Hatte er mir am 1. Januar 1877, noch unter der wohltuenden Nachwirkung des Aufenthaltes im Ostseebad, mutig und vertrauensvoll in die Zukunft blickend, geschrieben:" Der erste Federstrich im neuen Jahr ist Ihnen gewidmet. Der Wind heult und braust, er schüttelt die altershohen Bäume im gegenüberliegenden prinzlichen Garten, und ich will nur wünschen, daß uns das Schicksal nicht auch so am Kragen nimmt. Somit denn Glück auf! zum neuen Jahr. Im Laufe der Zeit hat man ein rauhes Fell bekommen, wenigstens, was meine Person anbelangt. Kommt es, nun, so macht dies nach dem Volksausspruch der Kaze auch keinen frummen Buckel. Schon gewöhnt, sagte der Bäcker, als er mit der Kaze den Ofen ausfegte."
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So wurde denn
der Ton seiner Briefe immer trüber. Es stimmte ihn immer wehmütiger, wie er einen alten Freund nach dem anderen ihm im Tode vorausgehen sah." In lezter Zeit bin ich gleichsam der Totengräber für ehemalige Freunde geworden, auf dem Felde der„ Gartenlaube", Ueber Land und Meer"," Illustrirte Zeitung " 2c., Ferd. Stolle, Herwegh , Freiligrath , Herbert König u. f. f. Und am 6. März 1878 fchrieb er: Meine Brust ist hin, das Atmen wird mir immer schwerer, und ich will froh sein, wenn ich Ende d. W. das Manuskript für D. J. in B. fertig habe, der meine sämmtlichen humoristischen Gedichte verlegen will. Man sichtet und verwirst, man wird strenger
mit sich."
Im Winter 1878,79 zog er sich noch überdies infolge einer Erfältung einen schweren Magentatarrh, sowie eine Kehlkopfentzündung zu, die ihn bis in den Mai hinein an das Bett fesselten. Erst in den lezten Tagen dieses Monats vermochte er zum erstenmal wieder in's Freie zu gehen.
Immer dringender wiederholt er nun seine Bitte, ich möchte ihn in dem„ schönen Elbflorenz" selbst aufsuchen, damit wir uns ausplaudern" könnten. Im September 1879 traf ich endlich in Dresden ein, wohin ich vor allem auch in der Absicht gereist war, dem ersten deutschen Schriftstellertag beizuwohnen.
Es war eines Nachmittags, als ich das einfach, aber behaglich ausgestattete Arbeitszimmer des herzlich verehrten Mannes betrat.
Lernen wir uns endlich persönlich kennen!" waren die ersten Worte, die er mir zurief, indem er mir beide Hände entgegenstredte und die meinen herzhaft drückte. Vor mir stand ein langer, in einen Schlafrock gehüllter Mann mit seelenvollen, sprechenden Augen, mit blassem Gesicht, das deutlich die Spuren angestrengter geistiger Arbeit trug und einen eigentümlichen Zug milden, wehmütigen Ernstes zeigte. Er führte mich an das Sopha, stellte Cigarren auf den vor uns stehenden Tisch und lud mich ein, zu rauchen, und nun begann zwischen uns ein lebhaftes Gespräch.
Wenn zwei Schriftsteller beisammen sind, so sprechen sie von ihren Verlegern, meinte schon Heinrich Heine , und so drehte sich nach einem furzen hin und her über unsere persönlichen Angelegenheiten auch unser Gespräch um diesen im Leben des Autors so wichtigen Punkt. Er konnte in dieser Hinsicht aus einer reichen Erfahrung reden und hatte mir schon vorher in seinen Briefen mancherlei interessantes daraus mitgeteilt. Sein Urteil über die Verleger war nicht das wohlwollendste, und man mußte ihm, nach dem, was er im Verkehr mit solchen alles erlebt hatte, recht geben, wenn man bei dem heutigen Stand des Buchhandels, bei der Erbärmlichkeit der Absazverhältnisse desselben, gerade in unserem gesegneten Deutschland auch jene nicht für die ganze Misere des Autorenstandes wird verantwortlich machen wollen. Das ergözlichste, was er gegen mich schon einmal brieflich geäußert hatte, war die, wie er mir ausdrücklich versicherte, in voller Wahrheit bestehende Mitteilung, daß die Namen seiner ersten Verleger- Hunger, Kummer und Sorge gelautet haben.
