gelangte er zu der Ueberzeugung, daß Körper und Geist eines und dasselbe sind, daß, wie das gesammte Leben nichts ist als eine unablässige Folge von Bewegungen, welche von den ver­schiedenen einzelnen Organen ausgehen, so insbesondere die Ver­richtungen und Zustände der Seele und des Geistes nichts als Bewegungen und Empfindungen der Nerven und des Gehirns sind. Das Gehirn ist zum Denken bestimmt, wie der Magen zur Verdauung, die Leber zur Abscheidung der Galle aus dem Blute. Die Eindrücke, in das Gehirn tretend, sezen es in Tätigkeit, wie die Nahrungsmittel, in den Magen tretend, den Magen in Tätigkeit ſezen."

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Die Seele ist eine Fähigkeit, nicht ein Wesen. Und wie der Mensch, so sein Gott. Alle Erscheinungen des Universums waren, sind und werden immer sein die Folgen der Eigenschaften der Materie oder der Naturgeseze." Eabanis nahm auch regen Anteil an allen Bewegungen und Wechselfällen der Revolution und starb am 5. Mai 1808.

Unter seinen vielen Schülern und Nacheiferern erlangte die meiste Bedeutung Claude, Graf Destutt de Tracy  , welcher sich ebenfalls lebhaft an der Revolution beteiligte und noch als 76 jähriger fast erblindeter Greis, einen langen Stock in der Hand, die Barrikaden der Julirevolution bestieg.

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Der mehr berühmte als wirklich bedeutende Verfasser des Buches: Ueber den Geist", Claude Adrian Helvetius  , war im Jahre 1715 zu Paris   geboren. Mit 23 Jahren erhielt er schon die Stelle eines Generalpächters, welche ihm ein jährliches Einkommen von 50-60 000 Livres sicherte. Ein brennender Ehrgeiz verzehrte sein Inneres, und als im Jahre 1748 Montes­quieu's Geist der Geseze" erschien, bemächtigte sich sofort der große Plan seiner Seele, ein Werk zu schaffen, das ihn der­einst ebenbürtig neben Montesquieu   stellen sollte. Selbst an Ideen arm, suchte er dieselben bei andern; er legte seine öffent­liche Stellung nieder und schloß sich eng an Diderot   und den Kreis der Encyclopädisten an; es wird erzählt, wie er bald diesen bald jenen vereinzelt in eine Fensternische zog, Ideen von ihm zu erbeuten und nach fast 10 jähriger Anstrengung erschien 1758 sein Buch, das ihn schnell zum berühmten Mann machen sollte.

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Von Condillac's Erkenntnislehre ausgehend folgert er, weil alles aus der Empfindung stamme, könne nur die Selbstliebe und der persönliche Vorteil der Beweggrund der menschlichen Urteile und Handlungen, unser Ziel also nur die Lust und die Vermeidung der Unlust sein." Alle Menschen sind gleich ge­boren; alle haben dieselben Bedürfnisse und hinlänglich geschickte Sinne, um in den Gegenständen dieselben Beziehungen zu ent decken; nur die Leidenschaft befruchtet den Geist, Leidenschafts­losigkeit verdummt." Nach ihm ist die Erziehung wirksamer als die ursprüngliche Naturanlage; aber freilich gehört zur rechten Erziehung auch der rechte Staat. Der Despotismus fürchtet die geweckten Geister, deshalb kommt alles auf die Besserung

des Staates an.

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Das Buch wurde mit ungewöhnlicher Strenge verfolgt;

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auch einer von jenen Adeligen, welche energisch und rücksichtlos an dem Ruin ihrer eigenen Kaste arbeiteten, und François de Chasseboeuf  , genannt Volney, welcher u. a. unter dem Namen Ruinen" eine in glänzendem poetischen Stile gehaltene Glori fikation der Aufklärung und der Revolution, in welcher er den Versuch, die Vernunftherrschaft zu verwirklichen, sieht, schrieb. Ferner Naigeon, der sich namentlich durch Sammlung und Herausgabe der Werke Diderot's   ein bleibendes Verdienst er­warb und ein begeisterter Ateist war.

Sein Geistesbruder Sylvain Maréchal   verteidigte den Ateismus gegen den Vorwurf, er wirke demoralisirend.

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Beide Fanatiker des Ateismus" wie Dameron in seinen " Memoiren" sie nennt, waren troz ihrer Manie" edle und rechtschaffene Menschen, mildtätig und tolerant gegen Anders­denkende, freimütig und liebenswürdig im Umgang und von einer Einfachheit der Sitten, welche man bei der Mehrzahl ihrer gläubigen Widersacher vergeblich sucht.

