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überwog vorzugsweise in der Göttervorstellung orientalischer Völkerschaften und der asiatische Gottesdienst war es besonders, der die Mütter zwang, ihre Kinder dem Moloch auf die glühenden Erzarme zu legen. Die von der christlichen wie jüdischen Teologie aufgestellte Behauptung, daß mit der Einführung des jehovistischen Monoteismus im israelitischen Volk die Menschenopfer beseitigt wurden, ist ganz und gar unhaltbar und wird durch die Bibel selbst am besten widerlegt. Denn aus dieser ersehen wir, daß nicht blos in Zeiten der sog. Abgötterei den sog. Gözen Menschen geopfert wurden, sondern daß auch hervor ragende Diener Jehovah's ihren Gott mit Menschenopfern ehrten. Selbst der fromme Musterfönig David, den die unkritische Teologie bis auf die neueste Zeit als einen der produktivsten Lyriker verherrlichte, indem sie ihn als Autor der Psalmen betrachtete, selbst dieser gepriesene Ahnherr des Messias verstand sich willig dazu, sieben Menschen dem Jehovah als Sühnopfer darzubringen. Das 2. Buch Samuelis Kap. 21 berichtet nämlich, daß der König David wegen einer dreijährigen Hungersnot das Drakel befragte. Dieses antwortete, Jehovah zürne, weil der Vorgänger David's , der König Saul, mehrere Gibeoniter hinrichten ließ. " So sprach nun David zu den Gibeonitern: Was soll ich euch tun und womit soll ich sühnen, daß ihr das Erbteil Jehovah's segnet? Die Gibeoniter sprachen zu ihm:... Gebet uns sieben Männer aus seinem( Saul's) Hause, daß wir sie aufhängen dem Jehovah Der König sprach: Ich will sie geben... Aber die zween Söhne Rizpas, der Tochter Aja's, die sie dem Saul geboren hatte, Armoni und Mephiboseth, dazu die fünf Söhne Michal's, der Tochter Saul's , die sie dem Adriel geboren hatte, dem Sohne Barsilais, des Mahalothiters, nahm der König und gab sie in die Hand der Gibeoniter; die hingen sie auf dem Berge vor dem Jehovah." Das alles berichtet das Buch Samuelis mit der größten Kaltblütigkeit, ohne irgend ein Wort des Tadels. Ja es wird noch hinzugefügt:„ Also ward Jehovah nach diesem dem Lande wieder versöhnt." Ein weiterer drastischer Beleg dafür, daß bei den Israeliten die Menschenopfer heimisch waren, findet sich im Buch der Richter Kap. 11. Der Held Jephtha hatte bei einem Feldzug das Gelübde getan: Was zu meiner Haustür heraus mir entgegen geht, wenn ich mit Frieden wiederkomme von den Kindern Ammon, das soll des Jehovah sein und will's zum Brandopfer opfern." Er siegte und als er zurückkehrte, kam ihm seine Tochter, sein einziges Kind, entgegen. Der arme Vater hielt sich verpflichtet, sein Wort einzulösen und das arme Mädchen wurde geopfert.„ Er tat ihr, wie er gelobt hatte." Der Sinn dieser Worte kann nicht zweifelhaft sein, und wenn jüdische und christliche Ausleger die selben dahin deuten, Jephtha habe seine Tochter zur Nonne gemacht, so kann man über diese tendenziöse Verdrehung nur lächeln. Daß diese Erzählung nach ihrem schlichten Sinn der Teologie höchst unbequem sein muß, liegt auf der Hand. Mag aber die exegetische Sophistik alle ihre Schleusen aufziehen, ihr Wasser wird den Blutfleck der Menschenopfer, der an der Vergangenheit der monoteistischen Religion flebt, so wenig abwaschen können, wie die Blutflecken an den Fingern der Lady Macbeth. Auch in Griechenland und Rom scheinen Menschenopfer noch vorgekommen zu sein, als eine höhere Kultur längst begonnen hatte, Blüten zu treiben. In dem Mytus von Kronos , der In dem Mytus von Kronos , der seine eigenen Kinder verzehrt und der mit dem Moloch identisch sein soll, sind die Spuren der Kinderopfer unschwer zu erkennen. Noch Homer läßt den Achilleus zwölf trojanische Jünglinge beim Leichenbegängnis des Patroklos als Totenopfer schlachten und verbrennen.( lias XXIII, 175 f., 181 f.) Was Rom anbelangt, so wird z. B. mit Grund vermutet, daß dem Flußgott Tiber zur Sühne für seine Fesselung( durch eine Brücke) jähr liche Menschenopfer dargebracht wurden, worauf der Gebrauch hindeutet, daß alljährlich am 15. Mai von den Vestalinnen in Gegenwart der weltlichen und geistlichen Behörden 24 aus Binsen geflochtene Menschenpuppen, Argei genannt, von der
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Holzbrücke in den Strom gestürzt wurden. Besonders in drangsalvollen Zeiten nahm der Staat zu dem schrecklichen Mittel seine Zuflucht, durch Menschenblut die Hölle zu besänftigen. So wurden nach der Schlacht bei Cannä ein Gallier und eine Gallierin, ein Grieche und eine Griechin als Stellvertreter der römischen Nation auf dem Kindermarkt lebendig begraben..
