wie lange aber? An ihren noch ganzen Fenstern zogen dicke Rauchwolken und Glutschein der Flammengarben hin. Alle starrten nach diesem wilden Treiben des entsezlichen Elementes hinauf. Erschöpft von der Anstrengung der Rettungsarbeiten standen die Männer, während einige Sprizen Wassermassen emporschleuderten, um dem Weitergreifen des Feuers da oben Einhalt zu tun, rat- und tatlos dem sich in Eile fortpflanzenden Unglücke gegenüber, da gellte ein Schreckensschrei plözlich aus vieler Munde.

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, Herrgott im Himmel, erbarme dich!... da oben... im zweiten Stocke... Heiland der Welt!... ein Mensch!... ein Mensch!"... rief man durcheinander. Es war keine Täuschung. Man hatte eine weiße, vom Glutschein beleuchtete Gestalt ge= sehen, welche eins der Rouleaux aufzog, und dann, die Hände wie in Verzweiflung über Kopfhöhe rang, als sänke sie vor Schreck in die Kniee, wurde ihre Gestalt von einer vorüber sich wälzenden Rauchwolke verhüllt.

Der allgemeine Schreck war so groß, daß ein unheimliches Schweigen die Menge wie in einem Bann gefangen hielt, dessen Dauer jedoch nur kurz war, indem er mit der Verflüchtigung der Rauchwolke endete und der Glutschein vom Feuer aufs neue, die, wie es schien, zum Feuertode Verurteilte beleuchtete. Man sah die Unglückliche ihre Arme an dem Fenster empor­strecken, wahrscheinlich um es aufzuwirbeln. Bei dieser ver­geblichen Anstrengung fiel ihr eine reiche Haarfülle über Schul­tern und Brust. Ein Frauenzimmer aus der Menge rief mit starter, schneidiger Stimme:" Du, mein Herrgott, soll denn das arme Wesen da oben so elendiglich vor unseren sichtlichen Augen verbrennen? Das wäre ja für unsere Stadt eine ewige Schande. Hat keiner unserer Männer Mut, es zu retten?"

Fast schien es so, denn niemand meldete sich; aber eine Stimme machte sich hörbar:" Ich... ich hole sie herunter... legt die Rathausleiter an." Der das rief, war ein junger Bursche von hohem, schlanken Wuchse, anscheinend ein Feuer­arbeiter, denn er trug eine schwarze, kurze Bluse.

Totenstille lagerte auf der Zuschauermenge, von der man ohne Uebertreibung hätte sagen können, daß sie bei dem Wag­stück des Jünglings sich von Angst um ihn durchschauert fühlte. Die von vielen Händen gehaltene Leiter schwankte zuweilen im Zuge des Sturmes so arg hin und her, daß es recht augen­scheinlich schien, er werde diesen verwegenen Aufstieg mit seinem jungen Leben bezahlen müssen. Als er die Höhe bis zum Fenster erreicht hatte, wollte der Freudesturm der Menge los­brechen; aber eine gewaltige Männerstimme rief über aller Häupter hin: Ruhe da! Jezt kommt erst das Schwerste... bittet Gott , daß er ihm dazu Kraft gebe!" Allgemeines Schweigen folgte dieser Mahnung des Bürgermeisters. Für einen Augenblick zitterten alle Hinausschauenden, denn der Retter, als er fast die vorlezte Sprosse erreicht hatte, schien vom Schwindel erfaßt zu werden, man sah, wie er sich ängstlich an­flammerte; aber es war nur für eine Sekunde, dann hob er sich zur obersten Stufe hinauf und hatte damit einen Einblick ins Zimmer gewonnen. Da war es aber doch gerade, als zöge ihm jemand die Leiter unter den Füßen weg, er schwankte so sichtbar, daß einige Schreckenslaute aus der untenstehenden Volksmenge hörbar wurden, indes das Schlimmste, was man für ihn befürchtete, ging ohne Unglück vorüber... er blieb fest vor dem Fenster stehen, mit den Händen sich an ein paar ziem lich starken Eisenhaken festhaltend, welche im Sommer ein Blu­menbeet trugen, was zur Winterszeit natürlich weggenommen wurde, da es nur mit einer Schicht Schnee belastet worden wäre. Als er durch das Fenster in das Zimmer hineinblickte, fühlte er sich von einem ungeheuren Schrecken ergriffen. war der fast tötliche Schreck, mit dem ihn der Blick ins Zimmer hinein überwältigt hatte, daß er fast den festen Halt verloren. Fast inmitten des wohnlichen Raumes, in unbeschreiblicher Angst vor dem ihr drohenden Tote, sah er Gretchen, seines Prinzi­pals einziges zwölfjähriges Töchterchen, in die Kniee gesunken und erkannte zugleich in ihrem Gesicht und an ihren im stummen Hilfeflehen emporgestreckten entblößten Armen, mit welcher ent­

