wurde, welche Kur im Mittelalter auch in Europa   sich einbürgerte. Aus dieser ausgedehnten Praxis des asinus medicinalis erklärt es sich, daß die ärztlichen Doktordiplome früher auf Eselshaut- Pergament aus­gestellt wurden.

Aber nicht nur natürliche, sondern auch übernatürliche Kräfte wurden dem Esel früher zugeschrieben. So z. B. erzählt Diogenes Laertes  , daß der als Seher, Wundermann und Zauberer berühmte Philosoph Empedokles  , den Einwohnern von Agrigent  , die von bösartigen Stürmen heimgesucht wurden, den Rat erteilte, Säcke von Eselshaut auf die Gipfel der Berge zu bringen, wodurch die schädlichen Winde gebannt würden, eine Wirkung, die noch jezt von den ortodoxen Juden den Palmzweigen, die sie an ihrem Laubhüttenfest nach allen Seiten bewegen, beigelegt wird. Bedenkt man, daß der Philosoph Empedokles  sich selbst als einen unsterblichen Gott besingt( Ed. Karstens v. 389 ff.), so klingt dieser eselhafte Exorzismus garnicht unglaublich. Noch mehr; nach dem alten Schriftsteller Elian trug ein Esel an seinem Halse eine Art Amulet  , welches die Eigenschaft hatte, die ältesten Greise wieder jung zu machen. Besagtes Amulet   wurde von Zeus   demjenigen ver­sprochen, der den Prometheus  , welcher den Gott der Götter bekanntlich geprellt hatte, in seinem Versteckt auffinde. Als einmal der Esel an einer Quelle seinen Durst löschen wollte, fand er diese von einer Schlange belagert, welche ihm den Zutritt verweigerte, bis ihr der Esel das Amulet   gab. Dadurch erhielt die Schlange die Kraft, sich alljährlich durch Häutung zu verjüngen.

Eselsmilch könnte man eigentlich den Wein heißen, so gut wie Milch der Greise, denn der Esel soll nach einer Tradition den Menschen die Pflanzung des Weinstocks gelehrt haben und in Nauplia   zeigte man an einem Felsen das Bild eines Esels, der den Schnitt der Rebe demon­strirt. Vielleicht rührt daher die sprachliche Verwandtschaft von Wein nnd Esel im Griechischen: onos Esel, oinos Wein, auch im Chaldäischen heißt chamra Ejel und chemer Wein.

Bei der großen Anzahl von Eseln, welche in der Wissenschaft Un­sterblichkeit errungen haben, hat jener Knabe unbewußt eine Wahrheit ausgesprochen, als er übersezte: Corpus mortalis est, animus immor­talis Der Körper ist sterblich, der Esel aber ist unsterblich"; er ver­wechselte nemlich animus mit asinus.

Fassen wir schließlich noch den Karakter des Esels ins Auge, so werden wir in ihm eines der liebenswürdigsten Geschöpfe finden, das auch als moralisches Vorbild aufgestellt zu werden verdient. Wie groß ist nur seine Genügsamkeit, diese Kardinaltugend, welche so viel Unheil verhütet. Mit der schlechtesten Nahrung, mit der färglichsten Kost be= gnügt er sich. Gras und Heu, welches eine wohlerzogene Kuh mit Ab­

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schen liegen läßt, und das Pferd unwillig verschmäht, sind ihm noch Leckerbissen; nimmt er ja mit Disteln, dornigen Sträuchern und Kräutern vorlieb. Eine ebenso schöne Eigenschaft ist seine Reinlichkeit im Saufen. Er rührt kein Wasser an, welches nur schwach getrübt ist. Salzig, brackig darf es, rein muß es sein, und in Wüsten hat man daher große Not mit dem Esel, weil er, allen Durstes ungeachtet, nicht von dem trüben Schlauchwasser trinken will. Und ist nicht sein Eigensinn im Grunde ebenfalls eine Tugend, zeigt sie ihn nicht als festen Karakter, der sich von den einmal gefaßten Grundsäzen nicht abbringen läßt, weder durch gute Worte noch durch Drohungen und Schläge: Si fractus illabatur orbis impavidum ferient ruinae( ,, Selbst wenn der Himmel krachend zusammenstürzte, träfen die Trümmer ihr unerschrocken Herz.") Warum zeigt sich diese edle Eigenschaft so selten in unserem potitischen Partei­leben, wo doch sonst Eselhaftigkeit genug herrscht.

