feine Beschreibung der Welt hätte der modernen Altertumsforschung ein so treues Bild von dem Kulturleben der Alten liefern können, als die Ausgrabungen der verschütteten Städte. Die Stadt Neapel zählt 450 000 Einwohner. Man sollte glauben, daß ein Volk, dessen Auge sich von frühester Kindheit an im Glanze dieser unvergleichlichen Sonne badet, an Gesittung und poetischer Kraft den Nordländern weit überlegen ist. Leider ist grade das Gegenteil der Fall. Keine der größeren Städte Italiens ist so arm an stolzen Namen, als Neapel . Es ist eine eigentümliche Tatsache, sagt Eckstein, daß die Bevölkerung dieser herrlichen Gelände kalt und stumm blieb, wo sich die produktiven Geister aller übrigen Nationen Anregung und Inspiration holten. Auch die Geschichte dieses zauberischen Strandes ist ein trostloses Chaos von Begebnissen, umsonst blicken wir uns nach Taten um. Stets von Fremden beherrscht, hat Neapel nie eine politische Rolle, gespielt wie Genua , Ve nedig , Pisa ; ohne schöpferische Kraft, ohne Originalität und Tiefe der Empfindung, vermochte es weder auf literarischem, noch auf künstlerischem Gebiete das zu leisten, wozu es vermöge seiner unendlichen Naturschönheit berufen zu sein schien. Es scheint, daß da, wo die Luft zu balsamisch unsere Schläfe füßt, sie uns das Mark aus den Knochen saugt. Ein neuerer Reisender nennt Neapel die hohe Schule der Prellerei; das Betrügen gelte dort allenthalben als etwas so Selbstverständliches, daß die eingefleischten Autochtonen sich höchlich wundern würden, wenn man ihnen den Beweis liefern wollte, anderwärts betrachte man diese Metode als etwas Verbrecherisches und Niederträchtiges. Wir können von unserem Bilde nicht scheiden, ohne noch des Schuzpatrons der Stadt Erwähnung getan zu haben. Es ist der heilige Januarius oder San Gennaro . Bei seinen Lebzeiten war dieser Heilige Bischof von Benevent . Er starb den Märtyrertod unter Kaiser Diokletian . Bei seiner Enthauptung fing eine arme Wittwe zwei Fläschchen von seinem Blute auf und brachte sie nach Neapel . Auch das Haupt und der übrige Körper des Märtyrers gelangten nach Neapel und ruhten dort in einer Kapelle, über welche im 13. Jahrhundert eine prächtige Katedrale erbaut wurde, die seinen Namen führt und die schönste und größte Kirche Neapels ist. In der sogenannten„ Schazkapelle" der Katedrale wird nicht nur das Haupt und das Blut des Heiligen, sondern auch seine massivsilberne und vergoldete Büste aufbewahrt, welche die Aufsicht über 37 andere Heilige von Silber und 42 ditto von Bronze zu führen hat. Der Wert des Schazes an Gold, Silber und Edelsteinen wird auf 4 millionen Franken geschäzt. Der heilige Gennaro ist ein wahrer Tausendkünstler und Herenmeister; er kann alles tun und weiß für alles Rat. Er vertreibt Best und Cholera, stillt Erdbeben und Vulkane, heilt den Veitstanz und das fatale Mal de Naples, wehrt der Hungersnot und dem Feuer, furzum er ist ein Helfer in aller Not; nur gegen Dummheit hat er sich bis jezt noch nicht als brauchbar bewährt. Das Blut in den zwei Fläschchen ist geronnen; es wird aber wieder flüssig, wenn die Fläschchen mit dem heiligen Haupte in Berührung fommen, vorausgesezt, daß der Heilige gut bei Laune ist; denn manchmal will es nicht fließen, was dann ein Beweis ist, daß der Heilige den braven Neapolitanern zürnt und durch Opferspenden versöhnt sein will. Als Garibaldi am 7. September 1860 in Neapel einzog und der Bourbonenwirtschaft ein Ende machte, wollte das Blut auch nicht fließen. Der alte General verstand aber auch etwas von Sympatie oder Schwarzfunst; er raunte den Pfaffen ein paar Wörtchen in's Ohr, worauf alsbald das Blut lustig zu fließen anfing.-
St.
