früher schon bestraft worden oder zu alt sind, um selbst noch einen Massematten zu handeln. Weiber und Konkubinen, ganz vorzugsweise aber Bordell- und Gaunerwirte, nächstdem Trödler und Pfandleiher, welche an den Verbrechern unglaublichen Wucher treiben. Die Schärfenspieler sind die Tonangeber der Diebe, sie umschwärmen bereits den frisch gehandelten Massematten( Beute) wie die Raben das Alas, sie sind die gefährlichsten Baldowerer unter der Maske eines ehrsamen bürgerlichen Gewerbes. Ihre reichhaltigen, zu Schleuderpreisen be= schafften Lager namentlich in Manufakturwaaren, müsse man, sagt Lallemant, gesehen haben, um zu begreifen, wie sie namentlich durch den fonzessionirten Trödelhandel, Haußirhandel auf Jahrmärkten, aber auch darauf dem seßhaften Händler, der einmal mit ihnen in Geschäfte gekommen unter dem Bann der Schärfenspieler steht, dem Kleinhandel eine sehr beschwerliche Konkurrenz bereiten. Die Vorräte der Schärfenspieler pflegen versteckt zu sein hinter Bretterwänden, unter Zimmerdecken, in Kellern, Scheunen 2c. Die Schärfenspieler sind so die intellektuellen Urheber der Gaunereien, vor allem aber die Hehler( ,, Pascher"). Nascher heißen sie denn auch bei den Gaunern selbst. Sehr günstig für den Schärfenspieler ist das Pfandleihen, denn indem der Dieb die gestohlene Sache versezt, sichert sich der Pascher, der im äußersten Fall nur den Pfandschilling verliert, tatsächlich aber den gestohlenen Gegenstand wie heimgefallen schnell zu veräußern vermag. Gegen die Polizei weiß der Verleiher die ehrlichste Miene von der Welt zu behaupten; er legt ihr alle dem beschriebenen Massematten ähnlichen Gegenstände bereitwilligst vor Augen, während die gestohlenen Sachen selbst in sicherstem Versted liegen. Lallemant sagt, der Erfolg habe gezeigt, daß selbst die öffentlichen Pfandleihhäuser eine gute Gelegenheit für den Absaz des Gauners seien..
Wie schon oben bemerkt ist die Gaunerherberge der Hauptort, der " Intippel" der Beuteverteilung; der Gaunerwirt, oder von Oschipieso,„ Spieß"( Kochemer- Chessenspieß) genannt, ist der erste Schärfenspieler." Die Gaunerwirtin wird die„ Kochemerspisse", sein Knabe der Rochemerichetez", jein Mädchen die Kochemerschitje" genannt( unter Schetez- Gräuel, und unter dem Femininum Schicksel war ursprünglich nur der Christenknabe und das Christenmädchen gemeint.) Das Gaunerwirtshaus heißt außer Kochemerspieße und Chessepenne auch noch Aules, Schäche( hebräisch satt werden), Schächerkitt, von derselben Wurzel wie Betrunkenheit. Von diesen betrunken und ,, Schikkoron"
schitter"
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Chefsevennen, die für die Gauner zugleich Bordells find, wie umgekehrt meist Bordells Chessepennen, entwirft Lallemant ein furchtbares Bild. Selbst die Wollust ist hier die bloße Tatsache, ohne die geringsten Bergeltung als Spott und Hohn und nachgeworfene Schmuz- und Schandnamen. Bezeichnend ist der große Reichtum an Worten für Dirne, eine Tatsache, die jetzt noch üppiger bestehe, als schon im Vocabular des liber vagatorum. Aus den Gaunerpennen steckt die Gaunerin ihre Fangfäden durch die Prostitution auch auf die Straße, von wo die Dappelschicksen wittische Leute auf dem Strich haben, um sie der Beraubung und Mißhandlung ihrer Männer(„„ Kaffern") zuzuführen.„ Nur selten", jagt Lallemant, hat ein in solcher Weise mißhandelter und beraubter junger Mensch Erinnerung und Mut genug, Tat, Täter und Behausung nachzuweisen. Kann man auch solche geheime Räubereien als vereinzelt bezeichnen, jo ist doch die mit dieser geheimen Prostitution verbundene Gefahr der Krankheitsansteckung sehr groß; alle sanitätspolizeiliche Strenge in den konzessionirten Bordells ist paralysirt, wo nicht die Ausrottung des„ Striches" gelingt; die Anstedung wird weit mehr in die Bordells getragen, als aus denselben heraus."
