dann aber riß er den jungen Mann mit stürmischer Freude an sich.„ Mein Wolfgang... du bist es?!" rief er unter Tränen. " Ist es denn möglich, daß du in dies Haus des Unglücks Eingang gefunden hast? Und wie? Und wie?"
„ Ei nun, wer gute Freunde hat, sezt manches durch, was gar nicht möglich scheint," antwortete Wolfgang lachend.„ Sie, mein würdiger Herr und Freund, scheinen ganz vergessen zu haben, daß Miß Arabella, Madame Burleighs Tochter, meine Verlobte ist. Mutter und Tochter sind die guten Geister dieses Hauses und ganz besonders für Sie eingenommen. Arabellas edles Herz und ihrer Mutter Beihilfe haben den Major zu der Zustimmung bewogen, daß Sie Gretchen wiedersehen durften, und ich danke es ebenfalls beiden, jezt Ihnen gegenüber zu stehen. Ich hatte brieflich gegen die Miß, meine Verlobte, den Wunsch ausgesprochen, mit Ihnen einmal sprechen zu können, um von Ihnen diejenigen Weisungen zu empfangen, die Sie für die neuen Einrichtungen in unsrer Apoteke nötig hielten. Ich empfing von ihr die schriftliche Antwort: ich solle in kurzen Worten meinen Besuch zum Neujahrsfest bei ihr anmelden. Das geschah von meiner Seite pünktlich, obwohl ich mir nicht enträtseln konnte, wozu diese Einladung? Sie wurde mir indes gestern Nachmittag vollständig klar, als ich im Auftrage des Herrn Majors von Madame Burleigh die Zuschrift mit der Bitte erhielt, mit Arabella bei dem heutigen Festschmause, den er dem Herkommen nach seinen Beamten und deren Familien auszurichten habe, teilzunehmen. Die vollkommene Aufklärung erfuhr ich jedoch erst heute von meiner Verlobten. Sie hatte natürlich ihr Erscheinen ohne mich abgelehnt, weil es sehr beleidigend für mich sein müßte, wenn sie eine anderweite Einladung annähme, dagegen meine Anwesenheit unberücksichtigt lasse... so gelangte ich denn zu der Ehre, Gast des Herrn Majors zu sein."
" Sehr gut, sehr gut," stimmte Doktor Philipp bei.„ Sage deiner Verlobten meinen Dank dafür." Nach einer Pause fragte er:„ Hast du Gretchen gesehen... und gesprochen?"
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Beides... ja."
" Ist sie heiter?"
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„ Ich glaube es," antwortete Wolfgang.
Du glaubst es? Ich verstehe nicht, wie das gemeint ist." O, mir war es, als ich in das Zimmer trat, das man den jungen Mädchen, Töchtern der Beamten, ihren Mitschülern im Pensionat, zu deren alleiniger Unterhaltung angewiesen hat, als blicke sie recht fummervoll vor sich nieder, als ich aber unbemerkt hinter sie trat und sie beim Namen nannte, wendete sie ihr freundliches liebes Gesicht, in dem nur sehr wenige Spuren der Blattern geblieben sind, rasch nach mir um und... bei Gott, ich glaubte, es würde von der aufgehenden Sonne beschienen, so überglänzte es die Freude mich zu erblicken. Ihre Fragen betrafen Sie und Eugen, ihren Lebensretter. Sie war sichtbar glücklich, von mir Auskunft über beide Fragen zu erfahren, insoweit ich nämlich über diejenige, welche Sie betraf, ihr soviel mitteilen konnte, als ich selbst von meiner Verlobten gehört hatte und den Umständen nach doch auch nicht zu den schlimmsten Nachrichten gehörten."
„ Auch nicht zu den freudenreichen, mein Sohn," bemerkte Doktor Philipp ironisch.„ Du hast aber recht getan, wenn du ihr das Bild meiner jezigen Existenz nicht Grau in Grau geschildert hast. Warum dem armen Kinde das Herz schwerer machen, als es schon ist? Wie armselig der Mann, dessen Kind ihn in der Züchtlingsjacke gesehen! Kann es eine größere Demütigung für einen Vater geben, als dies Bewußtsein zu haben? Nein, nein!... Mein armes Gretchen, du hast volle Ursache, dich meiner zu schämen." Der von diesem schweren Selbstvor wurf Erschütterte bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen... Wolfgang blieb eine Weile ruhig bei ihm stehen, dann neigte er sich zu dem Sizenden nieder und erinnerte ihn, daß seine Zeit gemessen sei und er wieder zur Gesellschaft zurückkehren müsse, um dem ihm argwöhnisch scheinenden Direktor nicht Anlaß zu geben, auf ihn aufmerksam zu werden.
