erraten. Eine große Vorliebe hatte er für die Phrenologie. Kam er einem freundlich entgegen, so faßte er einem gleich mit der einen ausgebreiteten Hand, die ziemlich groß war, nach dem Kopfe, um wärend der Unterredung den Schädel zu untersuchen. Abends, wenn alle mit ihren Aufgaben beschäftigt waren, schlich er ganz leise mit einem Kerzenlicht durch die Zimmer, blieb jedoch sehr oft vor einer Türe stehen, um zu lauschen. Nachts, wenn alle zu Bette lagen, schlich er ebenso, selbst schwarz und bleich wie ein wandelndes Gespenst, durch die Schlafgemächer. Traf er einen Zögling wachend, so trat er an dessen Lager, frug ihn, warum er nicht schlafen könne, gab ihm alsdann ein Gebet auf und machte ihm mit dem Daumen das Kreuzeszeichen auf die Stirne. Nur Morgens früh vor dem Aufstehen war man vor ihm sicher, da war er in der Regel selbst in irgend einer Kirche.
Geschenke, sagte er oft, wolle er nicht. Als wir jedoch ihm an seinem Namenstage nur einen Glückwunsch durch den kleinsten und größten Zögling darbringen ließen, rügte er es selbst am Mittagstisch, der überdies magerer ausfiel. Ein Sträußchen, meinte er, hätte man ihm doch wol schenken können. Im folgenden Jare schenkten wir ihm eine Stuzuhr und zwei Vasen: das Mittagessen wurde ein festliches und die Geschenke nahm er auch an.
Ini Sommer besuchte ich wärend der großen Ferien Verwante, die in einem Fabrikstädtchen an der Schweizergrenze wohnten. Ich blieb vier Wochen dort und lernte ein junges, hübsches Mädchen kennen, es entspann sich eine kleine jugendliche Neigung zwischen uns, so daß wir uns zu schreiben versprachen. Mit schwärmerischer Verehrung für das Mädchen und dem Versprechen von ihr, Brife zu bekommen, schied ich, jugendselig.
In das Knabenseminar zurückgekehrt, nahm alles seinen alten Fortgang, auch ich trat in mein früheres Verhältnis wieder ein, nur um eine jugendliche Torheit reicher. Einen Brif hatte ich bereits aufzuweisen, er enthielt nichts als Liebesversicherungen. Ich trug ihn in der Briftasche stets bei mir, weil ich ihn so am sichersten glaubte. Eines Tages fand ich auf dem Bodenraum des Hauses meinen eigenen Koffer verschlossen und den Schlüssel entfernt. Wir hatten sonst nichts Verschließbares, aber auch in meinem Koffer hatte ich den Schlüssel stecken lassen, es war Obst von meinen Eltern und noch einiges darin. Ich frug meine Mitschüler; keiner wollte etwas wissen, mein Koffer blieb verschlossen und der Schlüssel blieb fort. An einem Freitag Nachmittag stand ich in unserem Studirzimmer an einem Bulte und hatte meine Briftasche vor mir liegen, um etwas aufzuschreiben. Da ging die Türe auf, der Herr Vorsteher" huschte herein, ich Klappte meine Briftasche zu, steckte sie in eine der hinteren Rocktaschen und nahm Ciceros Brise an seinen Sohn zur Hand. Nur einige Minuten fonte es gedauert haben, und ich hörte meinen Namen rufen. Mich umwendend, sah ich den Herrn Vorsteher" mitten im Studirzimmer mit meiner Briftasche in der Hand, und
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triumphirend aussprechend: sieh', nun habe ich sie doch", hatte sie mir wie ein Taschendieb aus der Tasche gestolen. Er ging damit fort nach seinem Studirzimmer. Ich wußte, was die Glocke geschlagen hatte, denn der Brif von meiner Bertha war ja darin. Früher schon einmal hatte er mir zwei Brife ange= halten, der eine war persönlich abgegeben, der andere von auswärts. Den ersteren hatte er mir selbst erbrochen, den lezteren habe ich in seinem Beisein öffnen und ihm den Inhalt zeigen müssen. Er hatte also gefahndet. Am folgenden Tage ließ er mich kommen. Als ich eintrat, lag meine Briftasche vor ihm, ihr Inhalt herausgenommen. Ein gewaltiges Verhör begann, in welchem ich viel mehr gestehen sollte, als an der Sache war, dann folgte eine fulminante Strafpredigt, in welcher mir selbstverständlich die ewige Verdammung im Reiche des Satanas in Aussicht gestellt wurde. Hierauf kam er mit jener eigenartigen Freundlichkeit auf mich zu, umarmte mich, drückte mich an sich und bat mich in einem Flüsterton, den man sonst nur bei Liebenden kent, ihm zu sagen, was mich am meisten drücke. So still und unbeweglich wie ich wärend der Strafpredigt gewesen, so still und unbeweglich blieb ich auch wärend dieser Umarmung. Nach einiger Zeit ließ er mich wieder los, legte sein Gesicht in ernste Falten und entließ mich. Am folgenden Tage fündigte er mir meine Entlassung an, versprach mir jedoch, wenn er nach der Ursache meiner Entlassung gefragt werden sollte, zu sagen, er hätte Papiere bei mir gefunden, welche die Entlassung veranlaßt hätten; er forderte mich auf, dasselbe anderen gegenüber zu sagen. Ich machte kein Hehl aus dem waren Grunde, die mir näher stehenden Mitschüler wußten es bereits, die anderen hatten nichts danach zu fragen. Er selbst aber hat noch. an demselben Tage sein Versprechen gebrochen. Am Sontag noch mietete ich mir eine Wohnung, am Montag Nachmittag zog ich aus.