Uebrigens ist die Bordellwirtschaft, die fonzessionirte wie die winkelmäßige, nach Lallemant selbst als integrirenden Industriezweig des Gaunertums anzusehen.
Die Bordellwirte treiben unter den
Augen der„ Sittenpolizei" einen Sklavenhandel, für dessen Zufuhr Rappler- Kommissionäre, Verschicfrauen und Reisende mit den infamſten Intriguen und Künsten sorgen; die Rettung der unglüdlichen weiblichen Geschöpfe scheitert vor allem an der künstlichen materiellen Not und Abhängigkeit, worin die Wirte ihre Opfer der polizeilichen Aussicht zum Troz, zu halten wissen.„ Nach dem geheimen Gewerbsfartell", sagt Lallemant, in welchem die Bordellwirte mit einander stehen, ist die Aufnahme einer Dirne nichts anderes als ein unter dem Namen der Auslösung bestehender Kauf, bei welchem wirklich oder nur dem Schein nach die sogenannten Schulden einer Dirne bezahlt werden. Nicht allein ein ungeheures wöchentliches Kostgeld, nicht allein 33-50, Prozent vom verdienten Lustsolde, nicht allein eine unglaubliche Summe für Wäsche und Bedienung und sogar eine schmähliche Miethe für den umgehängten Schmud das schlimmste ist die künstliche Geld- und Kreditlosigkeit, bei welcher die Dirnen alles, namentlich die Kleider, oft um das Behn- bis zwanzigfache des wirklichen Wertes vom Wirte beziehen müssen. Von der Verworfenheit der Bordellwirte bekommt man erst dann einen richtigen Begriff, wenn man über die Geschäftsforrespondenz derselben gerät; in diesen Briefen wird mit eisiger Kälte und Geschäftsmäßigkeit lediglich über Körperbeschaffenheit verhandelt, als ob die Briefe aus der Schreibstube eines Viehhändlers fämen. In der Tat ist die Dirne nur noch Körper, nach dessen Seele nicht gefragt wird, dem sogar der christliche Taufname genommen, und wie dem französischen Soldaten der nom de bataille, ein phantastischer Name gegeben wird, dessen Klang eine ungeheure Ironie für die Lage und Umgebung des Opfer3 ist. Auch die Manufaktur- und Luxuswaaren, welche von jungen, leichtfertigen Commis aus den Lagern ihrer
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Brinzipale den Dirnen massenhaft zugetragen werden, eignet sich der Wirt an. Avé- Lallemant sieht die Bordelle als den Krebsschaden an, gegen welchen die Polizei zu feig und tolerant sei. Aus reicher Erfahrung bemerkt er:„ Die Flüche der Räuber vom Schaffot herab gegen die Bordelle als Herd ihrer Verbrechen, der diebische Verkehr in denselben müssen die unglückliche selbstgenügsame Ansicht herabstimmen, daß mit der bestehenden Sanitäts- und Sittenpolizei in den Bordellen irgend etwas gethan sei. Vielmehr tritt die Notwendigkeit mit ganzer ge= waltiger ernster Mahnung hervor, daß eine bei weitem schärfere Aufsicht( nur dies??) eingeführt werden muß."
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Blick auf Neapel. ( Illustration s. S. 505.) Wer kennt nicht das geflügelte Wort: Neapel sehen und dann sterben," oder wie man dasselbe variirte:„ Neapel sehen und dann erst recht leben." Die Natur hat da ein Paradies geschaffen, das aller Beschreibung spottet. Man sage, erzähle, male, was man will, schreibt der entzückte Goethe, hier ist mehr als alles. Die Ufer, Buchten und Busen des Meeres, der Vesuv , die Stadt, die Vorstädte, die Castelle, die Lufträume! Ich verzeih es allen, die in Neapel von Sinnen kommen und erinnerte mich mit Rührung meines Vaters, der einen unauslöschlichen Eindruck von der Stadt erhalten hatte. Und wie man sagt, daß einer, dem ein Gespenst erschienen, nicht wieder froh wird, so konnte man umgekehrt von ihm sagen, daß er nie ganz unglücklich werden konnte, weil er sich immer wieder nach Neapel dachte." Kaiser Friedrich II. soll einst geäußert haben:„ Gott muß Neapel garnicht gekannt haben, weil er das elende Palästina zum Erbteil seines Volkes erwählte," wegen welcher Aeußerung derselbe von Dante in die Hölle versezt wurde. Neapel , das ursprünglich Parthenope hieß, nach dem Namen einer verführerischen Nymphe, später als