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Die Satire im Mittelalter.
Von Dr. Richard Ernst.
Verhältnismäßig spärlich floß der Brunnen der Satire im Mittelalter. An Stoff dazu fehlte es freilich nicht, im Gegenteil; kein Zeitalter bot der Satire reichere Nahrung, als das Mittelalter, dieser tausendjährige Karneval der Geschichte( der nur leider keinen lustigen Karakter hatte), in welchem die menschliche Torheit ihre wildesten Orgien feierte, wo in Religion, in Politik, in den verschiedenen Gebieten des sozialen Lebens, selbst in der Wissenschaft die Vernunft auf den Kopf gestellt wurde und der Geist der Zeit mit Schellenkappe und Pritsche die schöne Welt regierte. Aber die Sonne der Vernunft war in jener Epoche so total verfinstert, die Umnachtung der Geister war eine so allgemeine und der Gedanke war so geknebelt, daß es nicht Wunder nehmen kann, wenn wir im deutschen Dichterwald die Spottdrossel Satire zu jener Zeit nur selten pfeifen hören*). Um so lauter und lustiger ertönte ihre Stimme, als das Mittelalter sich seinem Ende nahte, die Morgendämmerung der Neuzeit anbrach und der Geist der Kritik erwacht war. Um die Spalten der„ Neuen Welt" nicht all zu sehr in Anspruch zu nehmen, müssen wir von einer erschöpfenden Darstellung absehen und uns auf die hervorragenden Einzelerscheinungen der fraglichen Literaturepoche beschränken.
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Zu den ältesten Denkmälern mittelalterlicher Satire gehören die Rügelieder( Sirventes) der Troubadours. In den sonnigen Tälern der Provence , an den Ufern der Garonne, auf den üppigen Küstenstrichen des Mittelmeers und in dem Grün der Pyrenäenabhänge, unter einem vielfach begabten und lebensfreudigen Volt, erwachte nach dem Untergang der antiken Welt, nach den Stürmen der Völkerwanderung, mitten unter den tosenden Rüstungen der Kreuzzüge, jene Poesie, die wir im Gegensaz zur antifen die romantische zu nennen pflegen, und welche auf die Gestaltung der Gesammtliteratur des mittelalterlichen und neuzeitigen Europas einen übermächtigen Einfluß geübt hat. Die Wiege dieser ritterlichen Poesie stand allerdings anderswo, nämlich in den arabischen Reichen Spaniens , von woher sich Provenzalen sowohl als Spanier ihre ersten dich terischen Anregungen und Formen holten. Aber diese Anregungen haben in der am Nordsaum des pyrenäischen Gebirgswalles gelegenen Landschaft einen außerordentlich fruchtbaren Boden gefunden. Die Provence wurde der vornehmste Siz der ,, gaya scienza", der fröhlichen Wissenschaft, oder der ,, art de trobar" Kunst des Findens, wie in der Provence die Dichtfunst genannt wurde, von welch lezterer Bezeichnung der Name Troubadour ( trobaire finden) abzuleiten ist**). Ueberall war der Dichter willkommen, die Gastfreundschaft gegen ihn hatte feine Grenzen. Kaiser, Könige, Fürsten und Edelleute jeden Ranges sezten eine Ehre darein, zu den Troubadours gezählt zu werden. Mittelpunkt und Kern der art de trobar war Liebe und Frauendienst. Aber neben dem Minnelied spielten auch andere Gattungen der Poesie ihre Rollen: die Legende, die Fabel, die Novelle, die Romanze, das Streitgedicht, das Lehrgedicht, vor allem aber das Rügelied. Die Rügelieder waren Spottgedichte, höhnende Lieder, scharfe Rügen im Sinne einer Partei oder im Dienste eines Schuzherrn. Durch das Rügelied, das bald allgemein, bald auch rein persönlich gehalten war, waren die Troubadours die Träger der öffentlichen Meinung, die Lenker des politischen und sozialen Lebens, und in dem Sirventes hat die politische Lyrik der Gegenwart ihren Ursprung zu suchen. Als Rügeliederdichter, deren Freimut und feuriger Haß sich vornehmlich gegen Rom und das Verderbnis der Pfaffen richtete, gehören die Troubadours mit zu den einfluß
*) Viele in lateinischer Sprache abgefaßte Satiren des Mittelalters sind indessen längst vergessen.