Ein Wirtshaus im berner Oberlande.( Illustration s. S. 507.) Das gesammte zu Bern gehörige Berg- und Talgelände, welches die nördliche Abdachung der berner Alpen bis zu den beiden Aareseen bildet und unter dem Namen berner Oberland zusammengefaßt wird, ist ein Lieblingsziel der sommerlichen Alpentouristen, nicht ganz zum Vorteil der Bevölkerung, welche, von Natur ein gutmütiger, intelligenter, hübscher und kräftiger Menschenschlag, heutzutage mehrfache schlimme Einwirkung des starken Fremdenverkehrs zeigt, der sich sogar bis zu den Firnen der Finsteraarhorngruppe erstrect, Schneewüsten, welche erst der Eifer der Alpenklubbisten recht erschlossen hat. In das Wirtshaus unseres Bildes, dessen spärliche primitive Möbel und Trinkgeschirre auf eine entlegene Gegend hinweisen, sind soeben ein paar Touristen eingekehrt. Der ältere, ohne Zweifel ein Gelehrter, vielleicht ein Zoolog, ist in der Betrachtung eines seltenen Käfers oder Schmetterlings vertieft, den er unter die Loupe genommen hat. Der neben ihm sizende Bauer, welcher
-
512
behaglich seinen Kloben dampft, gudt ganz verduzt drein, denn er kann nicht begreifen, was an dem Injekt merkwürdig sein soll. Der junge Gefährte des Gelehrten ist mit einem ganz anderen Käfer beschäftigt. Die stämmige Dirne, die er in die Wange fneist, scheint sich zwar diese Vertraulichkeit zu verbitten. Irren wir jedoch nicht, so wird ihre energiid abweisende Haltung von ihren Augen Lügen gestraft, denn diese verraten, daß ihr die Huldigung des hübschen Jünglings nicht so ganz unangenehm ist. Eine ernste Katastrophe läßt jedoch die dritte Gruppe unseres Bildes befürchten, die sich im Vordergrund präsentirt. Der fremde Pintscher, auch ein Tourist, und die heimische Kaze stehen einander gegenüber, wie Regierungsfreunde und Feinde im Reichstag. Hoffen wir indes, daß der Konflikt nicht zum Ausbruch kommt, beide Certanten vielmehr den Groll in ihrem Busen durch weise Mäßigung zähmen werden. St.
Ratgeber für Gesundheitspflege.
Chemnitz . E. U. Sie schreiben, Sie hätten einmal„ Hautaus schläge" gehabt und verlangen Rat für den Fall der Wiederkehr. Damit Sie und alle andern, die die Beschreibung eines Krankheitszustandes mit einem Worte abgetan glauben, sehen, wie sehr sie damit im Irrtum sind, folge hier ein Verzeichnis der bekanntesten Hautausschläge( akute oder chronische Erantheme): Nesselsucht , Rötheln, Friesel, Masern, Schar lach, Boden, Rose, Schwielen, Warzen, Finnen, Flechten, Kopfgrind und Weichselzopf. An welcher von dieser Ausschlagsfrankheit haben Sie nun gelitten? Ganz ohne Rat wollen wir Sie jedoch nicht lassen: pflegen Sie Ihre Haut sorgsam, nehmen Sie möglichst oft ein Fluß bad, waschen Sie Ihren Körper täglich von Kopf bis Fuß mit faltem Wasser und frottiren Sie ihn dann mit grobem Handtuche, dabei haupt sächlich Buch, Brust, Rüden, innere Schenkel und Arme berücksichtigend. Auch Luft- und Sonnenbäder, d. h. nackt in frischer Luft und Sonnen schein liegen oder spazieren selbstverständlich nur da, wo die Sitte es gestattet, in Badeanstalten oder wo sie sich ganz unbeobachtet wissen - ist jederzeit als Vorbeugungsmittel gegen Hautkrankheit zu ent pfehlen.
