Addisonschen Cato für das beste englische Trauerspiel hält, zeigt deutlich, daß er hier nur mit den Augen der Franzosen gesehen, und damals keinen Shakespeare, keinen Johnson, keinen Beaumont, keinen Fletscher 2c. gekannt hat, die er hernach aus Stolz auch nicht hat wollen kennen lernen.
Wenn man die Meisterstücke des Shakespeare mit einigen bescheidenen Veränderungen unseren Deutschen übersezt hätte, ich weiß gewiß, es würde von besseren Folgen gewesen sein, als daß man sie mit dem Corneille und Racine so bekannt gemacht hat. Erstlich würde das Volk an jenem weit mehr Geschmack gefunden haben, als es an diesen nicht finden kann; und zweitens würde jener ganz andere Köpfe unter uns erweckt haben, als man von diesen zu rühmen weiß. Denn ein Genie kann nur von einem Genie entzündet werden; und am leichtesten von so einem, das alles blos der Natur zu danken zu haben scheint, und durch die mühsamen Vollkommenheiten der Kunst nicht ab= schreckt.
Auch nach den Mustern der Alten die Sache zu entscheiden, ist Shakespeare ein weit größerer tragischer Dichter, als Corneille; obgleich dieser die Alten sehr wohl und jener fast garnicht ge= kannt hat. Corneille kommt ihnen in der mechanischen Einrichtung und Shakespeare in dem Wesentlichen näher. Der Engländer erreicht den Zweck der Tragödie fast immer, so sonderbare und ihm eigene Wege er auch wählt; und der Franzose erreicht ihn fast niemals, ob er gleich die gebahnten Wege der Alten betritt. Nach dem„ Dedipus" des Sophokles muß in der Welt fein Stück mehr Gewalt über unsere Leidenschaften haben, als " Othello ", als„ König Lear ", als" Hamlet " 2c. Hat Corneille
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ein einziges Trauerspiel, daß Sie nur halb so gerührt hätte, als die„ Zayre" des Voltaire? Und die„ Zayre" des Voltaire, wie weit ist sie unter dem„ Mohren von Venedig", dessen schwache Kopie sie ist, und von welchem der ganze Karakter des ,, Drosmans" entlehnt worden?
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Daß aber unsere alten Stücke wirklich sehr viel Englisches gehabt haben, könnte ich Ihnen mit geringer Mühe weitläuftig beweisen. Nur das bekannteste derselben zu nennen: Doktor Faust hat eine Menge Scenen, die nur ein shakespeare'sches Genie zu denken vermögend gewesen. Und wie verliebt war Deutschland und ist es zum Theil noch in seinen„ Doktor Faust !" Einer von meinen Freunden verwahrt einen alten Entwurf dieses Trauerspiels, und er hat mir einen Auftritt daraus mitgetheilt, in welchem gewiß ungemein viel großes liegt. Sind Sie begierig ihn zu lesen? Hier ist er! Faust verlangt den schnellsten Geist der Hölle zu seiner Bedienung. Er macht seine Beschwörungen; es erscheinen derselben sieben; und nun fängt sich die dritte ,, Scene des zweiten Aufzugs" an. Was sagen Sie zu dieser Scene? Sie wünschen ein deutsches Stück, das lauter solche Scenen hätte? Ich auch!"
Dies der ganze 17. der Briefe, die neueste Literatur betreffend, welche Adolf Stahr mit vollem Rechte die wichtigste und folgenreichste Erscheinung der Journalistik des 18. Jahrhunderts nennt.
Diese Literaturbriefe haben den Boden, aus dem die moderne deutsche Literatur erblühen sollte, gepflügt und von dem üppig wuchernden Unkraut gesäubert, und gleichzeitig mit vollen Händen den besten Samen weithin ausgestreut.
( Schluß folgt.)
I.
Edle Liebe.
