einigen Königreiches konnte es selbstverständlich keine interessantere Unterhaltung geben, als alles das, was am Krönungstage so unverhüllt vor aller Augen geschehen war und zur schärfsten Kritik anregte. Die königliche Partei, die Hochtories, fühlte sich außerordentlich glücklich, ihren Herrn und Leitstern in so großer Pracht gesehen zu haben und das im Schweiße seines Antlizes arbeitende Volk betrachtete die Königin als ein Vorbild ihrer unterdrückten Partei. Sonst sah man sie täglich aus fahren, jezt hätte man es als eine überraschende Erscheinung betrachten müssen, ihre Equipage im Hydepark oder auf dem Wege dahin zu sehen. Es wurde bald stadtkundig, daß sie frank, schwermütig sei, sie nahm nur selten Besuche an und zeigte sich meist in Nachdenken versunken, aus dem sie sich nicht gern ermuntern ließ. Lady Hamilton unterließ nichts, wodurch sie glaubte, ihre königliche Freundin aufrichten zu können; indes sie war nicht sehr glücklich mit diesen Versuchen. Die kleinen harmlosen Nichten der Herzogin hatten ihre erheiternde Einwirkung auf das Gemüt der hohen Frau gänzlich verloren und ihre Tante hielt es daher für angezeigt, sie von der Königin
entfernt zu halten.
Nur zuweilen wechselte dieser triste Zustand auf kurze Dauer mit dem Anflug weiblicher Neugier, und sie fragte unerwartet nach dem oder jenem, was zu beantworten der Herzogin oft sehr schwer wurde, weil die stark verdüsterte Einbildungskraft der Königin sich mit ihren Erinnerungen mischte, die wie Träume plözlich Besiz von ihr nahmen.
Bu ihrer größten Ueberraschung hörte Lady Hamilton wenige Tage nach der Krönungsfeier des Königs ihre hohe Freundin, welche sich einem langen Sinnen überlassen hatte, plözlich die Frage aussprechen:„ Sie wollte ja ihre Heimat besuchen, wenn ich nicht irre... ist sie schon fort?"
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Wen meinst du?"
Mistreß Lucie, meine Landsmännin."
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" Ich weiß nicht, daß sie diesen Wunsch gehabt hat," antwortete die Herzogin. Mir hat sie nichts davon gesagt. In ihrer jezigen Stellung halte ich ihre Abwesenheit, wenn auch nur für eine sehr kurze Dauer, doch für unmöglich. Sie führt das Kassengeschäft, und das verlangt strenge Aufsicht."
Die Königin ließ ein kurzes Schweigen folgen, dann entgegnete sie in gütigem Tone:„ Es wäre aber doch wohl denkbar, daß sie mein Anerbieten gern annähme."
,, Ah, du willst ihr ein Anerbieten machen?" fragte Lady Hamilton mit Spannung.
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Meine gute Anna, ich bin jezt so sehr vergeßlich. Bedenke, was Schreckliches über mich hingegangen iſt. Ist es ein Wunder? Vor einem großen Volke, vor ganz Europa entehrt, gedemütigt werden! Nur England hat sich des Vorzugs zu rühmen, Königinnen sogar dem Henker geopfert zu haben... ,, Du vergissest Frankreichs Marie Antoinette ," wandte die Herzogin ein, die jedenfalls beabsichtigte, sie von diesem traurigen Kapitel abzuleiten.
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hielt sich gern mit dem neunzehnjährigen Jüngling, obwohl dies Glückskind, welches sie wie ein eigenes liebte, weder in seinem Aeußeren noch in seiner Umgangsweise etwas Angenehmes noch Einschmeichelndes besaß und stets die lebendige Ursache schwerer Verunglimpfung für sie gewesen war, indem es genug Leute aus der Klasse der Hochgeborenen gab, die William Austin als einen Sprößling geheimer Sünde der Prinzeß von Wales... damals schrieb man das Jahr 1802... bezeichneten. Nur eine Dame gab es, die von allem, was im Hause der Prinzeß vorging und dieselbe persönlich betraf, auf's genaueste unterrichtet und zugleich deren unverhohlene Feindin war... Lady Esther Stanhope , die vertraute Nichte des berühmten Staatsmannes Pitt, welcher als Beschüzer der Prinzeß die allgemeine Hochachtung besaß. Sie sprach es offen aus, daß William Auſtin, welcher der wirkliche Sohn der armen detforter Schiffsfrau sei, nur um deswillen adoptirt worden, um den Prinzen von Wales zu ärgern. Bei solchem gegenseitigen Haß des hochgeborenen Ehepaars, den es bei jeder Gelegenheit an den Tag legte, ist dieser Adoptionsgrund kein unwahrscheinlicher.