Betrachten wir auch noch seine Außenseite. Sein schwer zur Erde gesenkter Kopf, sagt Waber, sein bedächtiger Schritt, seine einfachen, ins Große gehenden Gesichtszüge, sein schlichter, grauer Ueberrod, machen ihn zum leibhaftigen Bilde eines Philosophen, zum Stoiker des Tier­reichs. Wie die Stoiker schreitet er gravitätisch dem Ziel entgegen, das ihm das Schicksal von ferne zeigt, beladen mit schweren Säcken, ge= füttert mit Disteln, geprügelt sogar, aber unempfindlich gegen allen Schmerz ganz stoisch. Alle Gelehrten sollten ihn en medaillon tragen, statt daß man ihn den kleinen, lebhaften Jungen anhängt zur Beschimpfung.

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Armer Esel! Tröste dich mit dem Vogel, den das ungerechteste und undankbarste aller Geschöpfe, der federlose Zweifüßler, nach Platos De­finition der Mensch, dieselbe Rolle unter den gefiederten Zweifüßlern spielen läßt, wie dich unter den ungefiederten Vierfüßlern: mit der Gans. Sie, die den Römern einst das Capitol gerettet hat, deren Fleisch eine ganze Symphonie von Wohlgeschmäckern gewährt, da jeder Teil seine eigene Geschmacksfarbe hat, sie, welche mit ihrem Flaum den Menschen so weich und warm bettet, deren Federn bis auf die Neuzeit dazu dienten, Wort und Gedanke zu verkörpern, Wahrheit und Weis­heit den Nachkommen zu vererben und so den Errungenschaften der Kultur Fesseln anzulegen, sie wird als dumme Gans verachtet, der gol= denen Freiheit beraubt, in einem engen Käfig gefangen gehalten, durch das barbarische Stopfen künstlich krank gemacht und des Genusses na­türlichen Fressens beraubt, damit der unersättliche Fresser Mensch in der patologisch vergrößerten Leber eine weitere Delikatesse erhalte und recht viel Fett aus ihrer zarten Haut gewinne.

Keine rohere, barbarischere Bestie als der Mensch.

Jwan III. und die Boten von Han Achmat.( Illustration siehe Seite 32 u. 33.) Während der 43jährigen überaus ereignisreichen Re­gierungszeit Jwans III. Wassiljewitsch( 1462-1505) stieg das Ansehen und die Macht Rußlands   zu einer bis dahin nie gekannten Größe. Rußland   trat in den europäischen   Staatenverein ein und erhielt nach außen politisches Ansehen und Gewicht. Es machte sich von seinen fremden Gebietern los, freilich um der Sklav seiner eigenen Fürsten zu werden. Künstler finden daselbst eine günstige Aufnahme, denn Jwan Wasiljewitsch rief Architekten, Ingenieure, Glodengießer, Hüttenmeister, Goldarbeiter, Aerzte u. s. f. aus Deutschland   und Italien   unter großen Belohnungen in sein Land. Das Christentum dringt bis in die ent­ferntesten, wildesten Gegenden. Deutsche   entdecken am Zylmafluß mäch tige Silber- und Kupferminen; das weite Sibirien   öffnet sich und er­fennt Rußlands   Herrschaft; die beiden mächtigen Feinde, Litthauen und die Tartarenhorde, die wie drohende, schwere Gewitterwollen Rußland  umlagerten und es von Europa   und Asien   absperrten, wichen zurüd; das Heer ist beseelt von Stärke, Ordnung und friegerischem Geist; in den Gerichtshöfen waltet Gerechtigkeit neben strengen Gesezen, harte Strafen schreden die Verbrecher; ein lebendiger Handel aber wedt überall die ruhenden Kräfte, verbreitet Wohlstand und öffnet den freien Künsten die so lange verschlossenen Tore. Freilich lastet noch dichte Nacht auf dem Volke und den Großen, grasseste Unwissenheit, finsterer Aberglaube und roheste Denkart beherrschen die Menge; aber auch im übrigen Europa   begann damals das Licht der Aufklärung erst schwach und schüchtern aufzudämmern. Man darf daher behaupten, daß von nun an die Geschichte Rußlands   eine ganz andere Gestalt annimmt. Sie gewinnt an innerem und äußerem Interesse, ermüdet nicht mehr durch die ewigen nuzlosen Kämpfe der russischen Fürsten   unter sich oder mit den raubenden Tartarenhorden und nimmt jezt den Karakter einer wahren Staatsgeschichte an. Freilich nicht plözlich und auf einmal ge­schah diese große Umwandlung, sondern allmälich schuf sie Jwan durch seine behutsame, hinterlistige Politik. Als den Schöpfer eines so großen Reiches kann man ihn daher wohl den Großen nennen, obgleich ihn die Zeitgenossen seiner Härte und Strenge wegen auch den Furcht­baren nannten, welcher Titel vielleicht noch zutreffender ist. Denn der Karakter des Großfürsten war ein seltsames Gemisch von Weichheit und Härte, Stolz und Demut, im allgemeinen von großem Wankelmut, Herrsch­jucht, Mangel an Menschenkenntnis und Regierungsweisheit, kurz Eigen­schaften, durch die das von Johann Kalita und Dimitrij Donstij be­gonnene Werk politischer Größe leicht wiederum hätte untergehen müssen, wenn nicht in dem Buche des Schicksals es anders beschlossen gewesen