" Ja, ja, du hast recht, mein Sohn. Was hast du mir noch Was hast du mir noch mitzuteilen?" fragte Doktor Philipp.
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Wolfgang zog ein zusammengefaltetes feines Blatt Papier aus der Brusttasche seines Fracks und ihm dies in die Hand drückend, flüsterte er ihm zu:„ Verbergen Sie es. Es ist der Auszug unserer Einnahmen und Ausgaben. Die Rechnungsbelege und betreffenden Quittungen habe ich sorgsam verwahrt zu Ihrer, dereinstigen Durchsicht. Eugen weiß darum für den Fall, daß mir etwas menschliches zusticße. Auf ihn ist sicherer Verlaẞ."
„ Wie peinlich rechtschaffen seid ihr!" rief Doktor Philipp. „ Ich fürchte nur, daß ein anderer eure Mühe nuzlos macht! Vergeßt nicht, daß ich noch drei Jahre Zuchthaus durchzumachen habe... das ist eine lange Zeit."
Ehe Wolfgang darauf etwas erwidern konnte, öffnete sich die Tür und Madame Burleigh rief leise herein:„ Rasch, Doktor Wolfgang, rasch in mein Zimmer.. Arabella ist daselbst. Mein Bruder, der Major, scheint Ihnen nachzuspüren. Er darf Sie hier nicht finden."
In wenigen Minuten saß Doktor Philipp allein in dem Vorzimmer, den Elnbogen auf den Tisch gestüzt, den Kopf in die hohle Hand gelegt, also ganz in der Stellung eines vom Schlummer Ueberraschten. Es war ihm nicht entgangen, daß jemand durch's Nebenzimmer sich nahe, er hörte die Tür vorsichtig aufflinken... er hatte sich nicht getäuscht, es war der Major, dessen schnaufendes Atemholen ihn verriet.„ Er schläft," sagte er halblaut zu sich..., kann sich absentiren. He, er da, Doktor! für heute ist er entlassen gehe er!"
" Zu Befehl, Herr Major." Damit verließ der Schlaftrunkene das Zimmer.
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Wäre der junge Doktor bei ihm gewesen, würde er sicher nicht eingeschlafen sein," brummte der martialische Herr vor sich hin. Also keine Teufelei hier untergelaufen... traue meiner Nichte sonst nicht viel gutes zu."
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Der Neujahrstag hatte mit dem schönsten Wetter begonnen, mit dem Winterfeste sich überhaupt je einstellen können, eine milde Kälte ohne Schneegestöber, ohne Sturmessausen und doch jeweiliges Erscheinen blauen Himmels; aber schon am Tage Melchior, der mit seinen Gefährten Kaspar und Balthasar die lange Prozession der Jahrestage auf die Wanderschaft führt, begann ein schlimmer Wetterwechsel, der mit kurzen Unterbrechungen beinahe bis über die erste Hälfte des März hinausdauerte, dann aber Beruhigung der Elemente brachte und einen schönen April anbahnte, der wohl hin und wieder launisch, aber immer bald wieder mit warmen Sonnenschein und linden Lüften die vom langen, häßlichen Winterwetter verdüsterten Menschenherzen erfreute.
An einem der lezten Märztage empfing Miß Arabella Burleigh einen Brief mit dem Poststempel „ London ." An der Handschrift der Adresse erkannte sie dessen Absenderin, und die Ahnung, daß der Inhalt des Schreibens ihr viel Freude bringen werde, überleuchtete ihr Gesicht wie von Sonnenschein umflossen. Der Inhalt des von ihr hastig erbrochenen Briefes lautete:
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„ Meines Herrn Vaters Königliche Majestät hat meine Vermählung mit Viscount Falkland, nachdem alle Hindernisse, welche derselben entgegenstanden, fast sämmtlich beseitigt sind, für die Zeit von Ostern bis Pfingsten fest bestimmt, und ich bin sehr froh, daß diese mir so unangenehmen und mich zuweilen recht bitter kränkenden Familienstreitigkeiten nun gehoben sind. Einen Wunsch habe ich noch, den ich erfüllt ſehen möchte, und da er dich betrifft, so zweifle ich nicht, daß du ihn erfüllen wirst, du bist ja meine gutherzige, liebe Bella, meine einzige, wahrhafte Freundin... ich möchte dich noch einmal sehen und Abschied von dir nehmen. Wenn ich mit meinem Gemahl von hier nach Bombay abreise, liegt ja eine halbe Welt zwischen dir und mir... das bedenke, Bella! Der günstigste Bufall enthebt dich jeder möglichen Reisebeschwerde nach hier. Herzog von Cambridge, euer hannoverscher Vizekönig, wird anfangs der Charwoche zum Zweck notwendiger Bespre chungen über Einführung wichtiger Reformen in eurem Lande