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bitte

Konsistorialrat nichts zu sagen in meinem Auftrage und Sie ferner, mich nicht zu fragen, was der Grund meiner an scheinend vielleicht unberechtigten Unfreundlichkeit und Ungezogen heit ist nur das eine muß ich noch sagen, daß ich nie, wenn

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ich es vermeiden kann, nie und nirgend mehr in der Gesell­schaft dieses Herrn sein möchte, nehmen Sie an, es wäre eine mir selbst unerklärliche Furcht vor ihm, welche mich beseelt.

( Fortsezung folgt.)

Das deutsche Gaunertum

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schildert ein trefflicher Auszug Schäffles, in dessen Bau und Leben des sozialen Körpers", aus dem berühmten Buche von Avé- Lallement ,, Das deutsche Gaunertum".

Nach Lallement hat das Gaunertum einen geschichtlichen Zu­sammenhang seit der mittelalterlichen Wegelagerei, seit dem Mendikanten­und Vagantentum, welches eine Best des Reformationszeitalters war, bis zur modernsten Schwindelei und Gründerei. Der liber vagatorum, zu Ende des 15. Jahrhunderts entstanden und von Luther  ( ,, von der falschen Bettelbueberei") herausgegeben, fennt schon 29 Arten von Gaunern und den Anfang einer Gaunersprache. Luther   sagt: Ich bin selbst dieß Jahr her also beschissen und versucht von solchen Land­streichern und Zungendreschern, mehr denn ich bekennen will. Darumb sey gewarnet, wer gewarnet seyn will." Jm dritten Teil des liber va­gatorum, dem Vokabularium, finden wir, als Bestandteile einer be­sonderen Gaunersprache, schon Worte wie acheln statt essen, wälchen statt gehen, boß statt Haus, Bschiederich statt Amtmann, Dallinger statt Henker u. s. w. Namentlich aber eine reiche Auswahl von Wörtern zur Bezeichnung der Bordelle und des Bordelllebens; dann auch in der engen Verknüpfung mit der Prostitution ist das spätmittelalterliche Gaunertum dem heutigen vollständig ähnlich, wie denn kaum ein be= deutender damnificirter Gauner der damaligen Zeit frei von der Syphilis  war, und die damalige Zeit Klagepetitionen der privilegirten anerkannten Bordellmädchen an die Stadtsenate gegen die um sich greifenden Winkel­bordelle aufweist.

Bei jeder tieferen und länger dauernden Erschütterung der Gesell­schaft, z. B. am Ende des 30jährigen Krieges, nach den französischen  Revolutionen schwoll das Gaunertum mächtig an.

Wir entnehmen aus dem 2. und 3. Bde. Avé L. folgendes: Psy­chologische Eigentümlichkeiten des Gauners sind: Mangel an wirklichem Mut, der sich oft durch das geringste Geräusch abschrecken läßt, brutale Grausamkeit, wo keine Gefahr ist, Aberglaube in cynischen Formen, in welchem selbst die animalische Wärme frischer Exkremente als Talisman eine Rolle spielt, Eitelkeit und Prahlsucht bis zur Unwahrheit und Selbstkompromittirung, Hochmut der Rochemer, Hessen  ( weisen Leute, Gauner) gegen die Wittischen, Wittstöde( Dummköpfe, d. h. das ver­ehrte Publikum). Wahnsinnige Verschwendung und Sinnenlust, teils geübt bei den Beischläferinnen( Schicksel, Pilegsche), teils in den öffent­lichen Häusern, sind weitere Karakterzüge des Gaunertums, welches sonst in den sozialen Formen jedes Standes mit größter Gewandtheit sich bewegt.

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Alle Stände rekrutiren das Gaunertum, oder leihen ihm wenigstens die Maske. Bei dem durch die Eisenbahnen mächtig geförderten Frem­denverkehr in Wirtshäusern", sagt Lallement( II, 34 ff.) zählt das Gaunertum eine überaus starke Jüngerschaft in Kellnern, Hausknechten und Stubenmädchen. Neben dem Handwerksburschen- und Domestiken= proletariat ist das Gelehrten- und Künstlerproletariat am stärksten ver­treten, so daß das fahrende Schülertum des Mittelalters wieder aufge­lebt zu sein scheint. Nicht blos, daß der Polizeimann mit allen vier Fakultäten sich herumschlagen muß, er muß auch den Nimbus und die Staffage aller Künste und Gewerbe durchdringen, und hat doch dabei alle feinen Rücksichten zu beobachten, die in den prätendirten sozialen Formen ihm entgegengeschoben werden. Diese Rücksichten nimmt das in Gouvernanten, Gesellschafterinnen, Offiziers- und Beamtenwittwen stark vertretene Gaunertum stark in Anspruch."