Altona . Frau Br. B. Das häufige Aufstoßen ist ein Zeichen mangelhafter Verdauung. Enthalten Sie Sich des Genusses von fetten und leichtgährenden Speisen und Getränken, bewegen Sie Sich tüchtig in freier Luft, trinken Sie oft, aber in kleinen Portionen frisches Wasser und nehmen Sie einigemale täglich 1,0 bis 2,0 doppeltkohlensaures Natron in Wasser oder eine Messerspize Lindenkohlenpulver; beides wenn die beim Aufstoßen entweichende Luft sauer riecht. Ist der Geruch jedoch ein fauliger, so müssen Sie Sich an einen Arzt wenden, da dann eine nur durch genaue Untersuchung und Beobachtung zu erkennende Krank heit die Ursache des Aufstoßens ist.
Redaktions Korrespondenz.
Weimar . A. M. Wie kommen Sie, geehrter Freund, nur immer dazu, uns der Redaktion der N. W., von vornherein alles mögliche Törichte, Schlimme, Faliche zuzutrauen? Müffen wir wirklich alles getan oder verschuldet haben, was mit de N. W. in irgend einem Zusammenhange steht oder zu stehen scheint? Daß die Gräfin Bera, Sensationeller Sittenroman von Helene von Ratowiga", den geehrten Lesern der Neuen Welt" durch einen besonderen Prospett ans Herz gelegt worden i erweist sich als eine Aufmerksamkeit des Verlegers Herrn Bollner, von der uns er durch Ihre Zusendung Kunde ward. Ihr herbes Urteil über die Berfasserin des g nannten Romans wollen wir an dieser Stelle nicht wiederholen, wir können aber nic umhin zu versichern, daß wir absolut nicht begreifen, wie auf ein literarisches Produ solcher Qualität, wie dieser in die Kategorie flachster Kolportageliteratur gehörende, angeblich sensationelle Sittenroman, eine so intensive und tostspielige Rellame gewende wieder durch solche Gesellschaft prostituiren zu lassen, hätte ein alter Mitarbeiter und werden konnte. Daß wir zu sorgen bemüht sein werden, den Namen der N. W. nicht Gesinnungsfreund gleich Ihnen doch wohl ohne weiteres vorausfezen können!
Soblik. J. W, Nach Wunsch geschehen.
Köln . N. Gelegenheitsgedichte zu Hochzeiten und dergleichen auf Be stellung zu machen, haben wir auch gegen gutes Honorar" weder Zeit noch Luft. Berlin . May T. Jeder Mensch jagt, sie seien riesig tatenvoll Bir gratuliren von Herzen. Die Tatsache, die Sie uns da mitteilen, erscheint uns um so interefjanter, als uns damit zum erstenmale eine so überaus erfreuliche Meinungsübereinstimmung der gesammten Menschheit entgegentritt. Daß sie uns so bewandten Umständen nicht erst Proben Ihres Talents eingesandt haben, halten w ganz in der Ordnung. Lassen Sie diese vornehme Zurüdhaltung auch ja nicht fahren, falls Ihnen nicht mit den Jahren etwa die Ueberzeugung fommen sollte, daß sich jeder Mensch in der Riesenhaftigkeit Ihres Talents recht erheblich geirrt hat.
-
-
Blid
Inhalt: Verschlungene Lebenswege. Roman von Franz Carion.( Forts.) Etwas vom Welt- Untergang.- Gibt es Gespenster? Von Dr. Richard Ernst. Die pariser Salons und die Encyclopädisten. Von C. Fehleisen. Das deutsche Gaunertum.( Schluß.) auf Neapel. ( Mit Illustration.)- Ein Wirtshaus im berner Oberlande.( Mit Illustration.)- Ratgeber für Gesundheitspflege.- Redaktions Korrespondenz.
Mit dieser Nummer beginnt das vierte Quartal des 7. Jahrganges der„ Neuen Welt." Abonnements werden in allen Buchhandlungen und Postanstalten entgegengenommen.
-