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Waren die Fürsten und der höhere Adel die Affen der Fran30sen, so quälten sich die Gelehrten ab als unverständige und pedantische Nachbeter und Nachtreter der alten Griechen und Römer und taten es in Verachtung deutschen Wesens und Vernach lässigung deutscher Sprache jenen womöglich noch zuvor. Dabei übernahmen die gelehrten Zöpfe mit größtem Diensteifer die Rolle der Speichellecker bei der hochgeborenen Gesellschaft, und bei jedem schlechten Streiche, bei jedem noch so schmachvollen Rechtsbrauche waren einzelne Männer der Wissenschaft wie ganze Fakultäten und Universitätssenate bereit, der Schande und dem Verbrechen der Großen den Mantel des Rechtes und der Gesezmäßigkeit umzuhängen.
Die Beamten waren natürlich ebenfalls in ihrer Mehrheit denkbar roh, gemein und servil. Und wo sie es noch nicht gründlich genug waren, machte sie der Fürsten Tyrannei dazu. Titel und Stellen waren zu kaufen, oft zu unverhältnismäßig hohen Pieisen, selbst die Aussicht auf Stellen von Leuten, die noch lebten, wurde in einzelnen deutschen Staaten verschachert, und um troz der unverschämten Kaufpreise noch tüchtig zu profitiren, benahm sich die Beamtenschaft gegen das Volk wie eine über das ganze Land organisirte, privilegirte Räuberbande.
Die tausendfach wechselnden, oft ganz verrückten Verordnungen, welche die Fürsten erließen, erleichterten den Beamten Willkür und Erpressung auf das äußerste.
So tat es u. a. das sinnlose Verbot der Baumwolle, welches Friedrich Wilhelm I. erließ.
Aus Verkaufsläden und Lagerräumen, aus allen Privathäusern und aus dem gesammten Gebrauch im Lande sollte urplözlich alles, was aus Baumwolle bestand, verschwinden, und so gab es nun die schönste Gelegenheit zu unaufhörlichen Haussuchungen und Belästigungen aller Art, aber auch zu Durchsteckereien, die natürlich immer Geld und wieder Geld fosteten.
Auf das Militär paßte zu jener Zeit so gut wie nur je in der Weltgeschichte das Wort von der vertierten Soldateska. Fand sich ja einmal ein besserer Karakterzug, eine edlere Regung bei einem Soldaten, so wurde sie durch die nichtswürdig schlechte Gesellschaft, in der er sich befand und die mit unmenschlicher Grausamkeit geschwungene Zuchtrute der Disziplin rasch genug bis auf die lezte Faser ausgerottet.
Auch unter den Offizieren waren die anständigen Menschen, die nicht ganz stupiden Gamaschenknöpfe in der verschwindenden Minderheit; insbesondere grassirte auch jene Gaunerei, die sich in der Beraubung der Regiments-, Bataillons- und Kompagnie= fassen und in unredlicher Begünstigung bestechungsluftiger Lieferanten dokumentirte, selbst unter den höheren Offizieren.
Weder an Verstand noch Karakter war bei den niederen Ständen, der Bürgerschaft und dem Bauernvolke, mehr zu entdecken, als bei den höhern Gesellschaftsschichten.
Die Unwissenheit war eine ungeheuerliche; sie wurde nur von der Feigheit und Servilität des Voltes erreicht, die beide gleichfalls fein Maß kannten.
Was das Volk aber bei weitem nicht so tief in den Pfuhl aller möglichen Laster versinken ließ, das war die Not, welche es zu angestrengtester Arbeit zwang, und der Mangel an der Gelegenheit, die sich dem adligen und geistlichen Bärenhäuter in mannigfaltigster Gestalt aufdrängte.
Eine Zeit, in der Rohheit und raffinirteste Sittenlosigkeit, totaler Bildungsmangel und gelehrte Pedanterie um die Herrschaft über die Geister streiten oder vielfach auch friedlich nebeneinander herrschen, kann keine große, geistvolle und von Edelsinn erfüllte Literatur aufzuweisen haben, sie wird und muß notwendig, soweit sie auf die Bezeichnung Zeitliteratur gegründeten Anspruch hat, den Stempel des Zeitkarakters an der Stirn tragen.
Und so finden wir denn in der Tat in den lyrischen und epischen Gedichten, den Dramen und Romanen jener Zeit, selbst in den Werken der didaktischen und historischen Prosa besonders ausgeprägt die Eigenschaften der raffinirten Sittenlosigkeit und der gelehrten Pedanterie wieder, welche ich unter den das geistige
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Leben im Anfange des 18. Jahrhunderts bezeichnenden Momenten hervorgehoben habe.
