" Ihr seht es ja," pflegen sie mit bedauerndem Achselzucken dem Hinweis auf die Herrschenden Uebelſtände zu erwidern: " Ihr seht es ja, wir stehen unter der Herrschaft des unerbitt lichen Naturgesezes, wonach eben der Stärkste Meister wird, dagegen können wir halt, so gewiß es uns leid tut, nichts

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machen," und froh, ein teoretisches Beschönigungsmittel ihrer Grundsäze oder ihrer Gleichgültigkeit gefunden zu haben, fröhnen ie nach wie vor dem Egoismus, welcher kein anderes Prinzip kennt, als das eigene Dasein auf die Vernichtung fremden Lebens

zu gründen.

In der Natur allerdings ist nirgends Frieden; alles, was lebt, das kämpft. Die Gewächse kämpfen um den Boden, in

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dem sie Wurzel schlagen, um die Nahrungsstoffe, um Wasser, Luft und Sonnenschein. Sie wetteifern mit einander, wer den äußeren schädlichen Einflüssen: Der Trockenheit, der Nässe, Kälte, der Hize, den Stürmen besser troze, der Fäulnis und Ver­wesung widerstehe u. s. w. Wer für diesen mannigfaltigen und unaufhörlichen Wettkampf am besten und allseitigsten ausgerüstet ist, der crringt die Palme des berechtigten Daseins, indes die weniger Glück­lichen zu Grunde gehen. So harm­los dieser passive Kampf um's Dasein bei den Pflanzen auch ist, so han delt es sich doch schließlich um den­selben Ausgang, wie im blutigen Kampf zweier Raubtiere um dieselbe Beute, oder zweier Hungernden um dieselbe Nahrung: es handelt sich um Sein oder Nichtsein."

Oedipus   und Antigone.( Seite 484.)

,, Viel eher in die Augen sprin­gend gestaltet sich der Kampf ums Dasein in der Tierwelt und aus­schließlich bei unserm eigenen Ge­schlecht. Der Kampf ist blutig, wenn zwei hungernde Wölfe sich um die Leiche eines zerrissenen kleineren Tieres streiten; er ist blutig, wenn zwei Adler um dieselbe Beute kämpfen; er ist blutig, wenn zwei Hamster um denselben Getreidevor­rat streiten; er ist blutig, wenn eine Schaar von Störchen mit einer an­dern Gesellschaft ihrer Art um die­selbe sumpfige Gegend streitet; er ist blutig, wenn ein Menschen­stamm mit dem benachbarten um den Besiz eines gesegneten Him­melsstriches oder um die Supre­matie bei der Feststellung des euro­päischen Gleichgewichts" kämpft*). Aber schon in der Tierwelt ist der Kampf ums Dasein nicht immer ein blutiger, sondern sehr häufig blos eine stille Konkurrenz um die gleichen Subsistenzmittel, und denselben auch innerhalb der menschlichen Gesell­schaft immer mehr zu mildern und ihm seinen tierischen Karakter zu nehmen, das muß die Aufgabe un­serer Zeit sein.

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Uebrigens ist auch in der Tier­welt nicht immer das Recht des Stärkeren ausschlaggebend- sonst müßte es ja lauter Löwen   und Tiger geben und der maß­gebende Faktor bei der Menschwer­dung war die fortschreitende Ent­wicklung des Intellektes.

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Wenn die Bourgeoisie und ihre Wortführer zu beweisen suchen, der Darwinismus führe zu aristokra­tischen Konsequenzen, so begreifen wir dies sehr gut; nichts ist aber irriger und unstatthafter, als ein der tierischen Welt entnommenes Gesez unmittelbar auf die mensch­liche Gesellschaft zu übertragen, denn der ganze kulturgeschicht­liche Prozeß der Menschheit zeigt in lezter Instanz nichts an­deres, als eine successive, immer weiter schreitende Beherrschung

*) Dodel- Port, Wesen und Begründung der Abstammungs- und Zuchtwahlteorien. Zürich  , 1877.