daß die Ungeimpften eine stete Gefar für die Geimpften wären, weil sie zuerst von der Seuche ergriffen, auch die lezteren an­steckten. Die Schuzlosigkeit der Geimpften gegenüber den Blattern hatte man dadurch bereits zugegeben. Nun fürt der mehrer­wänte Kolb in einem Artikel über die Impffrage( Frankf. 8tg. 1881) gegen diese Behauptung Tatsachen aus Baiern   ins Feld. Baiern  ist nämlich der von den deutschen Impfärzten anerkante Muster­staat der Impfung und doch erkrankten bei der Blattern- Epidemie 1871 nicht weniger als 30 742 Menschen an denselben, wovon 29 429 geimpft und nur 1313 ungeimpft, also 95,7% geschüzt" und 4,3% ungeschüzt" waren. Daß die Blattern in einem Lande, wo der weitausgrößte Teil geimpft wurde, überhaupt in der Weise um sich greifen konten, spricht durchaus nicht für die Impf­teorie. In England, dem Geburtsland der Impfung und ihrer Fanatiker, haben sich in den drei Jarzehnten, wo man die Impf­geseze immer mehr verschärfte, die Sterbefälle an Pocken gestei­gert und zwar derart, daß in der Epidemie von 1857-59 14 244, in der von 1863-65 20 059 und in der von 1870-72 44 840 an den Blattern starben. So auch in London  . Dort gab es 1851-60 bei einer mittleren Bevölkerung von 2 570 489 7150, 1861-70 bei einer mittleren Bevölkerung von 3018 193 8347 und 1871-80 bei einer mittleren Bevölkerung von 3 466 486 15 543 Pockentote. Dabei stellte der Abgeordnete Taylor im Parlament die auf Untersuchungen sich stüzende Be­hauptung auf, daß bei Ausbruch einer Pockenepidemie immer zu erst die Geimpften davon betroffen wurden.

Um den Vorwurf, daß die Ungeimpften( also meist die Säug­linge) die Blattern gewissermaßen einschleppten, hat nun der rüh rige Dr. Didtmann sich an die verschiedensten Ortsbehörden ge­want und um Zusendung der Urpockenlisten gebeten. Zumt Schaden für das Gemeinwol ist er zwar bei den meisten ab­schläglich beschieden worden, aber die verhältnißmäßig wenigen Listen gewären doch einen interessanten Einblick in die Genesis und die Entwicklung der Blatternepidemien.

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Diese Urpockenlisten sind nun schon insofern für den schweben­den Streit farakteristisch als in den meisten Korrekturen ange­bracht sind, die gewönlich bei Gestorbenen das bereits in der Rubrik eingeschaltete geimpft" in ein nicht geimpft" verbesserten". So sollen sich in den Urpockenlisten der Stadt Elberfeld   weit über 100 Korrekturen vorgefunden haben, die, soweit sie nicht in­differenter Natur sind( ich zitire nach Didimann), in fast allen Fällen bei Gestorbenen die bereits angefürte vorgenommene Me­tamorphose beweisen und außerdem zeigen, wie bei Genesenen hinge­gen das nichtgeimpft" wieder in geimpft" verwandelt wurde. In einer solchen in photographischer Reproduktion vorliegenden Liste der Stadt Trier   befindet sich auch ein solcher Fall der ersteren Gattung. Dr. Jos. Didtmann, der die Fakta der Urpockenliste von Elberfeld   verarbeitete, nimt gelinde an, daß das Vorurteil zu Gunsten der Impfung diese Aenderungen verschulde und die Idee, als seien geimpft" und" genesen" und nichtgeimpft" und ,, ge­storben" unzertrennliche Begriffe, meist nur da gründliche Unter­suchungen anstellen ließen, wo bei einem Todesfalle nicht durch Attest die Impfung nachgewiesen werden könne, und, wenn dieser Nachweis unterbliebe, so würde eben das nichtgeimpft" als das richtigere angesehen. Dagegen würde bei Genesenden schon der Mitteilung des Betreffenden, daß er an eine bei ihm vorge­nommene erfolgreiche Impfung glaube, zugestimmt. Wenn ein Impfgegner angesichts solcher Tatsachen aber weniger tolerant denkt als Dr. J. Didtmann, so hat dies wol seine Begründung.

Wichtiger als dies alles ist aber folgender Umstand: Aus allen den Dr. Didtmann zugesandten Urpockenlisten geht unzwei­felhaft hervor, daß es nicht die Ungeimpften sind, welche von der Seuche zuerst betroffen wurden und die Vaccinirten ansteckten, sondern umgekehrt. So berichtet der Bürgermeister aus Elber­ feld   an die kgl. Regierung zu Düsseldorf   am 10. Febr  . 1871 über den Ausbruch der Pocken und zeigt die zwei ersten Er­frankungsfälle an: Der erste Fall betrifft ein 14 Jare altes Kind, welches kurz vor seiner Erkrankung geimpft wurde und bei welchem hiernach die echten Pocken ansgebrochen sind."

Ferner:" Im zweiten Falle ist die Krankheit eingeschleppt. Der Erkrankte, 17 Jare alt, geimpft und vor 3 Jaren revaccinirt, ist vor 14 Tagen aus Wesel  , wo seine Mutter an den Pocken gestorben, hier angekommen." Bei der kleinen Epi­demie in Elberfeld  , die vom 10. Mai bis 29. Juni 1880 an­dauerte, erkrankten 22, darunter 2 nicht geimpfte Individuen, die aber in der Reihenfolge die Nummern 6 und 14 aufweisen.

