lich auch die rechtlichen Verhältnisse, welche in der schriftlosen Zeit des ausschließlich mündlichen Rechtsverfahrens unserer Vor­ahnen durch zahlreiche passende mit dem Namen Rechtssprich wörter bezeichnete kurze Säze beleuchtet und zusammengefaßt werden. Diese Rechtssprichwörter wuchsen aus dem Volke heraus, wie das Recht zur Zeit der Schöffengerichte, wo Männer aus dem Volke das lebendige Recht des Volkes erteilten", und wo auf den Dingtagen wohl die Bejahrtesten in schweren Fragen den Ausschlag gaben, indem sie ihr Erkenntnis begründeten und jagten: Das haben die Alten auf uns gebracht und das weisen wir fortan für Recht"( von diesem Weisen kommt der Name Weistum fernhin maßgebendes Urteil aus beglaubigten Präce­denzfällen). Diesbezüglich heißt es in einem alten Rechtsbuche: Wann dieselben Männer ufgestanden, so sage inen, worauf deine Sache stehet, und wo du kannst ein Sprichwort anhengen, so tue es, denn nach Sprichwörtern pflegen die Bauren gerne zu sprechen."

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Das Rechtssprichwort ist genau zu unterscheiden von den Regulae juris, d. i. Rechtsregeln, auch kurze Merksäze, die aber nicht im Volk, sondern innerhalb der Rechtswissenschaft ent­standen sind. Andererseits ist oft genug von Sammlern solcher Wörter manches Sprichwort als Rechtssprichwort aufgenommen worden, welches nur allgemeine Regeln der Billigkeit gibt, aber nicht eigentliche Rechtsanschauungen. Schwankend ist freilich hier die Grenze, manches Rechtssprichwort ist ursprünglich eine Regulae juris, manches allgemeine Sprichwort mag im Rechts­verfahren zur Verwendung gekommen und dadurch eine Art Vetter des Rechtssprichworts geworden sein.

In folgenden Zeilen wollen wir eine kleine Anzahl der Rechtssprichwörter durchmustern, welche uns von gemeinem In­teresse zu sein scheinen, ohne dabei allzu haarscharf sondern zu wollen zwischen den eben genannten drei Gattungen, welche wie gesagt eben vielfach einander berühren und in einander über­gehen.

,, Gedanken sind zollfrei", rechtlich betrachtet will so viel be­sagen, als daß man wohl die Tat, ja den Versuch, nie aber die Absicht eines Unrechts bestrafen kann; freilich soll es in der Geschichte der Völker zuweilen verfolgungssüchtige Leute ge­geben haben, welche Gedanken und Gesinnungen zollen und zehnten oder strafen wollten. Dazu gehören auch die Richter, welche absehen von jenem anderen Saze:" Des Feindes Mund schaffet selten Fromm( Nuzen)". Tuen es die animosen" Zeugen nicht, so ist auch die Berufung auf die" Willkür" offen, d. h. Privatautonomie oder eine Abmachung, die außerhalb des übrigen weiteren Rechtes steht, eine Art Ausnahmerecht, von dem es heißt ,, Willkür bricht Stadtrecht, Stadtrecht bricht Landrecht, Landrecht bricht gemein Recht."

Verdächtig wie die ,, animosen" Belastungszeugen sind eben auch die dem Kläger   dienstlich verpflichteten Leute: ,, Wes Brod ich, des Lied ich fing!" Schwer ist der Beklagte anzugreifen bei Sachstreiten, wenn er im Besize des Streitgegenstandes ist: ,, Glücklich ist der Besizer", d. h. er ist in der günstigeren Rechts lage, da er nur zu entledigen hat, was der Angreifer erst an­zusprechen, an sich zu bringen und dann vielleicht auch noch zu verteidigen hat. Der Dichter des Wallenstein   spricht denselben Gedanken in einem Monolog aus, wenn er sagt: ,, Sei im Be­size und du wohnst im Recht."

Die Gerechtigkeit soll aber jedenfalls nicht darnach richten und blos den beatus possessor, den glücklichen Besizer, hören, sondern beide Teile. An der mittelsten Wand im Sizungs­zimmer des frankfurter   Rathauses, des sog. Römers, stand in Goethe's   Jugendzeit zu lesen:

,, Eines Mannes Rede Ist keines Mannes Rede,

Man soll sie billig hören beede."

Freilich schützt diese Vorsicht auch nicht vor Entscheidungen, bei denen einem Mephistos Pessimismus einfällt, und man ihm zu­stimmt in jene Klage von der Erbkrankheit der Geseze, von der Vernunft die Unsinn, von der Wohltat die Plage wird. Darum sagte der Römer ,, summum jus, summa injuria," d. h. ,, das

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| größte Recht ist das größte Unrecht." Cicero veranschaulicht diesen Saz durch ein Beispiel eines sophistischen Kriegführenden, der einen dreißigjährigen Waffenstillstand zu halten meint, auch wenn er die Nächte Feindseligkeiten übt mit dem Vorgeben, er sei nur für die Tage gebunden.

