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Ehrenrettung des Esels.
Bon Dr. Wilhelm Leucht.
Ehrenrettungen sind längst in die literarische Mode gekommen. Scharfsinnige Forscher und hervorragende Schriftsteller stellen sich die gewiß sehr respektable Aufgabe, die Aften von Persönlichkeiten, über welche Klio's Gerichtshof längst sein Schuldig" ausgesprochen hat, aufs neue gründlich zu untersuchen, in der Absicht, den Beweis ihrer Unschuld zu führen und ihre Namen von dem üblen Geruch zu befreien, den sie Jahrhunderte lang ausgeströmt haben. Die renommirtesten Bösewichter der Geschichte sind nicht davor sicher, eines schönen Tages von ihrem Pranger, der ihnen durch Zeit und Gewohnheit vielleicht so lieb geworden ist, wie ein ruhmbeglänztes Piedestal, in feierlichem Triumph hinweggeführt und den Tugendhelden eingereiht oder gar mit dem Ehrenkranz verkannter Größen gekrönt zu werden. Mit Tiberius , Lufrezia Borgia, Tilly, Pastor Göze und anderen sind derartige Experimente bereits gemacht worden, jogar Orestes mußte sich neuerdings gefallen lassen, von einem Dr. Siegert sein dreitausendjäh= riges Renommée als Muttermörder angefochten zu sehen, und man darf wohl erwarten, daß auch die Herren Thersites, Herostrat, Nero, Rinaldo Rinaldini, Schinderhannes und Konsorten noch an die Reihe tommen, sowie Damen vom Schlage der Medea , Klytämnestra , Mesfalina, Lady Macbeth, Katharina von Medici , Pompadour ihre Ritter finden werden. Je größer der Schuft, desto mehr Anspruch hat er auf Ehrenrettung, desto ruhmreicher ist es, Mohrenwäsche an ihm vorzunehmen. Und wie inbezug auf den moralischen Karakter, so auch hinsichtlich der Intelligenz. Wer bürgt uns z. B. dafür, daß die Abderiten wirklich Abderiten waren und nicht vielmehr ein Ausbund
von Scharfsinn und Wiz, um dessentwillen sie von den Athenern, die feinen Nebenbuhler neben sich dulden wollten, verschrieen wurden. War doch der grund verständige Philosoph Demokrit , der über alle menschliche Torheiten gelacht hat, was gewiß das Gescheiteste ist, ein Bürger der guten Stadt Abdera , und ebenso müssen jedem gewissen haften Geschichtsforscher über die Einfalt der guten Schildbürger ge= rechte Bedenken aufsteigen. Sogar des Tierreichs hat sich die Ehrenrettungswut bemächtigt, z. B. des Maulwurfs, des Regenwurms, worüber Karl Bog's Vorlesungen über verläumdete und verkannte Tiere zu vergleichen, und es ist nicht undenkbar, daß auch die Ratte, die Trichine, die Wanze, der Bandwurm, die Laus und andere Gottesgeschöpfe gleicher Art ihre Ehrenretter finden werden. Kein Bürger im ganzen Tierreich aber scheint gegründetern Anspruch auf Ehrenrettung zu haben, als der vielverachtete, vielgeschmähte, vielgeschlagene Ejel, und ich habe mir vorgesezt, meine literarischen Sporen an ihm zu verdienen und ihm zu derjenigen Reputation zu verhelfen, die ihm von Gottes- und Rechtswegen gebührt. Den nächsten Anlaß hiezu gab mir folgende Mitteilung aus dem Tierreich in einer Tierschuzzeitschrift, überschrieben:
Etwas vom dummen Esel.