Dem persönlichen Versteck und der Beweglichkeit des Gaunertums leisten, sagt Lallement, zwei Anstalten gegenwärtig besondern Vorschub: die Eisenbahnen, die es nicht auf Hauptbahnhöfen besteigt und verläßt, und das Paßwesen, welches die Gaunerfälschung, die Kunst des soge­nannten Fleppemelochnens", zu einem Schuzmittel für das Gaunertum zu gestalten verstanden hat. Wie täuschend der bürgerliche Schein ist, mit welchem das Gaunertum sich selbst gegen Eingeweihte zu umgeben vermag, dazu gibt das bei Thiele erzählte Beispiel des Schmulchen Frankfurter   Zeugnis, der einmal im Gasthof zu Helmstädt einem hol­ländischen Kanonikus, Gelddüten" aus dem Koffer stahl, worin er statt des notirten Geldes 46 Dietriche vorfand. Ein Gauner bestahl also

den andren.

Eine große Rolle im Gaunerhandwerk spielen die Simulationen. Da ist kein menschliches Körper- oder Geistesleiden, welches nicht teils zum Betrug, teils zur Täuschung über die Identität der Persönlichkeit angewendet wird von der Epilepsie bis zum Unvermögen den Harn zu halten. Namentlich wird durch Simulationen auf Illusion der Signale­mentsbestandteile der Pässe spekulirt. Avé Lallement führt den Fall einer Gaunerin an, deren Größe in sechs verschiedenen Signalements bis zu 5 Zoll differirte und einer andern, welche 17 Monate lang im Gefängnis erhöhte Schulter und steifen Finger simulirte, und bei nach­herigem Entspringen deshalb der Polizei immer wieder entschlüpfte.

Namentlich die besonderen Kennzeichen der Pässe werden gefoppt durch Aezungen und Tätowirungen, die nach Belieben wieder beseitigt werden können. Bei Gaunerinnen spielt die Simulation der Schwangerschaft, um die Ueberführung in ein Spital zu bewirken, sowie das lange Säugen und die Erhaltung der Milch eine Rolle, um den Behörden mit der Last der Verpflegung kleiner Kinder Furcht zu machen und so von ihnen das Durchschlüpfen erwirken zu können, die Gauner leihen einander zur Durchführung dieser Betrugs Kinder. Die Epilepsie dient namentlich, um im heiflichsten Moment der Untersuchung dem Inquirenten auszu weichen. Aehnlich die Taubstummheit; sie ist leicht zu erkennen, selbst wenn man nicht, wie neuerdings zu geschehen scheint, die Proben der Aeterisirung anwendet, bei welcher die Taubstummen herrlich reden. Die Schwerhörigkeit dient meist nur zur Chikane des Inquirenten, welcher vom Inquisiten unter dem vollen Schein des unbefangenen Mißver­ständnisses oft beißende und malitiöse Antworten erhält.

In den Kapiteln über das geheime Verständnis" enthüllt Lalle ment einen Scharfsinn und eine Kunstfertigkeit des Gaunertums, welche einer besseren Sache würdig wären.

