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Josef Garibaldi.

Kaum war Palermo   genommen, so stellten sich auch Ab­gesante der Parteien ein; Mazzini   kam selbst, um den Diktator vorwärts zu treiben; La Farina kam im Auftrage Cavours, um Garibaldi   für die sofortige Annexion Siziliens   an Piemont zu gewinnen. Jezt, wo etwas zu gewinnen, war die sardinische Regierung natürlich wieder am Plaze. La Farina wünschte von Garibaldi   die Ausweisung Mazzini's aus Sizilien  , allein Gari­ baldi   willigte nicht ein, erklärte dem Agenten Cavours, er habe nicht die Vergrößerung Sardiniens  , sondern ein einiges Italien  als Ziel, und ließ endlich La Farina, als dieser mit seinem Drängen nach Annexion Zwiespalt in das Ministerium brachte, aus Sizilien   ausweisen.

Natürlich lag der Gedanke nahe, von Sizilien auf das Fest­land überzusezen und gegen Neapel   zu ziehen. Der morsche Staat war am Zusammenbrechen, ganze Truppenteile, sogar Kriegsschiffe gingen zu Garibaldi   über. Ende Juli schrieb Viktor Emanuel   an Garibaldi   und rieth ihm ab, das Festland zu be­treten; der Diktator aber erwiderte: Die Bevölkerungen rufen mich; ich würde die Sache Italiens   auf's Spiel sezen, wollte ich nicht folgen. Erlauben Sie mir, Ihnen in diesem Falle nicht zu gehorchen."

In Messina   hatten sich die Neapolitaner in bedeutender An­zahl gesammelt und stark verschanzt. Wieder rückte Bosco mit starker Truppenmasse aus, aber nur, um von Garibaldi   in dem Treffen von Milazzo   in der Nähe von Messina   völlig geschlagen zu werden. Milazzo   wurde von Garibaldi   im Sturm genommen und Bosco in einem Fort eingeschlossen, wo er kapituliren mußte. Infolge dieser Niederlage und bei der Unzuverlässigkeit der Truppen unternahm es der neapolitanische General Clary, der in Messina   stand, garnicht, diese Stadt zu verteidigen; er besezte nur die Citadelle und brachte seine Mannschaft auf das Festland. Man schloß einen Waffenstillstand ab und die Stadt Messina  - ohne Citadelle kam in Garibaldis   Hände.

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Während in Neapel   der Belagerungszustand erklärt und dadurch der von Garibaldi gehoffte Aufstand verhindert wurde, herrschte in ganz Europa   die größte Spannung, wo der kühne Freischaarenführer den Fuß auf das Festland sezen würde. Man sprach wohl auch hie und da von Intervention; sogar von europäischer Intervention, über welche in der Tat auch ver­handelt wurde aber es kam nichts dergleichen. Die neapolis tanische Regierung ergriff die verzweifeltsten Maßregeln; sie bot sogar Sardinien   ein Bündnis an, mit Gebietsabtretungen ver­süßt; Sardinien   lehnte ab. Man rieth dem König zur Ab­dankung und um die Sache komisch zu machen, erschien auch noch ein Enkel des 1815 erschossenen napoleonistischen Königs Joachim Murat   von Neapel  , der Prinz Lucian Murat, auf dem Schau­plaze, und bot sich als ein Unterpfand für die Wohlfahrt Neapels  " an. Alles umsonst; die Folgen so vieler Mißregierungen machten sich geltend, und als Garibaldi   den Fuß aufs Festland sezte, brach das Bourbonenreich krachend zusammen.

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Nachdem erst der Major Missori, ein kühner Parteigänger, mit 40 Mann sich nach Calabrien in die Berge geworfen und mit den dortigen Insurgenten vereinigt hatte, folgte am 19. August Garibaldi   selbst mit zunächst 5000 Mann. Vorher hatte er noch einen verwegenen Handstreich unternommen und war auf einem Schiffe mit 1000 Freiwilligen vor Neapel   erschienen, wo er ein dort ankerndes Kriegsschiff überfiel, aber nicht nehmen konnte. Neapel   erhob sich nicht, wie Garibaldi   gehofft hatte, und so fuhr er anderen Tags wieder ab. Unterwegs nahm er ein englisches Schiff auf, das ihm 30 000 Gewehre und 15 ge­zogene Kanonen brachte.

Die Erfolge Garibaldis   hatten nun auch Cavour soweit gebracht, daß er am 28. Juli an Persano schrieb: Man lasse Garibaldi   nur machen; das Unternehmen darf nicht halbwegs stehen bleiben. Die auf Sizilien aufgepflanzte nationale Fahne muß durch Neapel   hinaufziehen und sich längs der Küste des adriatischen Meeres entfalten, bis sie die Königin des Meeres

( 4. Fortsezung.)

deckt." Jezt, da die Gefahr einer fremden Intervention vorüber schien, billigte man das Unternehmen, vor dem man Garibaldi  öffentlich gewarnt hatte. Was wäre wohl aus Italien   geworden, wäre Garibaldi   auch so zaghaft gewesen!

