Miene auf diesen schlimmen Gesellen hinzuweisen, während man sich seine Ideen allmälich aneignete; man konnte ungestraft später als eigenes Produkt verkaufen, was man von ihm gelernt hatte, weil man sich einstimmig von ihm losgesagt hatte. Erst in neuester Zeit wurde sein Andenken, namentlich von E. du Bois­Reymond und F. A. Lange rehabilitirt und von den häßlichen Flecken gereinigt, mit welchen seine Zeitgenossen dasselbe be schmuzt hatten.

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Lamettrie wurde geboren zu St. Malo den 25. Dezbr. 1709. Sein Vater betrieb ein Handelsgeschäft, das ihn in den Stand sezte, seinem Sohne eine gute Erziehung zu geben; als dieser seine akademischen Vorstudien absolvirte, zeichnete er sich so aus, daß er sämmtliche Preise erhielt. Sein Vater bestimmte ihn zuerst für den Dienst der Kirche, allein bald vertauschte er dieses Studium mit dem der Medizin. Er hatte schon eine Zeit lang in Reims praktizirt, als er sich im Jahre 1733, gelockt durch den Ruf des großen Boerhave, zu erneutem Studium nach Leyden begab. Als Militärarzt machte er einen Feldzug in Deutschland mit; während desselben wurde er von einem hizigen Fieber befallen und er benüzte diese Gelegenheit, um über den Einfluß der Blutwallungen auf das Denken an sich selbst Beo­bachtungen anzustellen. Er kam zu dem Resultate, daß das Denken nichts sei, als eine Folge der Drganisation unseres ihm wie eine Maschine erscheinenden Körpers, und ließ seine Unter­suchungen unter dem Titel Naturgeschichte der Seele" drucken. Sofort erhob sich auf Anregung des Regiments predigers ein allgemeiner Schrei der Entrüstung wider ihn; seine Bücher wurden als kezerisch erkannt und er mußte 1746 zurück nach Leyden fliehen. Im Jahre 1748 erschien sein Der Mensch eine Ma­schine", welche Schrift er mit den schönen Worten einleitet: Der Weise begnügt sich nicht mit dem Studium der Natur und der Wahrheit; er wagt es auch, leztere auszusprechen, um der kleinen Zahl von Menschen willen, welche denken wollen und fönnen, ohne Rücksicht auf die große Menge der Sklaven des Vorurteils, welche ebensowenig an sie heranzureichen vermögen, als es den Fröschen zu fliegen vergönnt ist." Dieses Werk zicht die lezten Konsequenzen des Materialismus und machte seinem Verfasser den Aufenthalt selbst in Holland unmöglich. der Ruf eines Philosophen und eines Unglücklichen ge­nügte, ihm ein Asyl in Preußen zu verschaffen"*) und Friedrich der Große ernannte ihn zu seinem Vorleser und verschaffte ihm eine Stelle an der Akademie.

Aber

Am meisten hat Lamettrie seinem Andenken durch seinen Tod geschadet. Der französische Gesandte am berliner Hof, Tirconnel, den jener von einer schweren Krankheit geheilt hatte, veranstaltete ein Genesungsfest, bei welchem Lamettrie eine ganze Trüffelpastete verzehrt haben soll, worauf er sofort unwohl wurde und am 11. November 1751 an einem hizigen Fieber unter heftigem Delirium starb.

Eine wesentliche Ergänzung in den Bestrebungen jenes Zeit­alters bildete der Naturforscher Leclerc Graf von Buffon, am 7. September 1707 zu Montbard in Burgund geboren. Als Vorsteher des botanischen Gartens, ergriff er mit Begeisterung den ihm durch seine amtliche Stellung nahe gelegten Plan, der

*) Eigene Worte Friedrichs d. Gr.