Es konnte nicht ausbleiben, daß der Geist der vernichtenden Kritik, welche alles Bestehende angriff und über den Haufen zu werfen drohte, auch Männer hervorbrachte, welche das empor wachsende Gefühl der Gleichheit nicht blos staatsrechtlich, sondern auch wissenschaftlich durchführen wollten; welche in einer demo kratischen Verfassung, die den bestehenden Staat nur umbildete nicht aufhob, nicht das lezte Ziel und die höchste Vollendung menschlicher Gesellschaftsformen sahen. Am schärfsten und um fänglichsten spricht diese Ansichten ein Buch aus, welches im Jahre 1775 unter dem Titel Gesezbuch der Natur" erschien und welches lange Zeit für ein Werk Diderot's   gehalten wurde, als dessen wahren Verfasser aber man später den Abbé Morelly  

erkannte.

Der Grundgedanke ist, daß der Mensch von Natur gut und nur durch verkehrte Lehren und Einrichtungen verdorben sei; Besserung und vollkommene Glückseligkeit sei aber nur erreich bar durch Beseitigung der auf den Egoismus gegründeten Sitten­lehren und sozialökonomischen Einrichtungen.

Dieselbe Anschauungsweise vertrat Mably  , ein älterer Bru der Condillac's  . Mehr im Anschluß an das Bestehende, aber doch von demselben Streben und Denken nach allgemeiner Volts wohlfahrt beseelt, schrieben Turgot, der Abbé Galiani   und der Abbé Raynal  .

Raynal   war es auch, welcher es zuerst unternahm, die ver schiedenen Erscheinungen der französischen   Literatur seiner Zeit in fortlaufenden Mitteilungen zu besprechen und zu kritisiren. Er tat dies von 1747-1754. Von 1754 an stand aber Melchior Grimm  , geboren 1723 in Regensburg   und seit 1748 an der Spize des Unternehmens ein Deutscher, Friedrich in Paris  , wo er in enger Freundschaft mit Diderot  , d'Alembert  , Holbach 2c. lebte. Diese Correspondance litteraire" erſchien alle 14 Tage und wurde an die Abonnenten versandt, zu chen unter anderen Friedrich II.  , Catharina II.  , die Könige voll Polen   und Schweden  , viele andere Fürsten   und die bedeutend

wel

namentlich war die Geistlichkeit durch die harten Angriffe gegen die herrschende Erziehung gereizt; der Erzbischof von Paris   welche damals aus polizeilichen Gründen nur handschriftlich worunter auch die wichtigsten Schriften Voltaire's und Diderot's flagte Helvetius an wegen Leugnung der Seele, der Willens- liefen, in der freiesten Weise. Die Mannigfaltigkeit und Wich freiheit und des Sittengeſezes, sowie auf Unterwühlung des tigkeit der Gegenstände, die Beweglichkeit und Frische der Friedens in Staat und Kirche. Der Staatsanwalt bezeichnete sprechung, das regelmäßige periodische Erscheinen hielten felbft das Buch als einen Inbegriff der gefährlichsten Lehren, welche bei Männern wie Goethe   Neugierde und Aufmerksamkeit von jemals die Encyclopädie vorgetragen habe. Im Februar 1759 Sendung zu Sendung rege; und so erstreckte sich das Unter wurde das Buch auf Parlamentsbefehl öffentlich verbrannt, der nehmen bis in das Jahr 1790, d. h. bis zur Zeit, da die Königin bekleidete, und ebenso der Censor, weil er die Ge- sammenbrach. Gedruckt wurde diese Korrespondenz, diese für alte französische   Gesellschaft unter der Wucht der Ereignisse zu

in alle gebildeten Sprachen.

nehmigung zum Druck erteilt hatte, ihrer Aemter entsezt. Aber jeden Freund der franz. Literatur des 18. Jahrhunderts so gerade dadurch gewann das Buch eine ungeahnte Wichtigkeit. teressante und ergiebige Fundgrube, im Jahr 1812 und erschien In kürzester Zeit erfolgten 50 Auflagen; ebenso Uebersezungen seitdem in wiederholten Ausgaben, neuestens im Jahr 1877 Grimm war ein schwankender Karakter und diente verschiedenen Helvetius starb im Jahre 1771; obgleich eitel, war er doch Höfen als geheimer Agent, welche Stellung er seinen Freunden edel und wohltätig; seinen Freunden der liebreichste Freund, den verheimlichte, eine zeitlang war er Geschäftsträger der Stabl Frankfurt am franz. Hofe, dann bevollmächtigter Ministeri Weniger bedeutend sind: der Marquis von St. Lambert, Herzogs von Gotha  . Der Hof von Wien   ernannte ihn zum

Armen der aufopferndste Retter.

des