Dabei macht sich auch oft genug der Mangel an Wissen und die Rohheit der Anschauungsweise und Lebensführung geltend, doch treten diese beiden Eigenschaften in der Literatur weniger hervor als im Volksleben, weil da, wo sie unumschränkt und allein herrschen, von einem Bedürfnis nach literarischer Beschäf tigung oder Unterhaltung keine Rede war, nicht einmal von der Fähigkeit, sich um die Literatur zu kümmern.
Die große Masse des Volkes las nicht, denn sie konnte nicht lesen, und wo im Volke die Anfangsgründe des Lesens und Schreibens durch den jämmerlichen Schulunterricht notdürftig eingebläut waren, da begnügte man sich mit der Lefture fremder Historien oder alberner, schauerlicher Voltserzählungen.
Noch im Jahre 1765 konnte der seinerzeit berühmte Aestetifer Sulzer schreiben:„ Solange die Bücher blos in den Händen der Professoren, Studenten und der Journalschreiber sind, so dünkt es mich kaum der Mühe wert, für das gegenwärtige Geschlecht etwas zu schreiben. Wenn es in Deutschland ein lesendes Publikum gibt, das nicht aus gelehrten Professionsverwandten besteht, so muß ich meine Unerfahrenheit gestehen, daß ich dieses Publikum nicht kennen gelernt habe. Ich sehe nur Studenten, Kandidaten, hie und da einen Professor und zur Seltenheit einen Prediger mit Büchern umgehen. Dies Publikum, von dem diese Leser einen unmerklichen und wirklich ganz unbemerkten Teil ausmachen, weiß garnicht, was Literatur, Philosophie, Moral und was Geschmack iſt."
Der kleine Teil des Volkes nun, der überhaupt an der Literatur irgendwelchen Anteil nahm, lag zu Anfang des Jahrhunderts noch fast ganz in den Banden der zweiten schlesischen Dichterschule, die sich dadurch ausgezeichnet hat, daß sie die Gedankenarmut, Schwulst, die Unnatur, die Lüderlichkeit und den Unsinn auf den Gipfel getrieben hat.
Die erschreckende Gedankenleerheit bei abgeschmacktester, an Verrücktheit grenzender Phrasenhascherei, wie sie bei dem vielbewunderten Haupte der Schlesier, dem breslauer Bürgermeister Hoffmann v. Hoffmannswaldau geherrscht, kennzeichne nachstehendes Gedicht, betitelt:„ Abriß eines falschen Freundes", das wenigstens nicht, wie die meisten andern Dichtungen der Schule, widerlich roher Lüfternheit Ausdruck gibt:
Was ist doch ingemein ein Freund in dieser Welt? Ein Spiegel, der vergröst und fälschlich schöner machet, Ein Pfennig, der nicht Strich und nicht Gewichte hält; Ein Wesen, so aus Zorn und bittrer Galle lachet, Ein Strauchstein, dessen Glanz uns Schand und Schaden bringt; Ein Glas, an Tituln gut, und doch mit Gifft erfüllet, Ein Dolch, der schreckend ist, und uns zu Herzen dringt. Ein Heilbrunn( reiner Geist), aus dem Verderben quillet, Ein goldgestrickter Strang, der uns die Gurgel bricht; Ein Freund, der ohngefähr das Herze hat verloren, Ein Honigwurm, der stets mit süßem Stachel sticht; Ein weisses Henneney, das Drachen hat gebohren, Ein falscher Krokodil, der weinend uns zerreißt; Ein recht Sirenen- Weib, das singend uns ertränket, Ein Safft, der lieblich reucht, und doch die Haut durchleufft; Ein Mann, der uns umhalst, wenn seine Hand uns henket, Ein Gifftbaum voller Bluth, ein Moloch Musikant; Ein übergoldte Perl, ein Lock- Ast zu den Nöthen, Ein Apfel von Damasc ', ein falscher Diamant; Ein überzuckert Gifft, ein Irrlicht, uns zu tödten, Ein Pfeiffer in das Garn, ein Spötter unsrer Pein; Ein goldner Urtels- Tisch und eine faule Stüße, Ein Zeug, der bald verschleist, ein ungegründter Schein, Dem Teuffel allzusehr, dem Menschen wenig nütze. Ein mehres lässt mir jetzt die Ungeduld nicht zu; Mein Leser fleuch den Kram von solchen falschen Waaren, Was diesen Eifer- Reim erprest, das meide du: Ach, hätt' ich, was ich schrieb, nicht selber auch erfahren!
Gegen den hohlen Bombast, die Unnatur, Unvernunft und sittliche Verwilderung der schlesischen Poesie hatten sich allerdings Ausgangs des 17. Jahrhunderts eine Reihe von Schriftstellern erhoben, wie Christian Weise , Caniz, Besser, Neukirch, welche Einfachheit und Natürlichkeit der Sprache forderten und in An
Nr. 44. 1882.