Die Herzogin Hamilton hätte gewiß nie geglaubt, daß mit der tiefen Ehrenkränkung ihrer königlichen Freundin wegen des verweigerten Eintritts in die Westminsterhalle noch eine Erinnerung aus lange verklungenen Jahren zusammenhänge, unter deren Wucht sie sich geistig gedrückt fühlte. Dies erfuhr sie erst aus dem Munde der Mistreß Lucie, welche infolge ihrer Aufforderung sich bei der Königin eingefunden und nach dieser Audienz der Lady Hamilton mitteilte, was der eigentliche Zweck der Besprechung der hohen Frau mit ihr gewesen sei.
Es klang sehr abenteuerlich, als Mistreß Lucie ihr erzählte, daß die Königin ihr einen Vorgang aus der Zeit ihres Brautstandes mit dem Prinzen von Wales mitgeteilt hatte. Der Ruf von dem wüsten, ausschweifenden Lebenswandel dieses Prinzen war an ihrem väterlichen Hofe zu Braunschweig ruchbar gewor den und hatte ihr unsägliche Angst eingeflößt. Eine im Dienste bei ihrer Mutter, der Frau Herzogin, ergraute Kammerfrau habe teilnehmend ihr versprochen, sie zur Abendzeit zu einem weisen Mann zu führen, welcher künftige Dinge weissagen könne. Und das sei auch geschehen. Er habe ihr gesagt: Sie werde nie eine Königin werden. In der friedelosen unglücklichen Ehe mit dem Prinzen sei dieser Spruch des Wahrsagers ein Trost für sie gewesen, denn sie hätte gehofft, ihr Gemahl werde bald das Zeitliche segnen. Nun wisse sie freilich, daß dessen Sinn nur sie angegangen, die geheimen Mächte hätten ihrer gespottet, ihr Name sei aus der Liste der Königinnen gestrichen. Sie müsse aus England fort, weder im Leben noch im Tode
dürfe hier ihres Bleibens sein.
Nach kurzer Pause schloß Mistreß Lucie mit dem Zusaze, daß die hohe Frau von dieser Erinnerung so sehr erregt gewesen, daß sie erschöpft in die Sophakissen zurückgesunken und kaum verständlich geäußert habe, sie allein zu lassen, sie bedürfe
der Ruhe.
Die Herzogin ließ eine Weile verstreichen, dann sprach sie: „ Mistreß Zecco, ich halte mich von ihnen überzeugt, daß Sie von dem schweigen werden, was die Königin Ihnen erzählt hat.
,, Marie Antoinette war ein Opfer der Volkswut, kein Opfer königlichen Blutdurftes," entgegnete die Königin und redete nach einer Pause weiter, als wäre sie nicht unterbrochen worden in der Anklage Englands:„ Meines Gemahls Majestät und seine Die ihr feindliche Partei würde darin Anlaß finden, Spott und hochtoristischen Lords sind sehr milde gegen mich verfahren und warfen mich nur dem Spott in die Arme
es ist dies nur
ein neumodischer Henkerstot. Jeder wird mir beistimmen, daß ich nicht einmal wünschen kann, hier in der königlichen Gruft dereinst zu ruhen. Bin ich solcher großen Ehre wert? ich eine beschimpfte ausgestoßene Königin! Nein, nein, und deshalb will ich fort von hier... nach Braunschweig ."
Hohn über die Aermiste zu bringen, und das hieße nichts anderes, als sie töten. Ich befürchte ohnehin, daß sie schon zu hart von der Bosheit ihrer Feinde getroffen ist, um sich je wieder von
diesem Schlage erholen zu können. Die Ursache, weshalb ich sie aufforderte, sich zu ihr zu begeben, bestand keineswegs darin, daß Sie mit der abenteuerlichen Geschichte aus der Zeit ihres
Jahren her
Brautstandes mit dem damaligen Prinzen von Wales bekannt werden sollten... ich kenne dieselbe schon von einer Reihe von sondern, weil sie Ihnen das Anerbieten machen wollte, fie auf einer Reise nach Braunschweig zu begleiten." " Davon hat sie kein Wort gegen mich geäußert," erklärte jene... und ich bin auch sehr froh, daß sie es nicht getan. Ich hätte ihr nur eine ablehnende Antwort geben können. Wie wäre es möglich, unser großes Kassengeschäft fremden Leuten zu
Es war recht unheimlich geworden im Hause der Königin. Die ſonſt ſo energische Frau verfiel einer Schweigsamkeit, die ihre Umgebung ängstigte, weil auch der geringste ihrer Diener gewöhnt war, von ihr freundlich behandelt zu werden. Ihre frühere Hinneigung zu Zorn und heftigem Wesen zeigte sich in eine ihr ganz fremdartige Stille übergegangen. Nur ihr Adoptivsohn, William Austin, das Kind einer armen Schiffersfrau zu Detford, erfuhr eine Ausnahme. Sie empfing ihn stets freundlich und unter überlassen!"