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sezlichen Krankheit sie behaftet war, um derentwillen ihr Vater ihren Aufenthalt im Hause verheimlicht, sie von allem Verkehre abgesperrt hatte. Obwohl den Jüngling ein eisiger Schauer durchrieselt, verlor er doch den Mut nicht. Er schlug mit der Hand an den Fensterrahmen, das Klirren des Fensters machte sie aufmerksam in der sie überkommenden Bewußtlosigkeit, sie wollte sich aufrichten, fiel aber, zu schwach dazu, zu Boden. Ohne Zögern zerstieß er die unteren Scheiben, es gelang ihm den inneren Wirbel aufzudrehen, beide Flügel flogen auf und mit einer Kraftanstrengung, wie sie nur die Verzweiflung er­möglicht, schwang er sich über den Fenstersims ins Zimmer.

Nach einer Weile sah man ihn mit der Unglücklichen auf dem Arme erscheinen. Ein hoher Tritt und ein Stuhl darauf mußte am Fenster stehen, denn er stellte die von ihm Getragene auf lezteren, wodurch man erst gewahr wurde, daß es keine er wachsene Person, sondern ein Kind sein könne. Nun kam für ihn das Schwerste, auf die Leiter... hinauszusteigen; aber es gelang ihm. Feuer und Rauch, die ihm hätten hinderlich sein können, wurden von ihm fern gehalten, die Sprizen arbeiteten mit einer fabelhaften Eilfertigkeit. Glücklich hob er die Aermste zu sich heraus. Man sah, wie sie vor der Tiefe, in die sie vielleicht einen Blick hinabgeworfen, angstzitternd ihre Arme um seinen Hals schlang und ihr mit Pusteln bedecktes Gesicht an das seinige drückte. Hatten sich auch die Sturmstöße an Zahl und Kraft gemindert, so war der Rückweg aus der Höhe doch noch sehr gefahrvoll, die Leiter geriet mehremale in höchst be­denkliche Schwankungen, indes er erreichte glücklich den festen Boden; aber es war auch die höchste Zeit, geistig und körper­lich waren seine Kräfte zu übermäßig angespannt, eine schwere Ohnmacht umschleierte seine Sinne. Als er von der lezten Sprosse herunter trat, brach er zusammen, und Gretchen würde mit ihm zu- Boden gestürzt sein, wenn nicht im nämlichen Au­genblicke Doktor Wolfgang sie von dem Falle zurückgehalten und dann seinen weitfaltigen warmen Tuchmantel um sie gelegt und mit Unterstützung eines Arbeiters der Apoteke die Bewußtlose in diese hineingetragen hätte, wo man sie auf ein stehen ge­bliebenes Sopha bettete.

Ein stürmisches Freudengeschrei der diesem Rettungswerke beiwohnenden Wenge stieg himmelan.

7. Ein einsamer Mensch.

Zu denjenigen Revolutionen, welche damals mit den in Deutschland ausgebrochenen Aufständen in Reih und Glied sich stellten, gehörten auch die stürmischen Tage von Göttingen , welche nach einer Dauer von 168 Stunden so elendiglich ver­liefen, daß sie für die Göttinger Chronik durchaus nicht als Ehrentage zu registriren waren. Geredet, geschrieben, gesungen und aufgespielt wurde viel, die Marseillaise , die Parisienne und God save the King wurden bei vollständiger Beleuchtung der Stadt auf dem Rathause und auf dem Markte abgesungen, der am 8. Januar 1831 aus Bürgern und Studenten gebildeten Nationalgarde zur Ehre. Der nächste Tag, ein Sonntag, sah die Entstehung eines Gemeinderates, und der folgende Tag bot einen etwas sehr unruhigen Anblick. Bürger und Studenten waren bis an die Zähne bewaffnet und die Marseillaise wurde wieder aufgespielt. Jener Landdrost von Nieper, der, wie man nachgerade erfuhr, von Osterode die Gefangenen in Ketten nach Hannover hatte bringen lassen, tam mit einem starken Deta= chement angerückt und wäre fast als Geisel in Göttingen fest­gehalten worden. Man begnügte sich indes, ihm die Marseil­ laise so oft als möglich zu Gehör zu bringen. Und daß auch das Komische nicht fehle, dafür sorgten die Herren Professoren der Universität. Sie forderten mitten in dem Trubel, wo jeder mit Dolchen, Pistolen und Waffen aller Art ausstaffirt umher­lief, mittels Anschlägen unaufhörlich die Studenten zum Besuch der Kollegien auf, bis ihnen endlich verboten wurde, Kollegien zu lesen.