Nachdem wir eine Weile geplaudert, sah ein mittelgroßer, fast kleiner, vom Alter etwas gebeugter Mann aus der Tür des einen Nebenzimmers herein. Drobisch ersuchte ihn, näher zu kommen, und der dritte, in dessen Gesellschaft ich mich nun noch befand, war der greiſe Romanschriftsteller Franz Lubojazky, der, durch früheres häusliches Unglück schwer wie selten ein Sterblicher heimgesucht und nun ganz allein in der Welt stehend, seit vielen Jahren die Wohnung mit dem Freunde teilte. Eine ehrfurchterweckende Erscheinung, dieser echte Soldat der Feder, dessen Romane sich schon unsere Mütter und Großmütter aus der Leihbibliotek holten. Mit wie vieler Mühe hat er sich das Leben täglich auf's neue erobern" müssen. Mehr als 300 Bände hat er geschrieben, und doch stand er, der Vierundsiebenzigjährige, als ich ihn im vorigen Jahre zum leztenmal sah, noch in voller geistiger Kraft vor mir. Es ist derselbe, aus dessen Feder die„ Neue Welt" unter dem von ihm schon öfter angewendeten Pseudonym ,, Franz Carion" soeben einen neuen zweibändigen Roman veröffentlicht!
Nahezu zwei Stunden mochten verflossen sein, als ich mich von den beiden greisen Berufsgenossen- auch Lubojasty offenbarte mir ein ungemein schlichtes, freundliches Wesen, eine der reinsten Saiten auf der Harse der Menschheit", nannte ihn Drobisch bereits früher in einem Schreiben an mich- verabschiedete und das einfache Bürgerhaus in der Pirnaischenstraße verließ. Aber am Abend sahen wir uns wieder und ich plauderte mancherlei ernstes und heiteres mit Drobisch; so auch in den nächsten Tagen, wo ich namentlich auf einer herrlichen Elbfahrt nach Meißen unvergeßlich schöne Stunden an seiner Seite genoß...
Unsere persönliche Begegnung hatte das Freundschaftsband zwischen uns nur noch mehr gefestigt. Um so mehr schmerzte es mich, schon im Januar 1880 von ihm die Mitteilung zu erhalten, daß ihn am 15. Oktober des vorhergehenden Jahres abermals ein Brust- und
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Magenkatarrh bis zum 21. Januar an Bett und Zimmer gebannt. Es war wieder ein tief wehmütiger Brief, den er mir diesmal schrieb, ein Brief, der fast ergreifend die ganze Biederkeit und Aufrichtigkeit seines Karakters, die Wärme und Reinheit seines Gemüts aussprach. ,, Als ich im November so frank lag," lauteten seine Worte, dachte ich an ein Scheiden von dieser Welt und sah im Geist meine Grabschrist, die mich an die Pyramide des Cestius in Rom erinnerte, wo zu lesen ist: Ein treues Herz, ein treues Herz, cor corduum, eine liebe, gute, treue Haut, wie ihn Byron nannte..." Troz seiner Krankheit hatte er in diesen Monaten abermals ein humoristisches Werkchen geschrieben. ,, Wenn ich krank bin, schreibe ich mich gesund," bemerkte er darum wieder. Und dann fuhr er fort: ,, Sie werden sich wundern, daß ich immer gewisse Stellen unterstreiche. Dies erinnert mich an Saphir , als ich 1852 zu Baden bei ihm drei Wochen als Gast verkehrte. Er sagte: Das verdammte Unterstreichen, die gesperrte Schrift, liegt mir in den Fingern, weil ich im Leben immer mißverstanden worden bin. Ein gleiches möchte ich auch von mir sagen." Und nun kam er wieder auf die Verleger zu sprechen. Als einen gleichen Lumpen habe ich auch den X-" er nannte den Inhaber einer heute sehr großen Firma, nachdem er vorher von einem anderen ebenfalls renommirten Buch,, kennen gelernt, der mir im Jahre 1849 durch händler gesprochen sein Ueberlaufen mit schiefgetretenen Absäzen, kreuzgeflicter Hose die Stube schmuzig machte und sich jezt vom Schweiß und Blut armer Schriftsteller Paläste gebaut hat. Doch hinweg von solchen Schattenseiten, es wird ja nicht lange mehr währen; ich fühle es, mein Grab wird schon unruhig. Leben Sie wohl, oder mittelmäßig, wie es Zeit und Verhältnisse wollen."