zur Altstadt eine Neustadt( gr. Nea- polis) gebaut war, seinen jezigen Namen erhielt, erhebt sich am Gestade des tyrrhenischen Meeres amphiteatralisch längs eines fraterförmigen Golfs, der einen zauberhaft schönen, malerisch abgeschlossenen See bildet, mit den reizendsten Perspektiven des Vesuvs, des Monte S. Angelo , der Küstenberge und der Inseln Capri , Ischia und Procida, zwischen denen die Ausgangstore in's sizilische Meer sich öffnen. In der Ferne tauchen die Apenninen auf, während hart an der Stadt der Posiliphügel mit dem Grab Virgils und nördlich von diesem die landschaftlich entzückendste Stelle der Erde, die Höhe von Camaldoli, über die Stadt hinragt. Vom Meer oder vom Vesuv herab gesehen, scheint der gesammte Halbkreis des Golfs, von dem altklassischen Bajä bis zur Wiege Tasso's in Sorrent , nur eine große Stadtkrone zu bilden, als deren reizendster Edelstein Neapel in der Mitte aufleuchtet. Mit der Schönheit einer Bergstadt hingelagert, ist die Stadt von der üppigsten südlichen Pflanzenwelt, Cactus und Agave, Pinie, Orange, Limone und Palme umgürtet. Bei der Ankunft zur See entfaltet sich dieses Panorama zu einem der entzückendsten beweglichen Bilder. Schon aus weiter Ferne sieht man als Obelisken vor dem prachtvollsten Naturtempel die schön gestaltete Insel Ischia und den einsamen, doppelt gezackten Vesuv , gefolgt von den Osthöhen, welche den Kranz schließen. Je weiter. man vorrückt, desto mannigfaltiger, reicher entfalten sich die Reize dieses Paradieses. Und alles meist verklärt durch die blendenden Töne der klaren, warmen Luft und noch zauberischer in der Abendbeleuchtung, wenn die sattesten Goldtöne bis zur tiefsten Violettfarbe sich abstufen. Die Farbenpracht, die Größe und Weite dieses Gesammtbildes sind wohl ohne Gleichen in der Welt. Eben so traumhaft schön ist das Nachtbild Neapels , wenn man auf einer Barke die phosphoreszirenden Wellen durchschneidet, die weißsilbernen Stämme des dunklen Hafenwaldes leuchten, der Vollmond über den magischen Vesuv sein still ruhiges Licht ausgießt, Meer, Berge und Stadt in den wunderbarsten Formen erscheinen, die Inseln auf dem goldglizernden Boden der Flut wie Sarkophage ruhen. Schon Plinius in seiner Naturgeschichte ist von der Schönheit Campaniens, der ganzen Landschaft, in welcher Neapel liegt, begeistert. So glücklich, anmutig, selig sind jene Gegenden," sagte er, daß man erkennt, an diesem Ort habe die Natur sich ihres Werkes erfreut. Denn diese Lebensluft, diese immer heilsame Milde des Himmels, so fruchtbare Felder, so sonnige Hügel, so unschädliche Waldungen, so schattige Haine, so nuzbare Wälder, so luftige Berge, so ausgebreitete Saaten, solch eine Fülle von Reben und Delbäumen, so edle Wolle der Schafe, so fette Nacken der Stiere, so viel Seen, so ein Reichtum von durchwässernden Im Hinter Flüſſen und Duellen, so viele Meere, so viele Hafen!" grund unseres Bildes erhebt sich der kegelförmige, zweigipfelige Vefuv, der Stolz und der Schrecken Neapels , wie ihn Palmieri nennt, einer der kleinsten aber merkwürdigsten Vulkane, welche Humboldt treffend die Sicherheitsventile der Erde genannt hat, weil sie den Dämpfen, die im feuerflüssigen Innern der Erde sich entwickeln und die sich in den Erdbeben und vulkanischen Eruptionen Luft zu machen suchen, einen Ausweg öffnen. Ohne den Vesuv würde Neapel längst das Schicksal Lissabons geteilt haben. Für die Bewohner seiner nächsten Umgebung ist indes der Berg ein unheimlicher Koloß. Bekanntlich fand im Jahre 79 n. Ch. jene furchtbare Katastrophe statt, welche die Städte Herkulanum und Pompeji unter Lava begrub, ein Ereignis, das uns von einem Augenzeugen, dem jüngeren Plinius, beschrieben ist und von welchem Goethe sagt:„ Es ist viel Unheil in der Welt geschehen, aber wenig, das den Nachkommen so viel Freude gemacht hat." Man könnte das Ereignis einen der geistreichsten Einfälle der Geschichte nennen; denn
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