Ueber die Gallier berichtet Cäsar:„ Das gallische Volk ist durchweg dem Aberglauben sehr ergeben. Wer an einer bedeutenden Krankheit leidet, wer sich in Krieg oder Gefahr befindet, opfert statt der Tiere Menschen, oder gelobt Menschenopfer, zu deren Darbringung sie sich der Druiden als Vermittler bedienen. Man hegt nämlich die Meinung, daß für ein Menschenleben wieder ein Menschenleben gegeben werden müsse, anders lasse sich die Gottheit nicht besänftigen. Auch von Seiten des Staats pflegt man diesen Opfergebrauch. Einige Stämme haben große Gözenbilder aus Weidengeflecht, deren Glieder sie mit lebendigen Menschen anfüllen; diese werden dann angezündet und so die Unglücklichen dem Feuertode geweiht. Besonders angenehm, glaubt man, sei den unsterblichen Göttern die Opferung von solchen Menschen, die sich eines Diebstahls, Straßenraubs oder sonst eines Frevels schuldig gemacht; in Ermangelung solcher Verbrecher schreitet man aber auch zur Ermordung von Unschuldigen."
Wer in der Naturgeschichte der Myten und Sagen kein Fremdling ist, der weiß, daß es dreierlei Arten derselben gibt: naive, welche lediglich der schöpferischen Phantasie und ihrem Drang, zu individualisiren und zu fabuliren, ihr Dasein vers danken, philosophische, welche Vorgänge in Natur und Menschenleben zu erklären suchen, und endlich tendenziöse, die in der Absicht auf irgend ein praktisches Ziel ersonnen wurden, indem kluge Berechnung durch erdichtete Reden und Tatsachen, die auf Helden der Vorzeit bezogen wurden, edle oder verwerfliche Ziele zu fördern bestrebt war. Zur lezteren Gattung gehören unseres Erachtens zwei bekannte Sagen des Altertums, eine hebräische und eine hellenische und beide verfolgen ein und dasselbe Ziel: die gänzliche Ausrottung der Menschenopfer. Reden wir zuerst von der hebräischen; es ist die Sage der Genesis von der Opfe rung Isaaks. Jehovah, wird erzählt, befahl dem Abraham, seinen einzigen Sohn Isaak auf dem Berge Moriah zu opfern. Bereitwillig machte sich der Patriarch auf den Weg in Be gleitung seines ahnungslosen Sohnes. Schon lag, dieser auf dem Altar gebunden, schon hatte der Vater das Schlachtmesser gezückt, „ da rief ihm der Engel Jehovah's vom Himmel und sprach: Abraham! Abraham! Er antwortete: Hier bin ich. Er sprach: Lege deine Hand nicht an den Knaben und tue ihm nichts. Denn nun weiß ich, daß du Gott fürchtest, und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen. Da hub Abraham seine Augen auf und sah einen Widder hinter ihm in der Hecke mit seinen Hörnern hängen und ging hin und nahm den Widder und opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes Statt." Man ist gewohnt, diese Erzählung als einen Beweis von der seltenen Gottergebenheit Abraham's aufzufassen, indem er Je hovah sein Liebstes nicht verweigerte. Aber darin taten es viele sog. Heiden dem Abraham gleich und übertrafen ihn sogar noch. Der hebräische Dichter will jedoch offenbar seiner Zeit, in der wohl der Menschenopferkultus mit dem Kultus der Tieropfer noch im Kampfe lag, den Gedanken plausibel machen, daß Jes hovah an Kinderopfern keinen Gefallen habe, und daß er die Bereitwilligkeit für die Tat ansehe. Und darin, daß Abraham einen Widder findet und an seines Sohnes Statt schlachtet, war ein Fingerzeig gegeben, daß die Tieropfer den Menschenopfern zu substituiren seien*).
*) Aehnlich faßt Geiger in seiner Urschrift die Sage auf, desgleichen Fürst in seinem Bibelkommentar.
( Schluß folgt.)