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Selbstverständlich hat er diese Entlassung mit Genugtuung nach meiner Heimat berichtet. Pfarrer und Bürgermeister ließen meinen Vater kommen und eröffneten ihm die Hiobspost. Meine Schwester kam, und als sie mich besuchte, ich hatte nämlich selbst den Vorgang nachhause berichtet und meine neue Wohnung angegeben, war sie schon beim Herrn Vorsteher" gewesen. Er hatte ihr gesagt, wenn ich käme und demütig Reue bezeugte und Abbitte leistete, wolle er mich wieder aufnehmen. Meine Schwester beschwor mich, es zu tun, meine Antwort war: ,, nie und nimmer!" Als ich das nächstemal nachhause kam zil den Meinigen, da sagte niemand ein Wort, nur mein alter braver Vater frug mich eines Tages, ob ich denn nun troz dieser Entlassung weiter studiren dürfe, und als ich es bejahte und ihm erklärte, daß diese Seminarangelegenheit mit dem Studiren an sich garnichts zu tun habe, antwortete er:„ dann bin ich froh, daß du von diesen Pfaffen weg bist."
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Einheimische und exotische Orchideen.( Jllustr. S. 208 u. 209.) Die Neue Welt" hat in einigen Illustrationen ihren Lesern den Winter in der wild- schönen Romantik des Hochgebirges und in der öden toten Ebene, in deren Mitte eine vielgenante Großstadt liegt, vorgefürt und darin das großartig Schöne der kalten Jareszeit, wie die sich auch zu dieser Zeit vergnügende Jugend und das Elend der menschlichen Gesellschaft gezeigt. Heute bringt sie in dem großen Bilde eine ganze Anzal Kinder Floras, welche die vielleicht von der Kälte in Natur und Menschenleben trüb gestimten Herzen unserer Leserinnen und Leser von ihrer trüben Stimmung auf Momente befreien und daran mahnen, daß bisher immer noch auf die winterliche Kälte die milde belebende Luft des Frühlings, der Duft und die Blüten der die Landschaft allüberall bevölkernden Sprossen der auflebenden Natur gefolgt sind. Das haben wir Bewohner unserer Erdzone wol voraus: uns ertötet nicht die Schaffens- und Lebenskraft ein ewiger Winter, uns verweichlicht und erschlafft nicht eine immer üppige und überfreigebige Natur. Der regelmäßig wiederfehrende Wechsel, der fülbare Kontrast der Jareszeiten gibt uns Ruhe und Muße, zeigt uns, wie nichts erstirbt, sondern immer wieder in neuen schöneren Formen seine Auferstehung feiert und spornt uns mächtig an, es der uns umgebenden Natur gleich zu tun: zu ringen, zu leben, niederzukämpfen die rauhen Winterſtürme in unserem gesellschaftlichen Dasein. Die schon durch ihre mannigfaltigen Formen, aber noch mehr durch ihren Farbenreichtum auffallenden Blumen unseres leider nur die Formen darstellenden Bildes sind Kinder aus allen Erdteilen. Sie beleben unsere einheimischen Wiesen und Wälder im Frühjar und Sommer, finden sich in der Neuen Welt" und Asien , ebenso aber auch in Afrika und Australien . Mit Ausnahme der kältesten Regionen
ist ihre Familie über die ganze Erde verbreitet und zält über 3000 beschriebene Arten. Ueberall wo sich etwas Humus mit Quarzsand findet. und einigermaßen zureichende atmosphärische Bedingungen vorhanden sind, wachsen und gedeihen diese lieblichen Organismen, in den tro pischen Urwäldern, wo die eigentliche Heimat der schönsten ihrer Glieder ist, existiren sie in großen Massen auf den Bäumen, wurzeln sich fest in deren Rinde und entfalten eine Farbenpracht, die bezaubern soll. Aber gerade die eigentümliche Lebensweise dieser tropischen Pflanzen, der Umstand, daß sie nicht in unserem gewönlichen Beden gleich unsern einheimischen Pflanzen leben wollten, hat ihre Zucht lange Zeit bei uns verhindert. Doch die zähen Engländer haben auch in diesem Falle alle Schwierigkeiten überwunden und nach vielen, selbst kostspieligen Ver suchen die bunte Gesellschaft in Europa eingefürt. Sie hatten endlich wargenommen, daß diese Gewächse in ihrer sehr heißen und trocknen Heimat von eingesammelten Vorräten zehrten, und man sammelte nun die gewünschten Exemplare ein, packte sie in dürres Moos und beför derte sie nach Europa . Hier brachte man sie in feuchtwarmen Räumen zum Wiederaustreiben, und auf Aesten, in Behältern von Drat, Lattent und Thon mit vielen Deffnungen an den Seiten ausgestattet und mit Sand, Torfmoos und Humus ausgefüllt zum Wachsen und Blühen.
Besonders bekant wird unsern Lesern das sich auf unsern Wiesen im Frühling durch seine violett- roten Blütentrauben bemerkbar machende Knabenkraut( Figur 4. Orchis Morio auf unserem Bilde) sein; von diesem ist auch der Name für die sehr reiche Familie abgeleitet worden. Ebenso tent wol auch dieser oder jener die zweiblätterige ,, tututsblume" ( Fig. 1), die fliegenähnliche Frauenblume"( Fig. 2) und den zierlichen Frauenschuh"( Fig. 3). Alle diese sind neben einer großen Zal unter