Der Gaunerausdruck zinkenen, zeichen geben( vom zigeunerischen sung, riechen, zu riechen geben) umfaßt einen großen Komplex von Verständigungsmitteln. Ein Gauner versteht am andren jede Be wegung des Auges, des Mundes, jede Stellung der Füße, jede Regung eines Fingers, jeden Griff am Hals, Mund, Haar, jedes Räuspern, Husten, Niesen, wie scheinbar unwillkürlich und natürlich auch alles zum Borschein gebracht wird," so daß Konfrontationen mit äußerster Umjicht vorgenommen werden können. Zu den Zinken gehören einmal die Hand­zinken mittels des vom Gaunertum angenommenen Taubstummenalpha­bets, besonders verwendet zum Betrug beim Haddern( Kartenspiel) zur Rekognoszirung und Erkennung der Genossen in wittischen Wirtshäusern. Auf der Straße dient als Erkennungszinken der Scheinlingszwack, d. h. Schielen mit einem Auge, während das andere geschlossen ist, über die Nasenwurzel hinüber, auf Jahrmärkten und Messen viel gebraucht. Jeder Gauner hat seinen bestimmten Zinken, gleich seinem Wappen, bald ein Tier, bald eine geometrische Figur. Der allgemeine Diebszinken ist ein Schlüssel, durch welchen ein Pfeil geht. Es finden sich landsmann­schaftliche Gaunerzinken, besondere Zinken der auf falsche Würfel reisen­den Spieler( Kuwirstossen) und der falschen Kartenspieler( Freischuppen). Der Zinken, der eine gelungene Tat anzeigt, ist häufig ein Strich, mit einer Schlangenlinie durchzogen, deren Ende dann auch auf die von den abziehenden Gaunern eingeschlagene Wegrichtung deutet. Die Zinken werden mit Kohle, Kreide, Rot- oder Bleistift an den Gebäuden, nament lich Kirchenmauern, an Wirtshäusern, bei der Landstraße, Meilenzeigern, Wirtshaus- und Bahnhofabtritten, in Gefängnissen, wohl auch im Straßenkot angebracht.

Ein oder mehrere Knoten in den Weidenzweigen am Wege, ein flatterndes Band oder Bindfaden mit Knoten, ein Stück Papier   mit Strichen, ein oder mehrere Strohschleifen an Gebüsch und Bäumen in der Nähe des Weges, namentlich in der Nähe der Wohnorte zeigt den Vorübergang und die Zahl der vorübergehenden Genossen an, dient einer versprengten Chawrusse( Bande) als Mittel der Wiederversamm lung. Unter den besondern Kennzeichen fehlt natürlich der oft ge wechselte Gaunername nicht. Der Gaunername ist entweder eigentlicher Spizname( Einohr, Dicker, Langer, Schiefbein, Schnut u. s. w.), oder Bezeichnung nach dem Geburtsort( Hamburger, Frankfurter   u. s. w.) oder nach dem Gewerbe( Schuster, Weber 2c.). Der Name wird aber oft gewechselt, worauf die Polizeizeitschriften besonders aufmerksam machen. Besonders start ist das Unwesen vieler und korrumpirter Namen bei den jüdischen Gaunern. Gezinft werden endlich besondere Orte, in der Stadt, im Freien, auf Wegen im Walde. Der Zinkplaz, jüdisch- deutsch  Wiatzef oder Emmeß( Wahrheit, Bestimmtheit), dient zur Vermittlung der gaunerischen Kommunikation als zur schnellen Beiseiteschaffung der Beute( des Massemattens") oder zum Sammelplaz nach vollzogenen Handel"( Diebstahl). Ist der gehandelte Massematten" ein schwer transportabler Gegenstand, so wartet wohl auf dem Zinkplaz schon ein Chawer"( Bandengenosse) mit dem Fuhrwerk( Agole", Wichsegol"). " Abgezinkt" heißt jeder beobachtete und daher in seinem Unternehmen verhinderte oder durch Spuren verratene Gauner.

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Daß geheime Verständnis und die versteckte Verbindung des Gauner tums wird auch im Gefängnis nicht unterbrochen, und ist gerade hier zur Täuschung der der Bestechung unzugänglichen Gefangenwärter und der Inquirenten auf die höchste Spize der Kunst entwickelt. Hierbei kommen folgende Verhältnisse vor: das Maremokum( hebräisch Orts anzeiger) oder der falsche Alibibeweis. Der verhaftete Gauner kann sich nämlich darauf verlassen, daß seine Genossen baldigst Beugen dafür stellen werden, daß er zur Zeit der Tat an einem anderen Ort( alibi) gewesen. Meist ist das Maremokum schon vorher verabredet, oder wird es sonstwie dem Gefangenen zugesteckt. Den falschen Zeugeneid schwören jüdische Gauner fast nie, christliche meist ohne alles Bedenken, was