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wäre"( Strahl, Geschichte von Rußland).- Eine der wichtigsten Taten Jwans war die Befreiung seines Reichs von der Zinspflicht der Mon­golen und Tartaren. Nach der blutigen Schlacht an der Kalka( 1224) waren dieselben bis zum Dniepr vorgedrungen. Fünfzehn Jahre später sezten sie ihre Eroberungszüge fort, stürmten Kiew  , den glänzenden Herrschersiz, mordeten die Einwohner und legten die Stadt mit ihren zahlreichen Kirchen und Denkmälern alter Kunst, mit ihrem Welthandel und ihrem Reichtum in Asche. Dann eroberten sie alles Land vom Dniepr bis an die Weichsel   und machten zulezt, nachdem sie Süd- und Westrußland in eine Wüste verwandelt, das ganze Reich zinspflichtig. Der Groß- Chan der goldenen Horde von Kaptschak, dessen Residenz und Standlager im Osten der Wolga   war, erhob zwei Jahrhunderte einen drückenden Tribut von den russischen Fürsten   und ihren Untertanen und schaltete als Oberrichter und Gebieter über Land und Leute. Die ersten Feindseligkeiten zwischen Jwan und dem Chan der goldnen Horde Achmat brachen 1472 aus. Achmat rückte vor Aleẞkin, verbrannte es und tötete die Einwohner, die sich tapfer verteidigt hatten. Aber des Großfürsten 180 000 Mann starfe Armee, die sich an den Ufern der Offa zeigte, sezte den Chan in Staunen und Furcht. Langsam konzen­trirte er sich rückwärts, in der Nacht aber ergriff er die Flucht und zog sich in seine Katunen( Hordenlager) zurück. Trozdem hielt sich der Chan immer noch für den Oberlehnsherrn von Rußland  , er verlangte sogar Tribut vom Großfürsten und ließ ihn 1477 durch einen eigenen an ihn abgeschickten Gesandten, Namens Botschjuk, auffordern, daß er selbst zu ihm kommen und ihn als seinen Zar begrüßen solle. Dies tat nun Jwan nicht, er ließ sich aber entschuldigen, und es ist wahrscheinlich, daß er durch reiche Geschenke, die er in die Horde schickte, Achmat zu beruhigen suchte. Diese Nachgiebigkeit war begründet, denn noch war der Chan sehr mächtig und Jwan durfte es damals nicht wagen, sich mit ihm in einen schweren Kampf einzulassen. Der stolzen Großfürstin Sophie war aber dies Verhältnis sehr drückend und da die tartarischen Gesandten zugleich mit dem Großfürsten im Kreml   zu Moskwa   wohnten, so ersann die kluge Griechin eine List, sich von der lästigen Nachbar­schaft zu befreien. Sie bestach durch Geschenke die Gemahlin Achmats und schrieb ihr, daß sie eine Erscheinung gehabt habe, infolge welcher sie eine Kirche auf der Stelle, wo jezt das tartarische Haus stehe, zu erbauen wünsche, was ihr auch gewährt wurde. Das Haus ward ab­gebrochen, den Tartaren aber kein anderer Plaz im Kreml   wieder an­gewiesen. Indessen war Jwan bemüht, die inneren Zwistigkeiten in der goldnen Horde beständig zu unterhalten, und als er durch ein mit der Krim   geschlossenes Schuz- und Truzbündnis sich start genug fühlte,