ließen der Schwester Crescenz" sagen: Schuhnägel könte sogar ein Alumnenmagen nicht verdauen." Das Wut- und Zetergeschrei in der Küche, das auf diese Botschaft erfolgte, fonte nur unsere Freude erhöhen. Eines andern Aftes aus diesem Seminarleben" sei hier noch gedacht, er ist karakteristisch.
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Von Zeit zu Zeit wurde, um uns allerdings für den geistlichen Stand bestimte„ Alumnen" doch nicht ganz von der Welt loszulösen, ein sogenanter„ vergnügter Abend" bewirkt. Der bestand darin, daß wir entweder zusammenlegen durften, um uns Bier oder Most zu kaufen, oder aber, daß wir von Seiten der Anstalt selbst bewirtet wurden. Wieder einmal war ein solcher Abend angesezt, dessen Fröhlichkeit schon um sieben Uhr, also mit dem Abendessen begann. Wir Zöglinge waren nach den Klassen in drei Abteilungen geteilt und es war im voraus genau bestimt, wie viel Schoppen Bier der Einzelne einer jeden Abteilung trinken durfte. Danach hatte man denn auch Bier angekauft. Zu diesem Abend erschienen auf Einladung außergewönlich viele Geistliche, welche teils Lehrer an höheren Unterrichtsanstalten waren, teils zum Domkapitel gehörten. Was aber dem ganzen Abend den Hauptwert verlieh, das war die Anwesenheit des alten, würdigen, damals noch allgemein beliebten Erzbischofs von V...... Die gebückte, magere Gestalt saß in der Mitte einer langen Tafel; auf beiden Seiten und ringsherum reihten sich die schwarzen Gestalten der eingeladenen Geistlichen.
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Wir waren alle, auch die Herren Teologen, sehr aufgeweckt und es wurde dem trefflichen Gerstensafte wacker zugesprochen. Verschiedenes, meistenteils humoristischer Natur, wurde von uns vorgetragen; ich selbst sah mich aufgefordert, ein an sich tragisches, aber durch den näselnden Ton und die Verunstaltungen des Textes komisch klingendes Lied vorzutragen. So war es elf Uhr geworden, und wie eine Schreckensbotschaft nach einer verlorenen Schlacht durchlief es heimlich flüsternd unsere Reihen, auch die der Geistlichkeit, unter welcher selbst der greise Erzbischof noch weilte: es gibt kein Bier mehr!" Alle Gesichter verlängerten sich und legten sich in Falten, nur der„ Herr Vorsteher" schien darüber froh zu sein, ihm hatte unsere Frölichkeit nicht gefallen. Da sah ich, wie der alte Erzbischof durch die zu einem Rohre gebogene Hand guckte und so alle Tische musterte, dann seinem Diener, der stets unmittelbar hinter ihm stand, etwas ins Ohr flüsterte, worauf sich dieser sofort entfernte. Da selbst der Erzbischof noch blieb, blieben auch noch die Herren Geistlichen, wir aber erst recht. Etwa eine halbe Stunde nachher rasselt ein Wagen vor das Haus und gleich darauf polterten Bierfässer zum geöffneten Haustor herein. Der Herr Vorsteher" eilt hinaus, gewahrt es mit Entsezen und muß, wieder in den Sal getreten, zu seinem noch größeren Entsezen auf Befel des Herrn Erzbischofs allgemein verkünden, von nun ab möge ein jeder noch so viel Bier trinken als er vertragen könne. Darauf hat sich der Erzbischof entfernt, wir anderen blieben, auch die Herren Geistlichen. Geistlichen. Es war Morgens früh um vier Uhr, da brachte Dr......, damals Direktor des großen Seminars, ein „ donnerndes Hoch" aus, wir„ Alumnen" verstanden nicht, wem es gelten sollte, nachher erfuren wir erst, es hätte uns selbst gegolten, furz und gut, Dr. S..... brachte das„ donnernde Hoch" aus mit hocherhobenem Bierglase und wir alle, Geistliche und ,, Alumnen " stimten ein. Damit wurde Schluß gemacht.
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Unser Herr Vorsteher" selbst, ein kleines mageres Männchen
mit großen, rollenden Augen, einer starkentwickelten Nase und einen gewaltigen schiefaufwärtsgezogenen Hinterkopfe war zwar Weltgeistlicher, dabei aber ein Jesuit von reinstem Wasser. Erst später habe ich erkant, wie damals sein ganzes Streben gewesen, die Anstalt immer mehr nach jesuitischen Grundsäzen und Formen zu leiten. So hatten wir ein tiefes Stillschweigen zu beobachten Abends beim Schlafengehen und Morgens vor der Mehlsuppe. Auch wärend der Studienzeit zu Hause herschte klösterliche Ruhe; in jedem Studir- und Schlafzimmer war einer mit der Aufsicht über die anderen betraut. Anfangs hatten wir in jedem Studirzimmer besonderes Morgen- und Abendgebet, dann aber brachte er es fertig, daß ein alter Holzschuppen zu einer Hauskapelle umgewandelt wurde und wir darin unter seiner eigenen Leitung und Aufsicht die Morgen- und Abendandacht verrichteten. Das Denunziantenvesen war in hohem Grade entwickelt und ihm sehr angenehm. Wir hatten keine Verpflichtung, ihm selbst zu beichten, so sehr er es gewünscht hätte; um jedoch etwas zu haben, nahm er einen einzeln zu sich auf sein Zimmer und durch eine ganz
Auf diese„ Schwester Crescenz" hatten wir es alle abgesehen, weniger wegen den ebengenanten Eigenschaften, als vielmehr aus folgendem Grunde. Nahrung abzwaden konte, tat sie es gewiß; kam einer einmal später zum Essen und wenn er auch mit Erlaubnis ausgeblieben war, so gab es bei ihr entweder gar nichts mehr oder nur noch einen elenden Rest. Bon dieser Barmherzigkeit hatten wir nun schon vielfach Beweise. Wir ärgerten sie daher auch so oft wir nur fonten. Eines Tags bekamen wir Mittags Sauerkraut und fanden in der Schüssel einen großen Schuhnagel. Wir wußten vol, woher er fam. In Süddeutschland wird nämlich das Sauerkraut vom Bauer mit den Füßen in gewaschenen Stiefeln in der Tonne feſtgeſtampit, es war also dem betreffenden Bauer eine fach ein Nagel aus dem Stiefel gegangen. Wir aber sezten, nachdem die Schüffel geleert, den Nagel mit der Spize nach oben auf eigenartige Freundlichkeit suchte er das innerste Seelenleben zu