Ein spanischer Landmann, welcher eine der Vorstädte Madrids bewohnte, hatte während langer Zeit die Gewohnheit, sich täglich zur Stadt zu begeben und einen mit Milchkrügen für seine Kundschaft behängten Esel mit sich zu führen. Eines Tages war der Bauer krank, und seine Frau schlug vor, den Esel allein die gewohnte Tour machen zu lassen. Sein Herr stimmte zu, die Körbe mit den Milchkrügen wurden dem Efel umgehängt, an ihnen ein Stüd Papier befestigt, welches die Kunden sich selbst nach ihrem Bedarf zu bedienen und die Krüge und Körbe wieder hineinzustellen bat. Der Esel ging fort und fam nach Verlauf einer bestimmten Zeit mit den leeren Krügen an ihren Pläzen zurüd. Der Eigentümer des Esels hörte nachher, daß; der Esel an der Türe jedes seiner Kunden still gestanden, ohne sich ein einzigesmal zu irren, und daß er, wenn man ihn hatte warten lassen, die Hausglocke mit seinen Zähnen gezogen habe.
Aus dieser Erzählung, an deren Wahrhaftigkeit kein Grund zu zweifeln vorliegt, geht hervor, daß der Esel keineswegs so dumm ist, als er aussieht, und sie legt sogar den Gedanken nahe, daß er im Grunde ein verkapptes Genie ist, das, wie die Ironie, tiefe Weisheit unter der Maske der Torheit verbirgt.
Ich könnte noch manche ähnliche Begebenheit anführen; der wahren Gelehrsamkeit gilt jedoch die Autorität der Alten weit mehr als die Erfahrung der Neueren und ein einziges gelahrtes Zitat wiegt ein Duzend empirischer Belege auf. So sei denn vor allem darauf hingewiesen, daß es im Altertum feineswegs als Injurie angesehen wurde, wenn man jemand einen Esel nannte, sondern daß der also Titulirte sich vielmehr in hohem Grade geschmeichelt und geehrt fühlte, so daß das Attribut Esel etwa soviel besagte, wie heutzutage„ Euer Wohlgeboren." An der Spize unseres Beweisverfahrens siehe, wie es sich gebührt, das Buch der Bücher, die Bibel. Da lesen wir im Buche Genesis im 49. Kapitel, daß der Patriarch Jakob seine Söhne, die Stammväter des Volkes Ifrael, vor seinem Tode segnete. Wie noch heute seine Nachkommen ihre Geschlechtsnamen dem Tierreiche zu entlehnen lieben, so hat der sterbende Erzvater seinen Söhnen mit Vorliebe ( woher es vielleicht rühren mag, daß die Juden so viel Löwenmäßiges ich haben), den Dan eine Schlange, den Naphtali einen schnellen Hirsch, den Benjamin einen reißenden Wolf und den Isaschar-
einen Esel: Fiaschar, ein knochiger Esel, gestreckt zwischen den Hürden." Auch der Fürst von Sichem , der Vater des verliebten Prinzen, dessen Abenteuer mit Jakobs einziger Tochter den männlichen Einwohnern von Sichem nicht nur ein Stück Haut, sondern noch das Leben kostete, wie gleichfalls im Buche Genesis zu lesen, hieß Chamor, d. h. Esel. Bei anderen semitischen Völkern mußte die Bezeichnung„ Esel" gleichfalls als ehrenhaft gegolten haben, wie hätte sich sonst der tapfere Kalif Merwan II. den„ Esel Mesopotamiens " nennen lassen? Ich möchte niemand raten, auch nur das kleinste europäische Potentätchen den Esel seines Ländchens zu nennen. Aber auch bei den Indogermanen mußte früher der Esel in gleichem Ansehen gestanden haben; vergleicht doch Homer den Ajax , Sohn Telamons, mit diesem Tiere:
Wie wenn zum Feld ein Esel sich drängt und die Knaben bewältigt, Trägen Gangs, auf dem viel Stecken zerscheiterten ringsum; Jezt eindringend zerrauft er die Saat tief; aber die Knaben Schlagen umher mit Stecken; doch schwach ist die Stärke der Kinder, Und sie vertreiben ihn kaum, nachdem er mit Fraß sich gesättigt: Also schwärmt um den Held, den Telamonier Ajas, Mutiger Troer Gewühl und fernberufener Helfer, Die auf den Schild die Lanzen ihm schmetterten, immer verfolgend. ( Jl. 11, 558-565.)
Wie würde ein moderner Poet anlaufen, wenn er von einem preuBischen Offizier singen würde, er drang vor oder konzentrirte sich rückwärts wie ein Esel.
