Menschen: Ich schlag ihm eins ins Gesicht, daß ihm das Feuer aus den Augen springt. Wem ist es nicht schon vorgekommen, daß er im Dunkeln mit dem Kopf gegen die Wand oder an cinen Schrank gerannt ist, wobei es ihm schien, als ob Funken aus dem Auge flogen. Desgleichen sieht man bei längere Zeit geschlossenem Auge häufig verschiedene Farben. Das alles crtläst sich sehr einfach dadurch, daß durch gewisse physiologische Vorgänge, z. B. Blutandrang, der betreffende Sinnesnerv in derselben Weise affizirt werden kann, wie wenn ein entsprechender äußerlicher Gegenstand auf ihn gewirkt hätte.
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Es gibt nun gewisse abnorme oder frankhafte Zustände der Sinne, speziell des Gesichtssinns, wo derartige subjektive Reize besonders lebhaft und mannigfaltig sind. Der Betreffende leidet alsdann an Halluzinationen oder Sinnesvorspiegelungen. Halluzinationen sind Erscheinungen der Sinne ohne äußere Eindrücke.( Illusionen dagegen sind Einbildungen der Phantasie, ohne entsprechende Sinneswahrnehmung.) Menschen, die an Illusionen leiden, sehen Funken und feurige Striche vor ihren Augen, sie hören dumpfe, verworrene Geräusche, die bald wie Kanonendonner, bald wie fernes Glockengeläute flingen. In weiteren Stadien fangen diese unbestimmten Eindrücke an, sich zu gestalten, indem sie durch die Form der jeweiligen Gemütsstimmung bestimmt werden. Der Melancholische sieht alsdann düstere Figuren, schreckliche Gesichter und Teufelsgestalten, er hört die Stimme seiner Verfolger, bald leise flüsternd, bald in lauten Tönen, wie sie beratschlagen, ihn zu töten oder ihm alle erdenklichen Dualen anzutun, um ihn her riecht es nach Blut und Leichen und in seinem Munde fühlt er den Geschmack von schädlichen Giften. Den Tobsüchtigen und Wahnsinnigen dagegen umgeben oft die lieblichsten Bilder. Glänzende Erscheinungen schweben vor seinen Augen und versezen ihn in seliges Entzücken, göttliche Stimmen verheißen ihm Glück, Ehre und Reichtum. ( Ricker, Seelenstörungen.) Nicht immer sind die Halluzinationen mit eigentlicher Seelenkrankheit verbunden; sie entstehen vorübergehend bei geistig gesunden Menschen infolge anhaltender geistiger Aufregung, längeren Fastens, bedeutender Affekte. Sie können sogar, wie behauptet wird, durch eine gewisse Fertigkeit künstlich hervorgerufen werden, wo sie dann die Form von Visionen und extatischen Verzückungen annehmen.
Der Schlüssel zu den Gespenstererscheinungen wäre damit gegeben. Denn wenn allerdings auch viele Gespenstergeschichten auf eine lebhaft erregte Einbildungskraft einer- und optische Täuschungen anderseits zurückzuführen sind, so ist es doch gewiß, daß bei einem großen Teil derselben Halluzinationen im Spiele
waren.
Zu den merkwürdigsten und zugleich instruktivsten Gespenstergeschichten dieser Art gehören die Visionen des berliner Buchhändlers und Schriftstellers Nikolai im vorigen Jahrhundert. Der Mann, welcher in der Literaturgeschichte eine nicht unbedeutende Rolle spielt, verdient, daß wir uns etwas eingehender mit ihm beschäftigen. Friedrich Nikolai, geboren 1733 in Berlin , gestorben daselbst 1811, in seiner Jugend, besonders durch die freundschaftliche Anlehnung an Lessing , für die deutsche Literatur fördernd wirksam, begann seit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts den kritischen Meister gegen alle zu spielen, die über den plattesten Realismus und die nüchternste Aufklärung hinausstrebten. Dieser Mann, sagt H. Heine , war sein ganzes Leben lang unablässig tätig für das Wohl des Vaterlands, er scheute weder Mühe noch Geld, wo er etwas Gutes zu befördern hoffte, und doch ist noch nie in Deutschland ein Mann so grausam, so unerbittlich, so zernichtend verspottet worden, wie eben dieser Mann. Der alte Nikolai suchte in Deutschland das selbe zu tun, was die französischen Philosophen in Frankreich getan: er suchte die Vergangenheit im Geiste des Volks zu vernichten. Aber er war solcher Arbeit nicht gewachsen. Auch geschah es zuweilen, daß er Windmühlen für Riesen ansah und dagegen focht. Er suchte, wie Odysseus , die Ohren seiner Gefährten zu verstopfen, damit sie den Gesang der Sirenen nicht hörten, unbekümmert, daß sie alsdann auch taub wurden für die unschuldigen Töne der Nachtigall. Damit das Feld der Gegen