**) Ebenso wurden die nordfranzösischen Dichter Trouvères genannt, von trouver finden.
reichsten Vorläufern der Reformation. Sie waren also nicht nur weichliche Sänger der Liebe, sondern auch mannhafte Herolde der Freiheit und Ehre. Als ihre Blütezeit ist der Zeitraum von 1090-1294 anzusehen.
Als kleine Probe stehe hier die lezte ironisch gehaltene Strophe eines Rügelieds von Peire Kardinal( 1210-1230) nach der Uebersezung von Brinkmaier:
Bei Pfaffen find ich keinen Unterschied, Da alle sie ein Musterleben führen,
Und man sie Gott gleich würdig dienen sieht; Nichts anderes kann sie reizen oder rühren. Auch ist kein Mensch, der schlimm von ihnen sage, Außer was wahr ist, wenn er nicht will lügen: Denn Reiten, Essen, Schlafen und Betrügen Und Liebesspiel sind ihnen große Plage.
In einem anderen Sirventes desselben Troubadours kommt die Klerisei noch schlimmer weg.
Sie heißen Hirten zwar, Doch sind sie Mörder gar, Sie sind voll Heiligkeit, Sieht man nur auf ihr Kleid; Stets kommt mir in den Sinn, Wie einstmals Alengrin*).
Da heißt es:
In eine Hürde schlich, Doch ob der Hunde sich Ein Hammelfell anzog, Womit er sie betrog; Dann fraß er alles auf, Was kam ihm in den Lauf.
Je höher gar ihr Stand, Je schlimmer ist's bewandt; Auf Lüge wird gezählt, Je mehr die Wahrheit fehlt; Je weniger Wissenschaft, Je größer Räntefraft, Und von der Demut gar Findet sich nicht ein Haar. Ja, gegen Gott so seind Hat's niemand noch gemeint Als dieses Pfaffenheer Seit alten Zeiten her.
Das Rittertum und dessen schönste Seite, die ritterliche Poesie, verbreitete sich bald aus Frankreich , wo sie zuerst ausgebildet wurde, über alle zivilisirten Länder Europas und besonders wurde die französische Ritterschaft, zumal seitdem sie durch den ersten Kreuzzug mit einem Schimmer von Ehre und Ruhm umgeben war, das Muster des deutschen Adels. Von ihr entnahm er die Einrichtungen und Geseze des Rittertums, die hösische Etikette, die romantisch ritterliche Verehrung der Frauen, mit welcher es übrigens, wie Scherr versichert, in der Wirklichkeit keineswegs so glänzend stand. Die Achtung, welche die mittelalterliche Romantik der Frau zollte, war mehr fiftiv als faktisch. Während der Ritter seiner Herrin, d. i. seiner Geliebten, eine idealistische Verehrung widmete, war ihm die Frau weiter nichts als das gehorsame, dienende Weib. Die Damen, gleichviel ob Töchter oder Frauen, waren den Männern durchaus untertänig und eigentlich nicht viel besser als Mägde. Sie mußten ihrem Gatten, wenn er angeritten kam, den Steigbügel halten, und bewirtete er seine Freunde, so mußte seine Gattin mit ihren Jungfrauen die Gesellschaft bei Tisch bedienen. In den ,, Ordonnances des rois de France" ist Vätern und Gatten ausdrücklich das Recht gesichert, verheiratete Töchter und Frauen zu schlagen und zwar tüchtig!!
Mit dem französischen Rittertum, das sich auf deutschen Boden verpflanzte, gelangte auch die romantische Poesie daselbst zur Entwicklung( während vorher die Poesie fast völlig mönchisch geworden war), und sie trieb ihre Blüten an drei Zweigen der Dichtkunst, in der Epik, Lyrik und Didaktik( erzählende, gesangliche und lehrhafte Dichtung). Hauptvertreter der epischen Kunstpoesie sind die drei großen ritterlichen Heldendichter Hartmann von der Aue, Wolfram von Eschenbach und Gottfried von Straßburg ( 1170-1220). Hartmann
*) Isegrim, der Wolf.