In Stolberg   bei Aachen   kamen vom 25. Dezember 1879 bis 3. Juli 1880 Erkrankungen an Pocken   vor. Die von dem ge­nanten Tage an bis zum 26. Mai 1880 Erkrankten waren ge­impft. Erst als Nr. 11 der Liste ward am 7. Juni ein ungeimpftes Kind davon befallen; dann wieder 2 Geimpfte und und unterm 25. Juni und 2. Juli sind wieder 2 nicht geimpfte Individuen als er­frankt aufgefürt und den Schluß bilden 3 Vaccinirte. Die drei erkrankten Nichtgeimpften waren Kinder im am wenigst wider­standsfähigen Alter von 10 Monaten und 1 Jar, kamen aber alle mit dem Leben davon.

Nach der amtlich gefürten Liste über die vom 18. Januar bis 6. April 1881 an den Pocken in Lübeck   Erkrankten wurden Die ersten in Summa 48 Personen von der Seuche ergriffen. 16 waren geimpft, erst am 16. Februar erkrankte ein Ungeimpfter, ein 42 Monate altes Kind, das aber genas. Die übrigen weiter davon ergriffenen Individuen waren nach der amtlichen Aufzälung geimpft. Von den erkrankten Geimpften starben 7. Nach den genanten amtlichen Aktenstücken( vom Medizinalamt, Physikus Dr. Türk) gab es in Lübeck   bei Ausbruch der Epidemie 1427 ungeimpfte Kinder, wovon also 1426 verschont blieben.- Am 23. Mai 1881 wurde aus Gogolin in Schlesien   gemeldet, daß bis zu diesem Tage 47 Pockenerkrankungen vorgekommen seien. Darunter befanden sich 40 Kinder zwischen 7 und 12 Jaren, sämtlich geimpft; außerdem 4 Erwachsene. Die von den Blattern heimgesuchten Ungeimpften waren 3 Kinder im Alter von 6 und 12 Monaten. In drei kleinen Nachbarorten waren 15 Kinder, In Meiderich   bei die sämtlich geimpft waren, pockenfrant. Ruhrort   gab es am 22. Mai desselben Jares 10 Pockenkranke; alle geimpft.

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Doch diese Beispiele sind nur Vorfällen entnommen, die nur wenige Erkrankungen aufweisen und wir bringen daher Belege aus einer uns vorliegenden amtlichen Statistik, der Urpockenliste der Stadt Bonn   über die an den Blattern erkrankten Versonen in den Bodenjaren 1870/72. Bonn   hatte damals 25,000 Einwohner, darunter über 1000 Nichtgeimpfte. Die Seuche begann 9. Dez. 1870 und endete 19. Juli 1872; betroffen wurden davon im Ganzen 116 Personen. Vom 9. Dezbr. 1870 bis 16. Februar 1871 erkrankten 41, alle geimpft, 27 davon sogar revaccinirt. Am 16. Febr. 1871 erkrankte der erste Nichtgeimpfte, ein 5 Mo­nate altes Kind. Dann wurden von den Pocken befallen vom 16. Febr. bis 25. März 27 Geimpfte, 18 darunter revaccinirt. Am 26. März erkrankte das zweite nicht geimpfte Individuum, 1 Kind von 12 Jaren. Dann werden von der Seuche betroffen vom 28. März bis 23. Mai 21 Personen, sämmtlich geimpft, 12 dar­unter wieder revaccinirt. Den 27. Mai wird der dritte Unge­impfte frant: ein 4 Monate altes Kind. An demselben Tage trifft einen Geimpften und Revaccinirten das gleiche Schicksal und den 5. Juni erkrankt ein 1½jähriges Kind, das noch nicht den Segen der Impfung genossen. Die lezten 22, welche vom 5. Juni 1871 bis 19. Juli 1872 von den Boden heimgesucht wurden, waren sämmtlich geimpft und 11 sogar revaccinirt. Un­ter den 116 an den Blattern in Bonn   erkrankten Personen be­finden sich also nur 4, schreibe vier, die nicht geimpft waren, aber der zartesten Altersklasse angehörten. Würde man nun hier die bekante amtliche Metode der Salengruppirung anwenden, so ergäbe sich folgendes Bild:

Geimpfte: Nichtgeimpfte:

erkrankt. 114 4

Prozent.

gestorben.

14 2

12 50

Die sehr geringe Erkrankungszal der Nichtgeimpften, denn deren dem Tode günstiges Alter wird nicht inbetracht gezogen und - der Vorteil der Impfung liegt auf der Hand.­

Noch ein Beispiel: Bei einer Bevölkerungszal von 23134 Menschen wurden vom 26. Jan. 1871 bis 1. Nov. 1872 in Liegni 893 Personen von den Pocken auf's Krankenbett geworfen. Bis zum 23. März 1871 wurden 24 Geimpfte, am 24. März der erste Ungeimpfte davon betroffen; dann wieder 9 Geimpfte; am 13. April ein Ungeimpfter, dann bis zum 6. Juli 109 Geimpfte. Bis zu Ende des Jares erkrankten dann neben mehreren Ge­impften noch 8 Nichtgeimpfte. Da im Ganzen in diesem Jare 494 Blatternerkrankungen vorkamen, so betrug die inbegriffene Zal der Nichtgeimpften nur 10! Die ersten 137 im Jare 1872 von dem Uebel heimgesuchten waren alle geimpft, mit Aus­nahme von sieben, die in größeren Zwischenpausen erkrankten.

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Diese Angaben beweisen doch wol sehr deutlich, daß die Bes hauptung, die Ungeimpften seien eine beständige Gefar für die Geimpften, nichts als eine Phrase ist. Wenn man aber vielleicht