Feststehen unwidersprechlich auch die Säze: ,, Wo nichts ist, da hat der Kaiser das Recht verloren." ,, Man hängt keinen, man hätte ihn denn." ,, Besser ein magerer Vergleich, denn ein feistes Urteil," wenn mit dem lezten Saz die Herren Advokaten vielleicht auch nicht ganz einverstanden sein dürften. Wenn Schiller   in der Ballade: Die Bürgschaft" sagt: Ich stelle den Freund dir als Bürgen,

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Ihn magst du, entrinn ich, erwürgen," so schwebt ihm vielleicht das Wort vor: Bürgen soll man würgen." Das ist in ältester Zeit zuweilen ganz ernst zu nehmen, da man auch für kapitale Verbrechen Bürgschaft lei­stete. Im Schwabenspiegel tritt das Bürgen ganz und gar gleich für den ein, an dessen Statt er bürgt, so daß es ihm an's Leben gehen konnte; anderwärts zahlte er nur Wehrgeld und Wette. Daß der Gerichtsstand des Ortes in der Tat der nächstkompetente ist, will das Wort besagen: ,, Wo sich der Esel wälzt, da muß er Haare lassen."

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Mit der sonstigen Härte alten deutschen Rechtes steht im wohltuenden Gegensaz die milde Menschlichkeit des Rechtssprich­wortes: Drei sind frei." Dadurch wird der sog. Mundraub vom Diebstahl gesondert, und zumteil klingt darin vielleicht ein alt Stück Gemeinbesizrecht an Grund und Boden und seinen Erträgen durch. Im longobardischen Volksrecht des 7. Jahr­hunderts heißt es: Wenn jemand mehr als drei Tauben aus einem fremden Weinberg nimmt, so wird er mit 6 Schillingen gebüßt, hat er nur bis 3 genommen, so ist er nicht bußfällig." Ausführlicher sind die Vorschriften der Humanität und des gast­freundlichen Teilnehmenlassens ausgesprochen in einem Weistum von Twann   am Bielersee   v. J. 1426: ,, Der Bannwart mag 3 Trauben von dem nächsten Stück Reben, wo ihn Essenslust ankommt, nehmen, aber in demselben Herbst von demselben Stück nicht mehr. Einem fernkommenden Priester soll der Bannwart auch 3 Trauben geben, einer Frau mit Kind gleichfalls, der Frau 2, dem Kinde 1; einem Ritter, was an 3 Schossen steht; kommt ein Graf geritten und begehrt Trauben vom Bannwart, so soll er ihm den Hut voll geben."

Eine bekannte Regel bei überhängenden Zweigen von Obst­bäumen und dergleichen ist die, daß das, was nach der Seite des angrenzenden Nachbars fällt oder auch nur hängt, diesem lezteren folgt" d. i. angehört. Diese Eigentümlichkeit drückt das Sprichwort aus: Der den bösen Tropfen genießt, genießt auch den guten." Der böse Tropfen ist der Abfluß von Traufen und dergleichen, die sich der Nachbar von Nachbars   Hause unter Umständen gefallen lassen muß. Die Geschichte von bösen und guten Tropfen hat aber noch eine andere, weit wörtlichere recht­liche Bestätigung erfahren durch Fürst Waldemar von Neumark. Dessen Lehnsmann, der Schiffer Peter Wadephul, beschwerte sich einst, daß die Magistratsherren von Lipzehen ihm bei dem üblichen Umtrunk allzeit die Neige zuschöben von den Krügen, in welchen die Biersporteln der Schöffen umgingen. Obgleich nun unser Peter der jüngste Schöffe war, Tam vom Fürsten  folgende Entscheidung:

Wir, Waldemar von Gottes Gnaden Fürst der Neumark, verordnen hiermit für Alle und einen Jeden, die dieses Unser Mandat lesen werden, daß, nachdem Wir über die sich be­schwerende Klage Unseres getreuen Bürgers Wadephul aus Lip­zehen wider die dortigen Consule und Senatoren und das ihm zugefügte injuriöse Unrecht, wodurch er zum Austrinken der Neige gezwungen wird, befunden haben, so verordnen Wir hier durch ebenso gnädig als ernstlich, entgegen jenen städtischen Vor gesetzten, daß von jetzt an einem jeden Lipgehneschen Einwohner, aber auch Jedermann, folglich allen, welche die Neige austrinken werden, das Recht des ersten Austrunkes aus der frisch gefüllten Bierkanne zustehen soll. Derjenige, welcher diesem Befehle nicht nachkommen wird, hat zur Strafe 100 Groschen, die Hälfte in