Sogar ein Philosoph, Kleantes, erklärte sich für einen Esel, weil er die Bürde seines Meisters Zeno trage. Wie manche Philo- und Teosophen, welche gleichfalls die Bürde früherer Autoritäten schleppten, hätten sich nach diesem Vorgang Esel nennen dürfen, vielleicht mit größerem Rechte als Kleantes.
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Am meisten Ansehen scheint der Esel bei den alten Indiern ge nossen zu haben, denn in den Vedas, besonders im Rigveda , werden ihm glänzende Attribute beigelegt. Auch glauben die Indier, welche der Lehre von der Seelenwanderung( Metempsychose) huldigen, daß die Seelen der Fürsten und Vornehmen nach dem Tode des Leibes in die Leiber von Eseln einwandern in Europa scheint mitunter das Gegenteil der Fall zu sein und eines der angesehensten Geschlechter Hinterindiens leitet seine Abkunst von einem Esel ab. Uebrigens hieß auch ein römisches Geschlecht Asinus, und der Vertraute des Julius Cäsar und des Augustus, C. Asinius Pollio , der ausgezeichnete Redner, Dichter und Historiker, der Gründer der ersten Bibliotek in Rom , schämte sich dieses Namens keineswegs. Aber auch noch im späten Mittelalter lebte in Schwaben ein adeliges Geschlecht, das sich Esel von Eselsburg schrieb, und noch zeigt man an der Brenz in Würtemberg die Ruine der Eselsburg, wo dieses Geschlecht einſt hauste.
Man ist fast versucht, anzunehmen, daß der Esel in Folge der Verachtung, welche ihn von Seiten seines Mittiers, der den Namen homo tragenden Spezies der Primaten, so viele Jahrhunderte hindurch unverschuldet getroffen hat, degenerirt sei, und fein Geringerer als Oken spricht sich für diese Ansicht aus. Er schreibt:„ Der zahme Esel ist durch die lange Mißhandlung so heruntergekommen, daß er seinen Stammeltern fast gar nicht mehr gleicht. Er bleibt nicht blos viel Kleiner, sondern hat auch eine mattere aschgraue Farbe und längere, schlaffe Ohren. Der Mut hat sich bei ihm in Widerspenstigkeit verwandelt, die Hurtigkeit in Langsamkeit, die Lebhaftigkeit in Trägheit, die Klugheit zur Dummheit, die Liebe zur Freiheit in Geduld, der Mut in Ertragung der Prügel." In der Tat soll der südliche Esel, vermöge der größeren Sorgfalt, die ihm stets zuteil wurde, ganz anders geartet sein als der unsrige. Besonders der egyptische Esel ist nach Brehm ein schönes, lebendiges, außerordentlich fleißiges und ausdauerndes Geschöpf, das in seinen Leistungen gar nicht weit hinter dem Pferde zurücksteht, ja in mancher Hinsicht dasselbe noch überbietet, so daß es keineswegs eine Blamage wäre, vom Pferd auf den Esei zu kommen. Vom arabischen Esel, welcher der schönste seiner Gattung sein soll, schreibt Bogumil Golß ganz begeistert:„ Etwas Nuzbareres und Braveres von einer Kreatur, wie dieser Esel, ist nicht denkbar. Der größte Kerl wirft sich auf ein Exemplar, das oft nicht größer als ein Kalb von sechs Wochen ist, und sezt es in Galopp. Diese schwach gebauten Tiere gehen einen trefflichen Paß; wo sie aber die Kraft her= nehmen, stundenlang einen ausgewachsenen Menschen selbst bei großer Hize im Trabe und Galopp herumzuschleppen, das scheint mir fast über die Natur hinaus in die Eselmysterien zu gehen."
Indessen behauptet ein Dichter, Richard Roos:
Daß es ein kräftiger Geschlecht von Menschen wie von Tieren Einst gab, läßt sich nicht wegphilosophiren. Doch sonderbar
Und dennoch wahr,
All' ausgegrabenen Riesenknochen es bekunden:
Nie hat man größere Esel noch als jezt gefunden.
Jedenfalls aber muß das Geschlecht des Esels in früheren Zeiten zuweilen ganz merkwürdige Exemplare hervorgebracht haben. Unter
1889