wart nur radikal von allem Unkraut gesäubert werde, trug der praktische Mann wenig Bedenken, auch die Blumen mit auszureuten. Dagegen aber erhob sich die Partei der Blumen und Nachtigallen und alles, was zu dieser Partei gehört, Schönheit, Grazie, Wiz und Scherz und der arme Nifolai unterlag. Sein plattes Machwerk gegen Goethes Werther, in welchem Werther mit einer Besudelung durch die mit Hühnerblut geladene Pistole davon kommt, schadete nur dem Verfasser, ohne die Wirkung des Goetheschen Romans zu schwächen. Als er sich später mit pol ternder Eitelkeit herausnahm, die Dichterdioskuren Goethe und Schiller zu hofmeistern, wurde er von diesen mit einem Hagelregen satirischer Pfeile heimgeschickt, die ihn unsterblich lächerlich machten. Unter den von Goethe und Schiller gemeinschaftlich unter dem Namen Xenien veröffentlichten Distichen beziehen sich die meisten auf Nifolai. Sie erschienen in Schillers Musenalmanach für 1797. Sechs Jahre vorher wurde Nikolai in seiner Wohnung zu Berlin von seiner ersten Gespenstererscheinung heimgesucht. Es war am 24. Februar 1791 vormittags 10 Uhr in Gegenwart der Frau und eines Hausfreundes. Man muß gestehen, eine wizigere Revanche konnten die Geister des Aberglaubens an ihrem fanatischen Verfolger faum nehmen, als dadurch, daß sie ihm Gespenster erscheinen ließen und zwar Gespenster der frechsten Sorte, die am hellen Tage und in Gegenwart anderer Personen zu spuken wagten.- Nikolai hatte an demselben Morgen eine Reihe von unange nehmen Nachrichten erhalten, die ihn tief verstimmten und aufregten. Sie betrafen die von ihm gegründete und herausge gebene Allgemeine deutsche Bibliotek", welche von der damaligen Regierung hart verfolgt wurde. Plözlich stand am hellen lichten Wintermorgen, kaum zehn Schritte von ihm entfernt, die Gestalt eines Verstorbenen vor ihm. Er wies auf dieselbe hin und fragte seine Frau, ob sie die Person nicht sehe. Diese sah natürlich nichts und schickte, als verständige Frau, nach dem Arzte. Aber noch bevor dieser kam, hatte sich die Gestalt ernst und schweigend entfernt, ihr Besuch hatte nur gegen 8 Minuten ge dauert. Aber schon Nachmittags beim Eintritt der Dämmerung, als Nikolai allein auf seinem Zimmer arbeitete, stellte sich der ungebetene Gast aufs neue ein. Er eilte sofort zu seiner Frau, aber die Gestalt folgte ihm und stellte sich ruhig in seine Nähe. Blutreinigende Arzneien, welche der Arzt verordnete, hatten keine Wirkung. Die Erscheinungen vermehrten sich auf die sonder barste Weise. Sie tamen höchst ungenirt unter den verschie densten Umständen bei Tag und bei Nacht, Nikolai mochte allein oder in Gesellschaft, daheim oder in fremden Häusern sein. Fast ohne Notiz von ihm zu nehmen, gingen sie, Männer und Weiber, durcheinander, einige zu Pferd, andere von Hunden begleitet, wie auf dem Markt, wo alles sich fortdrängt. Alle waren in Gesichtszügen, Haltung und Kleidung so deutlich unterschieden wie im weltlichen Leben. Nach etwa 4 Wochen hörte Nikolai sie untereinander sprechen, dann wurde auch er in die Unterhaltung gezogen. Sie sprachen sehr verständig, ihrem Ka rafter ganz angemessen, zu ihm, namentlich waren sie bemüht, ihn über seinen Kummer zu trösten.
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Hatten aber die Gespenster geglaubt, ihrem Feind, dem alten Aufklärer, ein Schnippchen zu schlagen und ihn zur Anerkennung ihrer Existenz zu bekehren, so hatten sie sich gründlich verrechnet. Nikolai ließ sich ganz und garnicht dupiren. Er hielt vielmehr den Sinnen, die ihn betrogen untrügliche Vernunftſchüsse ent gegen und wenn es ihm damit auch nicht gelang, die Gespenster zu bannen, so bannte er doch alle Furcht vor ihnen. Er machte sie vielmehr zum Gegenstand seines Studiums, ja als richtiger Berliner fing er nach einiger Zeit an, sich mit ihrer Betrachtung zu amüsiren und mit Frau und Arzt darüber zu scherzen. Nikolai hat 8 Jahre später der berliner Akademie in der aufrichtigsten und treuherzigsten Weise erzählt, wie er zum Gespensterscher wurde und seinen Vortrag alsbald auch unter dem Titel:„ Beispiel einer Erscheinung mehrerer Phantasmen nebst einigen erläutern den Anmerkungen" dem Druck übergeben. Er hat auch das Mittel nicht verschwiegen, womit er die Geister exorzirte. Es bestand keineswegs in geistlichen Amuletten und dergl., fordern