In Calabrien   rückte Garibaldi   wie im Sturmschritt vor­wärts gegen Neapel  . Reggio   wurde im ersten Anlauf genom­men und man rückte auf der großen Heerstraße weiter, nachdem die übrigen Korps Garibaldis   gleichfalls gelandet waren. In einem der vielen Scharmüzel dieser Tage fiel Paul de Flotte, bekanntes Mitglied der französischen legislativen Versammlung und ein Opfer des Staatsstreichs von 1951. Calabrien befand sich bald ganz im Aufstand; die Erhebung wurde so allgemein, daß sich sogar ein Priesterbataillon von 800 Mann bildete. In Monteleone wurde eine starke Abteilung Neapolitaner ein­geschlossen und gefangen. Die Armee des Generals Vial löste sich von selbst auf, als Garibaldi   heranrückte; die Armee in dem befestigten Lager von Salerno   war in einem Zustande, daß man keine Schlacht mehr wagen konnte und die Position auf­gab. Mit 30 000 Mann marschirte Garibaldi auf Neapel  , dessen König am 15. Juli von 80 000 Mann sich hatte Treue schwören lassen.

Der Sieger schrieb nach Neapel   und ließ es dort durch Maueranschlag bekannt machen, daß er am 8. September ein­ziehen werde. Franz II  ., der erst kurz zuvor die Verfassung von 1848 verliehen hatte, ohne daß sich jemand im mindesten darum kümmerte, beschloß dem Diftator zu seinem Einzuge den Plaz zu räumen und verließ Neapel   am 6. August, um seine Armee zwischen Capua   und Gaëta   zu konzentriren. Garibaldi  fuhr seinen Truppen mit der Eisenbahn voraus und hielt schon am 7. September seinen Einzug in Neapel  , obschon dort noch 8000 Mann Truppen standen. Agenten Cavours hatten in Neapel   tüchtig vorgearbeitet; Garibaldi   wurde mit unbeschreib­lichem Jubel empfangen. Er gab dort seine Parole: Italien  und Viktor Emanuel  ! aus und blieb bei derselben politischen Taktik, die er eingeschlagen hatte, nämlich Viktor Emanuel   als die Verkörperung der Einheit Italiens  " zu proklamiren, dem es zukomme, an der Spize des einheitlichen Italiens   zu stehen. Welche politische Ansicht man auch haben mag, man wird zu­geben müssen, daß diese Taktik eine kluge war, denn ohne die­selbe wäre der ganze Siegeszug von Marsala bis Neapel   eine Unmöglichkeit gewesen und einer rein republikanischen Erhebung hätten sich die Volksmassen sicherlich nicht so einmütig ange­schlossen. In Neapel   sprach sich Garibaldi   über seine Absichten deutlicher aus. Nur in Rom  ", sagte er, kann Viktor Emanuel  als König von Italien proklamirt werden!" Er wollte von einer Annektion nichts wissen, bevor nicht ganz Italien   geeint sei und wies mehrere an ihn gelangende Anträge heftig ab.

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Nun aber, nachdem Neapel   besiegt, war der Kirchenstaat  in Gefahr und von verschiedenen Seiten wurde Sardinien   mit Krieg gedroht, namentlich Napoleon III  . tat, als könne Frank­ reich   ohne den Papst nicht existiren. Nur England nahm eine forrekte Haltung ein und dies gab den Sardiniern den Mut, in die Marken des Kirchenstaats einzufallen. Bei Castelfidardo schlug Cialdini die buntlappige päpstliche Armee unter Lamori­cière am 18. September 1860. Napoleon   hatte inzwischen richtig seinen Gesanten von Turin   abberufen Die Franzosen   hielten das römische Gebiet besezt und garantirten so die weltliche Herr­schaft des Papstes, wenn auch Ancona   von Cialdini eingenommen und Umbrien   und die Marken besezt wurden.

Inzwischen hatte Garibaldi   die neapolitanische Flotte an den Admiral Persano übergeben, aber von dem Anschluß der beiden Sizilien an Piemont wollte er noch nichts wissen. Er fing an mißtrauisch zu werden und glaubte oder ahnte, man werde in Turin   alles Mögliche tun, um einem Angriff auf den Kirchen­ staat   seinerseits und der daraus entstehenden Verwickelung mit den Franzosen zuvorzukommen. In diesem Augenblick schien es, als wolle sich Garibaldi   mit Mazzini   und Ledru- Rollin  ,