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Geschichtschreiber der Natur zu werden. Durch seine, 36 Bände umfassende Naturgeschichte", hat er der Wissenschaft einen festen Grundplan vorgezeichnet, welchen emfige Nachfolger nur zu be­richtigen und in seinen verschiedenen Gemächern und Stockwerken auszubauen hatten. Obgleich er sich äußerlich von der, Es­cadron encyclopédique", wie er die Materialisten nannte, fern hielt, so teilte er in seinem Innren doch ihre Anschauungen vollkommen. Er äußerte wenige Jahre vor seinem Tode einem Freunde gegenüber, er habe das Wort Schöpfer nur des Sprach­gebrauchs wegen beibehalten, man dürfe an die Stelle desselben nur die Gewalt der Natur, die Anziehungskraft, die Bewegung sezen und man würde seine wahre Meinung erkennen. Natürlich konnte es nicht fehlen, daß er auch den Aerger der Geistlichkeit erregte, und diese sezte es durch, daß er einen förmlichen Widerruf von Lehren veröffentlichte, deren vollkommene Richtigkeit heute allgemein anerkannt ist.

Buffon ahnte auch schon die Darwin 'sche Descendenzteorie; in seinem Meisterwerk Epochen der Natur" sagt er: Wenn plözlich der größte Teil der vorhandenen Geschöpfe zerstört würde, so würde man neue Gattungen entstehen sehen; denn die orga= nischen Teilchen oder Molecules, unzerstörbar und immer tätig, würden sich unter einander verbinden und wieder geformte Körper hervorbringen." Dieses Buch trug nicht wenig dazu bei, die Lust und Liebe zu den Naturwissenschaften in die weitesten Kreise zu tragen. Die großen, sich Schlag auf Schlag folgenden Ent­deckungen stachelten nicht nur den Geist denkender Menschen an, sondern erregten auch die Neugierde der gedankenloseren Schichten der Gesellschaft. Die Vorlesungen der Chemiker, Geologen, Bota­niter, Astronomen und Physiologen waren gedrängt und übervoll. Die Hallen und Amphiteater, in denen die großen Wahrheiten der Natur erklärt wurden, konnten ihre Zuhörer nicht mehr fassen und mußten wiederholt erweitert werden. An diesen Orten verschwand die Unterordnung des Ranges vor der Unterordnung des Wissens, da gab es weder Herren noch Sklaven, weder Könige noch Untertanen, denn die Halle der Wissenschaft ist der Tempel der Demokratie." Der innige Zusammenhang von wissenschaftlichem Fortschritt und sozialer Empörung erhellt am besten aus der Tatsache, daß beide aus derselben Sehnsucht nach Verbesserung entspringen, aus derselben Unzufriedenheit mit dem bisher Geleisteten, aus demselben ruhelosen, forschenden, kühnen und vorwärtsstrebenden Geiste. Man hat sich daran gewöhnt, die französischen Philosophen des vorigen Jahrhunderts als die geistigen Urheber der Revolution zu betrachten, und gewiß kann ihr Einfluß auf dieses weltgeschichtliche Ereignis nicht hoch genug angeschlagen werden; ihre Arbeit wäre aber wirkungslos im Sande verlaufen, wenn sie nicht von dem gleichzeitigen kolossalen Aufschwung der Naturwissenschaften begleitet gewesen wäre. In

der lezten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden mehr neue Wahrheiten über die Außenwelt entdeckt, als in allen früheren Perioden zusammengenommen und infolge davon ging der fran­ zösischen Revolution, wie jeder andern großen Revolution, eine vollständige Umwälzung in den Gewohnheiten und Vorstellungen der Menschen voraus. Buffon starb am 16. April 1788, also

ein Jahr vor dem Ausbruch der Revolution.

( Fortsezung folgt.)

Deutsche Rechtssprichwörter. Von M. Wittich.

gesezt durch eine Stelle in Fischart's Podagoamischem Trost­büchlein, wo das altklassische Wahrwort: Erkenne dich selbst! durch 30, sage dreißig deutsche Sprichwörter desselben Inhalts

Mit sonderlicher Vorliebe habe ich von je mich hingezogen gefühlt zu den Kundgebungen des Volksgeistes, sei es nun in Sitte und Brauch, sei es in Sprache und Dichtung. Der fürzeste Auszug volkstümlicher Weisheit ist das Sprichwort, wiedergegeben ist. welches namentlich bei den Deutschen eine ungeheuer reiche Ent­

Wie in jeder Lebenslage dem welt- und volkskundigen Mann

faltung zeigt. Dieser große Reichtum wird sehr schön in's Licht ein Sprichwort zu rechter Zeit sich einstellt, so sind es nament­