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Drobisch war mir bei unserm Zusammensein als ein zwar körperlich angegriffener, aber doch nicht so schwer leidender Mann erschienen, daß ich mich auf Nachrichten, wie ich sie jezt von ihm empfing, hätte gefaßt machen können. Sein Brustleiden nahm eine immer schlimmere Wendung, und ein heftiger Husten hinderte ihn häufig am Schreiben. Im Februar 1881 lag er wieder drei Wochen lang ganz danieder ,, da soll einer Humor haben," bemerkte er dabei, und im Mai desselben Jahres widerfuhr ihm der Unfall, durch eine in den Abendstunden unvorsichtigerweise offen gelassene Kellertür acht Stufen hinabzustürzen und sich eine Flechsenverrenkung und Muskelfaserzerreißung zuzuziehen, wodurch er wiederum sechs Wochen lang das Bett zu hüten genötigt war.
Nichtsdestoweniger traf ich ihn Mitte September wieder wohl auf und in alter Frische des Geistes und Munterfeit des Herzens. Er framte wieder die hübschesten Sachen aus dem unermeßlichen Schaze seiner Erinnerungen heraus. Dann sprachen wir von der Biographie ,, Graben Hoffmann's", die er für die„ Neue Welt" zu schreiben gedachte, seine Feder ,, noch reicher und humoristischer als die Lortzing'sche,"
hat sie noch zu Papier gebracht, aber es sollte sein Abschied sein von den Lesern der„ Neuen Welt", die ihm inzwischen so lieb geworden war. Es war ein ruhiger, milder Herbstabend, er begleitete mich von der Restauration, in der wir zusamengesessen, bis an das Haus, wo ich Einkehr halten wollte, hier standen wir plaudernd noch minutenlang, dann reichten wir uns die Hand, es war zum leztenmal.
Am 1. Oktober beging er noch in aller Stille, doch durch zahlreiche Beweise der Liebe und Anerkennung erfreut und geehrt, das Jubiläum seiner fünfzigjährigen Schriftstellertätigkeit; ich schrieb ihm dann noch einmal ein paar flüchtige Zeilen, aber seine Antwort, die sonst immer so rasch eintraf, blieb aus, er vermochte die Feder nicht mehr zu führen.
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Die Leiden in den lezten Monaten vor seinem Tode sind furchtbare gewesen. Sein durch diesen herben Verlust selbst im innersten erschütterte Freund Franz Lubojazzky teilte mir darüber folgendes mit: " Drobisch starb einen schmerzhaften Tod. Er war von einem wütenden Blasenkatarrh und zugleich von Lungenzellenerweiterung heimgesucht; ein vierzehntägiges Röcheln war das einzige, was man unausgesezt Tag und Nacht von ihm hörte. Nach der zweiten Operation( wegen des Blasenleidens) starb er, doch nicht an der Operation, denn sie gelang. Seine Kräfte waren aufgezehrt, und der Tod schloß am 15. April früh halb 7 Uhr seine entsezlichen Dualen.... Tiefe Stille folgte dem entsezlichen Röcheln, welches dem Geräusch einer Sägemühle glich. Nun ruht er in Frieden, schmerzlos. Fahre wohl, alter Freund!...." So endete ein grausamer Tod das mühevolle, fleißige Leben eines edlen Menschen!
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Unter denen, die sein Grab umstanden, war wohl keiner, der ihn
nicht in den Gefühlen aufrichtigster Freundschaft und Verehrung zur lezten Ruhestätte geleitet hätte; einen sichtbaren Beweis, wie sehr der Verblichene auf die Herzen anderer gewirkt, konnte man an seiner Gruft darin erblicken, daß sich unter den Leidtragenden, meist Vertreter der Preſſe, Literatur und des Teaters, auch einer befand, der mit dem Dichter persönlich im Leben niemals in Berührung gekommen, sondern lediglich aus Sympatie für sein literarisches Schaffen einen Lorbeerkranz an seinem mit reichem Blumenschmuck gezierten Sarg niederzulegen sich gedrängt fühlte. Ergreifend war es, wie der greise Lubojazzky an das offene Grab trat und, überwältigt vom Schmerz, das Auge mit Tränen gefüllt, dem Freunde mit der Hand voll Erde, die er auf den Sarg hinabstreute, den lezten, innigen, tiefempfundenen Gruß spendete. Neben Sem alten Hausgenossen trauern in Drobisch's früherer nächster Umgebung noch um ihn seine Gattin und eine junge blühende Tochter.
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