Novelle
An jedem Abend um acht Uhr fünf Minuten pfeift und braust der Eisenbahnzug nach Süden an der Stadt Rome im Staate Missouri vorüber, um genau zu derselben Stunde und Minute Morgens in der entgegengesezten Richtung wieder vorbei zu pfeifen und zu sausen. Das Pfeifen und Brausen der Lokomotive hat dort einen ganz eigentümlichen, herausfordernden, spöttischen Ton. Die sechshundert Einwohner der Stadt, welche mit der stolzen Stadt an der Tiber nichts als die sieben Hügel gemein hat, was keineswegs ausschließt, daß sie später auch einmal groß und berühmt werden kann, meinen, der auffällige Ton werde durch den Widerhall der sieben Hügel hervorgebracht. Andere sind der Ansicht, die Lokomotive wundere sich immer von neuem, weshalb diese guten Leute da in dem ärmlichen gottverlassenen Nest noch immer sizen und nicht lieber mit Sack und Pack sich allzumal aufsezen und geichviel ob nach Norden oder Süden verduften. Der Zug hält zwar regelmäßig zwei Minuten am winzigen Stationsgebäude in Rome an, wirst einen schwindsüchtigen Briefbeutel aus, der außer Zeitungen und amtlichen Erlassen höchstens alle acht Tage einen Brief enthält, und läßt sich ebenso oft ein ledernes Gefäß zuwerfen, in dem wiederum Plaz genug für ein halbes tausend Briefe ist. Daß ein Passagier hier ein- oder aussteigt, ist ein Ereignis und tommt höchstens zur Herbstzeit vor, wenn die Ernte heimgebracht ist. Die Stationsbeamten lungern gähnend und ärgerlich über die Störung, wenn der Zug vorbeibraust, an den Türen und an den Fenstern, auf dem einsamen Perron, stieren dem Zuge mit schläfrigen Augen entgegen und schleichen dann in ihre Bureaus zurück, um die neuen Zeitungen zu durchblättern und, wenn diese der Postbote in Empfang genommen hat, die Köpfe auf die Arme gestüzt, weiter zu schlafen oder über ihren beneidenswerten Dienst nachzudenken.
Nur der Beamte am Schalter hat es nicht ganz so leicht wie die andern, wenigstens kann er sich nicht sofort und ungestört dem Nachdenken über den Dienst überlassen. Seit zwei Jahren erscheint jedesmal pünktlich eine halbe Stunde nach Abgang des Zuges der Neger des Obristen Peter Bluff am Schalter, um zu fragen, ob nicht etwas an Obrist Peter Bluff aus Germany da sei. Es ist nun zwar seit zwei Jahren nie etwas an Peter Bluff aus Germany da, aber der Neger kommt immer wieder regelmäßig, wie der Eisenbahnzug, angetrottet und erhält immer wieder dieselbe Antwort, es mag regnen oder schneien, dreißig Grad über oder unter Null sein. Er kam immer, er kam auch heute.
Es war Ende Februar 1870. Tagüber hatte es furchtbar gestürmt und geregnet. Der Wind zwar hatte aufgehört abends, aber die Luft war feucht und voll dicken rheuma= tischen Nebels. Die sieben Hügel sah man nur, wenn man mit der Nase daran stieß, und der Turm der Metodistenkirche sah in diesem Nebelschleier unbeschreiblich vornehm und gespensterhaft riesig aus, weil er sich in die graue himmlische Unabsehbarkeit verlor. Die ungepflasterten Straßen, in die sich alles Wasser, was die sieben Hügel nicht gebrauchen konnten, ergoß, glichen eben so vielen sanft hinrieselnden Bergbächen und blieben in dieser ungehörigen Verfassung, bis sich die Wasser, wie nach der Sündflut, allgemach verliefen. Es war ein wüster Schmuz, ein dicker dunstiger Nebel in Rome, daß sich kein Hund auf die Straße wagte, er müßte denn durch einen unabweisbar friedlichen oder kriegerischen Impuls zum Ausrücken genötigt sein, wie das allerdings auch bei den Hunden in Rome bisweilen vorkam. Nur der Eisenbahnzug brauste unbekümmert und gleichgültig um Rome und seine Nebel, wie Eisenbahnzüge es zu tun pflegen, in der unwirtlichen Atmosphäre vorüber. Aber richtig nach einer halben Stunde stand des Obristen Peter Bluff Neger am Schalter.